Aufs Maul geschaut

oder: aus meinem Reisetagebuch, ein zweiter Teil.
Aufs Maul geschaut
Redensarten sind meistens relativ regionale Geschichten. Wenn man fernab seiner sprachlichen oder dialektischen Heimat den Menschen aufs Maul starrt, bekommt man Formulierungen zu Ohren, die man so bislang noch nicht vernommen hatte. Nun war ich schon mehrmals in Hessen, obgleich nie zeitlich so lange wie aktuell, kenne also einige Redensweisen und Worte, die sich mir als prüfenswert aufdrängten, die mir spannend genug erschienen, um über sie nachzudenken. Banale Worte oft nur, wie das aus der Pfalz herüberwehende Grumbeere, das Kartoffel meint - die Beere, die aus der Krume, dem Acker kommt. Eine Redensart gibt es da, die ich nun vermehrt erlauschen durfte. Das heißt, ich kannte sie schon vorher, von meiner Lebensgefährtin, dachte mir dabei allerdings, dass es sich vielleicht um eine eingebürgerte Floskel aus ihrer Familie handelte, vielleicht auch um eine, die sie ganz alleine prägte. Doch weit gefehlt! Tatsächlich verwendet man sie hier, im südlichen Hessen, am Rande des Odenwaldes, besonders regelmäßig. Und schnappe ich sie auf, so denke ich dabei immer an Erich Fromm.

Das ist mir! oder Das ist ihm! So sagt man hierzulandstriche, wenn man Person und Eigentum in Verbindung setzen will. Das gehört mir! oder Das gehört ihm! - so kenne ich es; ohne existenziell machendes Hilfsverb. Da steht stattdessen ein vermittelndes Verb zwischen Besitz und Besitzer. Aber in Südhessen ist das Verb, das versöhnen soll zwischen Mensch und Ding, zwischen Eigentümer und Eigentum, das sich also als Verbindungsnabe dazwischenschiebt, gänzlich getilgt. Hier wirkt es beinahe, als ginge der Besitz in den Besitzer über, der Anspruch in den Anspruchsberechtigten, als würden Ding und Mensch und Mensch und Ding eine linguistische Symbiose eingehen, als ginge der Wert des Gegenstandes auch sprachlich in den Menschen über und das Menschsein in den Gegenstand hinein. Ein materialistischer Sprachauswurf vielleicht?

Ja, das gibt mir schon RätsAufs Maul geschautel auf. Spricht man so auch weiter nördlich? Weiter westlich? Weiter östlich jedenfalls, dort wo es nach Franken hinübergeht, scheint es mir ausgeschlossen. Dort habe ich dergleichen nie gehört. Ist das, und ich denke dabei an Max Weber, so wie ich auch an Fromm denke, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde, eine Form protestantischer Ethik, die den Geist der Sprache erfasst hat? Warum hat sich diese Redensart aber dann nicht im protestantischen Franken durchgesetzt? Oder ist es gar der kapitalistische Geist, der die Sprache erstürmte und nach seiner frugalen Weltsicht rationalisierte? Dazu müsste man jedoch wissen, wielange man in dieser Region schon dergestalt spricht. Ist der Ausdruck am Ende doch vorkapitalistisch? Hat eine Gegend, die vor vielen Jahrzehnten noch der sprichwörtliche Arsch der Welt war, zwangsläufig auch das Horten und Hamstern, das in dem Ausdruck zum Tragen kommt, in die Sprache verpflanzt? Kargheit und Randständigkeit als Schöpfer des Das ist mir!, sodass derjenige, der hatte, nicht nur hatte, sondern schon war, was er erwarb - Besitz als Existenzialismus quasi?

Haben oder Sein nannte Erich Fromm sein gesellschaftskritisches und humanistisches Buch von 1976. Kurz skizziert erklärt er darin, dass man zwischen zwei Lebensweisen entscheiden könne: zwischen der des Habens - des Konsums, moderner gesagt. Wobei bei Fromm auch das moderne Liebesleben zu einem Konsumgut geworden ist. Oder zwischen dem Seinsweg, einem kontemplativen Weg, auf dem man vor allen Dingen Immaterielles schätzt. Entweder - oder! Das war freilich überspitzt, denn nie war das Leben rein aktiv oder passiv, nie rein körperlich oder seelisch, nie nur Konsum oder nur ideel. Die Grenzen variieren und sind da immer persönlicher Natur, wobei sie natürlich auch von der Gesellschaft aufoktroyiert werden. Haben oder Sein suggeriert als Titel, dass man eine Wahl hätte, die man eigentlich so nie hat - Haben und Sein, das wäre richtiger, denn die Frage ist nicht Entweder - oder?, sie ist Wieviel von beidem? Sprachlich gesehen könnte man damit auch sagen, dass so, wie man in Südhessen scheinbar Besitz und Besitzer vermittelt, dieses Haben und Sein satzlich zueinandergefunden hat. Das ist mir! bedeutet somit, dass ich bin und dass ich habe - und dass das, was mir ist, gleich noch zu meinem Personalpronomen wurde.

Ich gebe zu, dass mir diese Formulierung nicht gefällt. Weniger vom Klang, eher des Inhalts wegen. Ich stellte vorhin Fragen, woher der Ausdruck wohl stammen könne. Ich vermag es nicht zu beantworten und muntere den geneigten oder abgeneigten Leser gerne dazu auf, mich aufzuklären. Aber obwohl ich keine Antwort reichen kann, muß ich schon sagen, ich finde es nicht gerade faszinierend, dass ich satzlich mit dem Das zusammengeworfen werde. Das ist mir - das klingt fast schon wie Das bin ich. Ist das Schnitzel, darüber würziger Kochkäse, weil es mir ist, nicht schon fast ein Teil von mir geworden? Bin ich das Schwein, das nun geschnitzelt auf meinem Teller liegt? Ich denke dabei immer an einen Supermarkt, in dem nur noch ein Stück Käse oder ein Leib Brot liegt, auf den mehrere Kunden zusteuern, schneller, immer schneller - und der Schnellste unter ihnen greift sich das rare Gut und brüllt laut, das es ihm sei, worauf er es an Ort und Stelle in sich schlingt, weil was ihm ist, das ist zu ihm geworden, ist Teil von ihm.

Kurzum, ich will diese Ausdrucksweise und die, die sich gebrauchen, nicht beleidigen - meine Güte, Umgangssprache ist keine Wissenschaft, sie geht - was schon der Name sagt - um. Was geht nicht alles um! Grippe manchmal. Oder Flöhe. So auch die Sprache, die hin und wieder an Seltsamkeiten erkrankt und an Zipperlein leidet. Dennoch sieht man, was ein Verb an richtiger Stelle ausmachen kann. Das ist mir! klingt brachial gierig, finde ich gelegentlich, daher habe ich stets diesen verschlingenden Kunden vor Augen, wenn ich es höre. Das gehört mir! kann nicht weniger gierig gemeint sein, aber es klingt trotzdem annehmbarer, freundlicher auch. Ein Verb an richtiger Stelle kann Freundlichkeit ausmachen. Was nicht heißt, dass die Menschen hier, in Südhessen, an der Bergstraße, unfreundlich wären - oder sagen wir es anders: sie sind es so, wie es Menschen überall sind. Viele Arschgeigen, viele liebenswerte Leute. Wie überall...


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