Aufmacher, die sich legislativ auswirken

Die »Bildzeitung« berichtete letzte Woche über das »neue Hartz IV«. In der Redaktion wusste man, dass eine »große Reform bevor[steht]«. Sie soll »voraussichtlich 2015 [...] in Kraft treten«. Das ist etwas voreilig, denn bislang haben Mitarbeiter der Bundesagentur erst mal auf Anweisung verschiedene Vorschläge zu möglichen Änderungen notiert und zusammengetragen. Beschlossen ist noch nichts. »Zurzeit gibt es noch keine Festlegungen. Das letzte Wort hat der Gesetzgeber«, sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Die »Bildzeitung« ist da scheinbar schon etwas weiter.

Aufmacher, die sich legislativ auswirken

Gesetzgebungsverfahren nach
Diekmannschen Modell

Wenn man so liest, was sie dazu schreibt, scheint die Reform des derzeitigen Hartz IV schon sicher zu sein. Alles andere sei nur noch Makulatur. Demokratischer Prozess, der nebenher abgespult werden kann. Wer mit »Das neue Hartz IV« titelt, der sagt damit aus, dass die Vorschläge, die eingegangen sind, schon weitaus mehr sind als nur Vorschläge. Der umschifft das Gesetzgebungsverfahren und generiert einen Gestaltungsauftrag per Aufmacher und greift durch das Schüren einer Erwartungshaltung auch legislativ ein. Wenn die Leser schon heute lesen, dass das »neue Hartz IV« kommt, dann ist es schon verabschiedet, bevor es verabschiedet werden soll. Und wenn die Leser, die darüber zu entscheiden haben, dasselbe lesen, dann wissen sie, wie sie zu entscheiden haben.

Und nun sage keiner, dass Politiker keine »Bildzeitung« lesen. Der letzte Ex-Kanzler sagte mal, dass er nur mit ihr und BamS und Glotze regieren könne. »Spiegel Online« oder »Stern« haben davon jedenfalls kaum berichtet. Und von einer abgemachten Sache war dort dann auch nie die Rede. Die »taz« betonte gar die Ergebnisoffenheit, die es in dieser Sache noch immer gäbe.
Vor Jahren schrieb ich, dass »Berichte über Florida-Rolfs mehr polarisieren als Statistiken zur Altersarmut - der reißerische Text zu einem Mann, der im Ausland Sozialhilfe bezieht, kann Gesetzeslagen ändern; Statistiken ändern bestenfalls ihre Erhebungsmodifikationen.« Damit unterstellte ich der »Bildzeitung« nicht nur aktiv in Gesetzgebungsverfahren einzugreifen, sondern sie sogar noch anzustoßen oder sie vorher schon zu einem abgekarteten Spiel zu machen. Wenn man schon im April in der Zeitung liest, dass Hartz IV reformiert wird, obwohl noch gar nicht so sicher ist, dass und wie es überhaupt reformiert wird, dann kann man sich ab November die erste, zweite und dritte Lesung auch gleich sparen. Denn die »Bildzeitung« nimmt das Gesetz schon vorher an. Passend dazu präsentiert sie natürlich die schlimmsten Fälle von Sozialmissbrauch, um den Reformbedarf noch mal zu untermauern.
Diese Zeitung ist Vermittler und perfider Stichwortgeber - und überdies legislativer Steigbügelhalter. Indem man ein etwaiges Vorhaben so beschreibt, als sei es schon konkrete Umsetzung, unterzieht man die Legislative dem Diekmannschen Modell, in dem sich die verschiedenen Verfassungsorgane nicht mehr in Ausschüssen beraten und in Diskussionen anpassen, sondern alle für sich als Leser der »Bildzeitung« fungieren und sich demgemäß in der Lage vorfinden, jetzt das, was in der Zeitung steht, auch Wirklichkeit werden zu lassen. »Komm, lass uns Reformen absegnen, Sanktionen verschärfen - in der Zeitung steht ja schon, dass es so kommen wird!« Da wird ein Abgleich mit der Realität natürlich nötig und man muss sich fragen, ob diese Art Journalismus noch die Welt wiedergibt oder ob er der Welt ihren Stempel aufdrückt.
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