Aufruf zum Widerstand: Ignazio Silone – Wein und Brot (1936/1955)

Ignazio Silones Roman “Wein und Brot” darf zweifellos zu den wichtigsten literarischen Dokumenten gezählt werden, die während des Zweiten Weltkriegs von Autoren im Schweizer Exil verfasst wurden. Der Text ist Überbringer einer mal mehr mal weniger durch das Kostüm des Abenteuerromans verschleierten moralisch-politischen Botschaft; ein von berückenden Landschaftsbildern gerahmter Aufruf zum Widerstand.

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Ignazio Silone in den 1920er-Jahren (Q: https://en.wikipedia.org/wiki/Ignazio_Silone#/media/File:Silone1.jpg)

Zum Autor: Ignazio Silone kam am 1. Mai 1900 im kleinen Ort Pescina in den Abruzzen als Secondino Tranquilli zur Welt. Das Erdbeben von Avezzano am 13. Januar 1915 zerstörte seine Familie: lediglich er und sein kleiner Bruder Romolo überlebten, Mutter und fünf Geschwister kamen ums Leben. Zwei Jahre später traf er eine folgenreiche politische Entscheidung: er trat der sozialistischen Jugend bei. 1921 war er an der Gründung der kommunistischen Partei Italiens beteiligt. Noch im selben Jahr bereiste er erstmals Moskau; 1927 war er an der Kominternsitzung beteiligt, an der die Liquidierung Trotzkis beschlossen wurde. “Einstimmig”, wie es später hiess, obschon Silone – als Einziger – Einwände gehabt hatte. So geriet er erstmals auf Konfrontationskurs mit der Partei. Und genauso wie Ignazio Silone, der in einem Priesterseminar erzogen worden war, sich einst von der Kirche abgewandt hatte, wandte er sich nun von der Partei ab – er konnte seine Ansichten nicht mehr mit den Widersprüchen der kommunistischen Doktrin vereinbaren.

In den frühen Dreissigerjahren wurde Silone zu einer prominenten Figur in den Zürcher Emigrantenkreisen. Er war in die Schweiz gelangt als von Mussolinis Häschern, auf faschistischen Fahndungslisten geführter und gleichsam als von der kommunistischen Partei exkommunizierter Flüchtling. Später, nach seiner Rückkehr ins befreite Rom 1944 und seiner endgültigen Abwendung von jeder Form institutioneller Politik, wird er sich als “Sozialisten ohne Partei und Christ ohne Kirche” bezeichnen.

Während der Zeit der faschistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs verblieb Silone in der Schweiz, wo unter dem Eindruck der faschistischen Besetzung Abessiniens und der von Stalin inszenierten Moskauer Prozesse 1936 der Roman “Brot und Wein” entstand, der 1955 vom Autor nochmals überarbeitet und in der neuen Fassung unter dem Titel “Wein und Brot” wiederveröffentlicht wurde. Wie Silone im Nachwort der überarbeiteten Ausgabe schreibt, war es einerseits die Scham für die Kriegsbegeisterung vieler Italiener, die Gleichgültigkeit der grossen Mehrheit der Bevölkerung und die Ohnmacht der Antifaschisten, andererseits “das Entsetzen und der Ekel darüber, dass ich in meiner Jugend einem Revolutionsideal gedient hatte, dass in seiner stalinistischen Form nichts anderes war als – so schrieb ich damals – “roter Faschismus.””, die ihm als Antrieb beim Verfassen von “Brot und Wein” dienten.

In anderen im Zürcher Exil entstandenen Schriften fand er ungleich härtere Worte. In “Die Schule der Diktatoren” (1938) etwa heisst es: “Die wissenschaftlich genaueste Definition des Faschismus ist vielleicht diese: der Faschismus ist die Margarine des Geisteslebens. In einer Epoche von so ausgesprochener geistigen Verblödung, wie der unseren, ersetzt der Faschismus die Wahrhaftigkeit des Denkens, die traditionelle Religion, die authentische Kunst, die Gewissensfreiheit.” (Zitat in Werner Mittenzwei: Exil in der Schweiz, 1978).

Der Schriftsteller R.J. Humm, in dessen Salon Silone Stammgast war schrieb über Silone: “Er war immer von Kopf bis Fuss ein Römer, oder viel mehr ein Samnite, der ein Römer geblieben war, während die anderen Römer Hampelmänner geworden.” (R.J. Humm: Bei uns im Rabenhaus)

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Der Roman “Wein und Brot” – ich beziehe mich auf di Überarbeitung von 1955 – trägt deutlich autobiographische Züge. Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge sozialistische Revolutionär Pietro Spina, der vor Mussolinis Schergen ins Ausland flüchten musste, dort aber nicht leben konnte und in einem Nacht-und-Nebel-Unterfangen wieder in die feindliche Heimat zurückkehrt. Ehemalige Freunde helfen ihm, sich zu verstecken. Spina schlüpft in die Identität des Priesters Don Paolo – gerade er, der mit der Kirche gebrochen hat – und versteckt sich im abgelegenen, von Naturkatastrophen geplagten Bergdorf Pietrasecca in den Abruzzen. Zur Untätigkeit verdammt und geplagt von einer schweren Lungenkrankheit (auch dies autobiographisch), nähert sich der Revolutionär Spina, im Kostüm des Pfarrers, einer gottesfürchtigen Dorfbevölkerung.

Deren Kern bilden die cafoni, die armen Bauern, von denen Spina zunächst aber, weil ihn seine Krankheit ans Bett fesselt, nicht viel mitbekommt. Es sind die Frauen, die er zuerst kennenlernt: seine Gastgeberin, die Wirtin Malatenta, die bald eine gefährliche Obsession für “ihren” Priester entwickelt und ihn mithilfe einer umtriebigen Kräuterfrau quasi zum Verbleib im Dorf hexen will; Bianchina, ein Mädchen aus dem Nachbardorf, die fest davon überzeugt ist, Don Paolo sei ein Heiliger, der ihr das Leben gerettet habe; Cristina, die unschuldige Tochter des ehemaligen reichsten Mannes im Dorfe, dessen Existenz nun jedoch gefährdet ist.

Im Nachwort zur überarbeiteten Ausgabe schreibt Ignazio Silone: “Was schliesslich den Stil betrifft, so erscheint es mir als höchste Weisheit, beim Erzählen einfach zu sein.” Es ist diese einfache Sprache – stilistisch wird Silone oft dem Neorealismus zugeordnet – , die die Menschen und Gedanken des Dorfes Pietrasecca lebhaft werden lässt. Eindrücklich sind manche Passagen, in denen sich die Dialoge zwischen dem im Priestergewand gefangenen Spina – Lebensmotto: “Man darf nicht in Erwartung leben. […] Man muss handeln. Man muss sagen: Genug. Ab heute.” – und den resignierten, abgearbeiteten Bauern entspinnen, deren Kernsatz lautet: “Die Dinge nehmen ihren Lauf. […] Wie das Wasser des Flusses. Es nützt nichts, dass man sie versteht.”

Silone lässt seine politische Botschaft, die Aufforderung zum Widerstand, unmissverständlich und nicht zu knapp in den Text einfliessen. Aus einer literarischen Perspektive mag das bisweilen als etwas “zu viel des Guten” erscheinen, als stilistische Unsauberkeit, inhaltlich jedoch ergibt es Sinn: die häufigen Nachfragen, die unablässigen Bemühungen, mit allen irgendwie verfügbaren Mitteln den Kampf wieder aufzunehmen, die Rastlosigkeit – es sind alles Weckrufe gegen die Lethargie derer, die das Denken eingestellt haben oder es sich vermeintlich nicht leisten können; es sind Fanale für den Widerstand in bedrängter Zeit.

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Grosse Teile des Werks von Ignazio Silone sind auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.


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