#Aufschrei der Dummheit

#Aufschrei der Dummheit

Das was sich Ende letzten Jahres im Online-Anhang der ZDF-Sendung Wetten, dass..? ereignete, als der Moderator nämlich eine Saalwette vorstellte, bei der er dazu aufforderte, dass möglichst wenige Menschen als Jim Knopf und Lukas auftreten sollten, hatte mit Protestkultur nichts mehr zu tun. Man kreidete Markus Lanz an, dass er sich rassistischer Tradition hingegeben habe, weil er Weiße dazu aufforderte, sich als Schwarze anzumalen. So wie in den Vereinigten Staaten, als die Rassentrennung noch viel strikter praktiziert wurde als heute. Als im ersten Tonfilm der Geschichte ein Weißer einen schwarzer Jazz Singer mimen musste, um das Sittengefühl jener Tage nicht zu verletzen. Um diesem "rassistischen Treiben" eines auszuwischen, formierte sich mal wieder ein #Aufschrei.

Diese Übertreibung von zwar seltsamen Vorkommnissen zum Zwecke der Unterhaltung eines Massenpublikums geriet aber zum Glück zum Rohrkrepierer. Eine zwecklose Debatte weniger, die langfristig geführt worden wäre, wurde durch Kritik von vielen Seiten vereitelt. Dennoch zeitigt eine solche Kultur des Klickprotests Folgen. Gerade dann, wenn man sie inflationär herauskramt, wenn man aus jeder Belanglosigkeit und jeder Geschmacklosigkeit ein Sujet macht, an dem man sich protestlerisch aufgeilt. Mit so einer Empörungs-Klick-mich-Welle vergällt man die richtige, die notwendige Kritik an Rassismus und seine Folgen. Man schafft so kein Bewusstsein, sondern sediert bis in die Bewusstlosigkeit hinein. Beim nächsten Aufruf, der beispielsweise klar rassistisch unterlegte Verwaltungsakte in Jobcentern anklagt, winkt dann mancher ab und sagt: Ach, schon wieder diese wichtigtuerischen Spinner, die Mücken für Elefanten halten. 
Und seien wir doch mal ehrlich, ein Publikum, das den Rassismus des sarrazinischen Genetik-Hokuspokus nicht für verurteilenswert gehalten hat, wird mit dem Anmalen von Gesichtern zwecks Afro-Look keinerlei Probleme haben. Es ist im Vergleich hierzu ja auch nur Kindergarten.
Dieser Aktionismus, der es gut meint, und der damit das Gegenteil von gut ist, wirkt kontraproduktiv. Er höhlt aus, relativiert und übertreibt, bis er unglaubwürdig wird und wirklich notwendige Aktionen ausbremst. Sascha Lobo schreibt dieser Tage, er habe sich getäuscht. Das Internet sei nicht das, wofür er es gehalten habe. Es sei nicht Wegbereiter für Demokratie und Befreiung, sondern zerstöre die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft. Er bezieht das vor allem auf die Geschehnisse um die Geheimdienste, die in den letzten Monaten bekannt wurden. Vielleicht muss man jedoch weitergehen, muss einsehen, dass das Internet die Summe aller Charakter und Typen ist, die vor ihm sitzen und "es bedienen". Das erklärt warum es nicht Befreiung ist, sondern einfach nur lauer Durchschnitt, ein Abziehbild der Offline-Verhältnisse. Ob es nun die dumpfen Parolen von Neonazis sind, die bei Facebook toleriert werden oder das Aufschreien bei Nichtigkeiten: Das Internet bereitet nicht den Weg für mehr Demokratie. Es pervertiert sie eher.
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