Man fällt ja jetzt nicht von Merkel ab, weil sie Großfrauspolitik in Europa betreibt, Sozialabbau begeht, NSU-Aufklärung lahmlegt oder NSA-Aufklärung bagatellisiert. Das ist alles Schnee von gestern. Schnee, mit denen die, die heute kritisieren und zum Rücktritt ermuntern, noch ganz zufrieden waren. Gerade das hat die Frau ja ausgezeichnet, sie entschleunigte überall dort, wo sich das Unrecht beschleunigte. Und dergleichen schätzt man rechts als gutes Brauchtum. Aber dass sie jetzt Flüchtlinge ins Land lässt, Willkommenskultur anrät – das füllt denen das Faß voll. Das war nicht nur der letzte Tropfen zum Überlaufen, es waren ganze Eimer hin zur Flutung. Gut, bei Tageslicht betrachtet, ist ihre Flüchtlingspolitik ein ziemlich oberflächliches Konzept, mehr so was für das deutsche Gemüt und zur europäischen Präsentation. Nach Griechenland im Austeritätskoma braucht das Deutsche wieder ein hübsches Gesicht für den Kontinent. Deutschland hat ja auch schöne Seiten. Wir schaffen das. Also Deutschland aufzuhübschen, den häßlichen Deutschen imagefördernd vergessen zu machen. Die Kommunen müssen dann aber weitestgehend selbst schauen, wie sie es schaffen. Finanzielle Mittel gibt es für sie nur in homöopathischen Dosen. Und genau aus dem Milieu, in dem man Flüchtlinge beleidigt, bespuckt, sie kriminalisiert und pathologisiert, stammen nun die Anti-Merkel-Buttons, die Anti-Merkel-Schautafeln, die Anti-Merkel-Klick-mich-Beiträge.
Neulich hat einer auf einen Artikel verwiesen. Bei Facebook gefiel er vielen. Auch Leuten, denen manchmal das gefällt was ich schreibe. Es ging darum, dass so ein »Experte« nun belegt sah, dass die Bundeskanzlerin durchgeknallt ist. Sie spreche nämlich von sich in der dritten Person. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass sie verrückt sei, was er mit halbseidener Medinzinalsprache begründete. In einem Interview habe sie gesagt, dass »die Kanzlerin es im Griff [habe]«. Die Aussage mag eine Lüge sein. Inhaltlich betrachtet. Was hat sie denn im Griff? Der Inhalt ist in jedem Falle verrückter als die Aufmachung der Formulierung. Das müssen die »Linken« doch gut finden, so eine Analyse des geistigen Gesundheitszustandes, oder nicht? Schließlich sind es genau die Stimmen aus jenem politischen Milieu, die mehr oder weniger immer so gegen Merkel geschossen haben. In der dritten Person! Wie ulkig! Und wie irre! Ja definitiv, da muss man geisteskrank sein, wenn man von sich selbst so spricht. Roberto De Lapuente hat jedenfalls im ersten Moment auch sehr gelacht, dann hat er gesehen, um was es eigentlich ging und sich gedacht, dass er mit dieser »Opposition« nicht oppunieren kann. Denn man pathologisierte diese Frau nicht wegen der Form, sondern weil sie Ausländer ins Land lässt und keine Zäune befürwortet. Also suchte man nach Indizien, um sie zu diskreditieren, sie zum Zäuneziehen und Mauerbau zu bewegen. Sie ist für diese Leute bloß irre, weil sie ihr Vaterland verrät. Aber für mich sind Leute irre, die ihr Vaterland abschotten und sich den Weltsorgen verschließen wollen.
Solche Statements kann man natürlich dennoch machen. Jeder hat Senf, den er dazugeben möchte. Meist ist der Senf Käse. Falsch deklarierte Lebensmittel halt. Ein ganz üblicher Betrug in unserer Zeit. Und genau so (be-)trügerisch ist es, solchen Stimmen Likes zu verleihen. Aber letztere kommen tatsächlich häufig auch aus dem Lager derer, die wie die Leute aus meiner »Freundesliste« bevorzugt »Spiegelfechter«, »NachDenkSeiten« oder »ad sinistram« lesen; die »Die Anstalt« gucken und mit Rether, Pispers oder Schramm lachen; die »BILDblog« schätzen und vielleicht schon mal ein Buch von Naomi Klein oder Jean Ziegler gelesen haben. Das irritiert. Nicht alles was gut nach Opposition klingt, ist ja gute Opposition. Mag sein, dass es jetzt Schnittmengen zwischen Rechten und Linken gibt. In der Konsequenz der Sache quasi. Also, dass man die Kanzlerschaft jener Frau beendet sehen will. Aber auch wenn man so konsequent sein möchte, so sind das doch zwei verschiedene Ligen. Nicht jeder Aufschrei, der da draußen verhashtagt wird, ist ja eines Beifalles wert. Das wollte ich gesagt haben, denn nach Social Stalinism ist mir nicht. Ich will die mit mir »befreundeten« Klicker solcher Botschaften nicht entliken und einer großen Säuberung zuführen. Das tun andere dort in meisterschaftlicher Manier. Auch Linke. Unliebsame aus dem Sandkasten werfen: Das mache ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr.
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