DieterSchlesak
AUFBÄUMEN Gedichte
Rowohlt1990 Neuauflage 2008
Hierungeordnet die Gedichte, die ich elektronisch besitze, plus das Nachwort:
HINRICHTUNG Nach einem Film von Scorzese,"Christus"
EINKLIRRENDES FENSTER ERZÄHLT: Maria im Bildam9.November, schon kalt, Maria im Großen Wagen.AmStarnberger See ein Kino. Wirträumen,aufzuwachen - es ist Ja alles wiedergut?Gott aber ist/ der Tod. Und hingnoch immer mager dort oben am rissigen Holz, ein schwarzes Röntgenbild, dasKreuz an Ihn genagelt. Erschrie,den Kopf in die Ohnmacht geneigt, der Leib verkrümmtundweiß. Die Haltung Blut und Schweiß drückt euch den Atem ab. Sekunde, der Riß/im Kopf das Hirn der Dornen. EinLichtblitzin jeder Zelle. Sein Intervall: So geht esweiterund weiter. Nichts ist entschieden. Erst aus dem AugedesFehlenden käme der Blick, der dich sieht. Du aber bist nicht da, und alles gehtweiter, immer weiter zurück, - ins Letzte, das Mineral. Wo aber bis du, wo /auf der andern Seite des Feldes und rufst, und winkst so deutlich ein weißes Ja, wie der Frieden, der hier nie seinkann. Doch das Fehlende kommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern. Indie Fernsehantennen. Das Wirkliche bleibt unsichtbar. Wie die Zeitlupe Trostoder der Schrecken. Raumfähre Challenger am Himmel, am Bildschirm verglüht derVorschein und vernetztes Licht, live: der Tod am blauen Himmel.) Die Strahlenin allen Zellprogrammen verändern den fehlenden Namen. Erstieg vom Kreuz, nahm die Frau Magdalena in seineArmeund schuf Menschen. Er hatte also den Tod besiegt.Wie jeder junge Mann wollte er dieWelt verändern, dann aber sah er ein, allesist so / wie es ist.
Judasging auf ihn zu und schrie: du Verräter, du Schuft.Elender,dein Platz war am Kreuz, nicht im Bett.JederIdiot kann Kinder zeugen, du aber, du gehörstindie SCHRIFT.
JudasHerz war ausgebrannt, das Leben vertan.Undjener, den er verraten hatte, sprach ihm gut zu:Höre,jung sein, heißt, die Seele fliegt zu hoch,undfällt dann vom Himmel herab; das Erdenleben,meinFreund, ist ein verdorren der Schwingen.
Aber,sagt er, wenn das Leben kein Blitz mehrim Hirn ist,wassoll ich damit, sieh, wie dumm sie alle sind, im Dreck,Elendund Langeweile.
Derandere, der wußte, will ihn umarmen.Rührmich nicht an, ich glaube an nichts,ichbin ausgebrannt, und bin ein Nichts, sagtederJudas und schrie unbeherrscht los. Alt, docheinKind, keine Reife, der Mann. Reife, die Resignation. Ja, die letzteResignation.Wirwerden uns in einer Stunde/ wiedersehn.Unsre Zeit istvergangen,im andern Blick, wenn wir vergehn.
FREIEZEILENFragmente
Nein,ich bin kein Prophet,deralles weiß, Sein Sprach- und Steig-Rohrheißts. Nein,
Seinist nicht Staat machen,
Seinist. Und fließt durch unsreißtund zerreißt wasvor dir steht und stehtnichtin der Mandel
Bitterdas alte Nichts.Wiejung in allen Augenblickenundauszuhalten.
x
Rücksichtslostun,wasdich treibt, -gegendie Zeit/ Verlust,daßdu lebst.
EinAuf Atmen so,wiedu dich hältst:gehörstnicht dir,
tu,was dich zur Berührung treibt,istewig.
8/89
PAGANINIIPauseHier, spielt, und paginiert,sein Grab in Stagliano, Genua,siehtdas Meer. Wer?Dreifach.Dreiklang, Geigen und Galgen hängenwirnicht hoch. Oder am Himmel. Du Herrgott Zwischenwieeine Terzine die Note in seinem Kopfbesessen.EinTeufel, sagen sie, Dämon,dieSekunde ein Tremolo: virtuos, so über-lebenund endlich alles vergessen.
PAGANINIII, Eine BiografieGestorbenim Ja, verdorben, mein Fleischundwas, du, Herr ist außer dir noch nah,Musik,sagt Nichts. Aus, wortlose Folgegelebt,im Herzen bist du da, spielst über dichhinwegvor Angst, bleibst leer und lebend nur Virtuose,daßsie dir mit den Ohren folgen können. Sie sind erstaunt.
Undsie wehrten sich. Und sie ließen ihn nicht mehr vergehn.VerdorbenesNie, 5 Jahre lag er präpariert für jede Ewigkeitineinem Keller. Dann kam der Überlebte Tod nach Parma,undkam dann auf sein eignes Gut, und kam auch in die Erde,undkam und kam und ohne jeden Ton, wortloswarsdann Stagliano, Genua, das Grab sah dann -stillschweigend Meer. KeinTon, das Spielen fällt ihm seither schwer,undschwerer, fast wie die Erde, die unsdeckt.
KÜHL GESTERN NACHT in LiebeabgeseiltDie Sinne schwanden/ Mitte derNachtDas Jetzt riß ab: im Stilbetteines Reizes
Tor einer Sinnenrose. EntfaltetWeiß das Feld der Atmung
Und Sesam offen/ haargenauDie Springflut.
Die Seile angespanntKommt ihr hinüber
Die Spanne weit
Das Lustsymbolder Riß.
ES GEHT UMS LEBEN wasbleibt,so in letzter Zerstörung,fern glänzendund eisig der letzte Punkt.Man stelle sich vor, FleckenfürFlecken, angesammelt so näheich hierbuchstabengenau und unsinnigNaht für Naht das Zerfetzte,den kleinen Mantel des Lebens:aus/ dem, was nie sein wird.
Vernichten meine Zeit undmeine Träume im Dunkeln flicken diesenMantel Jetzt,Als Dank zu wissen, daß dieder Himmeldurchs Loch den Schein hierblenden läßt,von einem Stern, daslängstvergangene Licht.
KEIN ABSCHIED, keinefernen Taschentücher, Träneins Fenster
Ich seh nur deine Hand imTürSpalt, schnell gereichtdas Schwarze Buch, nimmkein A-dieu, darüber hinweggegangen, hart bist dudie Schale deiner weichstenFrucht.
Und lag dann doch, weilich den Spalt zur Türgemacht,mit meinem Kopf in deinemGras
und seiner Umkehr Frauder Duft mit meinen Lippendu, die ichhier nur gesprochen.
Ist es nicht so,du kannst nicht Aschiednehmen,es gibt kein Nie und auchkein Wo,wir sind dann nichtgetrennt,in uns ist Abschied
Wir sind schon immermit dem Tod verwobenDADER GELEBTE AUGENBLICKUnd ich: wer bin ich da Undbin ich da? Was seh ich da:haus pinie blau ein himmeldie pinie grün kalkweiß derstein
der golf hat ruhe wie in ihmgespürdoch hat er mich gespürtich/ ihn erst du läßt mich ihn sehnmein offenes ohr/ ein wort
grad geht die sonne unter wie jeden tagsagt Hume: der Augenblickgewohnt ist da ein Nebelhornsingt die Sekundeals Sommer schon so spürstdu/Jetztbewegt was ist
hier ist mein offenes ohrdie zeile die den golfausklinkt:und ich verlass den starrenkörper.Wir schrieben`s auf undwaren dawie schön wie schön aufdieser welt /zu seinbald bin ich fort und ihrbleibt hiergibts dafür einen grund?(HIER: sieh, ichsage hierich sagenein. Solang ich sage).
UND jetzt: der nasse Pudelsetzt sich hermit seinem nassen fellauf dieses blatt papierund weiß nichts von demgrunddem blatt auf dem er sitzt verwischt er alle meineZeichen .MITTEL MEER
Die Landschaft ist dir nurein Halbschlafblitzende sonne im wasserihr wort und kein geheimgang mehr
Laute wie der möwenschrei: ich bin doch wirklich, sieh,noch da!Welch eine botschaft/ diedich noch erreichen willaußer keinem streckt sichin der geschriebenen möweerst ein anderer erlöser auswie ich daran erwache ineinem kurzen Blitz hier eden -mein herz schlägt höher ein.Das bild des alters ist/dies unverhoffteglück das Nie/ wie`s grüßenließ.
WAS SUCHST DU HIER/ das meerversucht zu glänzensein heimgang absolviert alswärs das ganze garwas war: du korrigierst wasist"woher du kommst, sogeh zurück und lies,wohin du gehst,"lektüre ist das jetzt das schönegleichgültige meer erinnerst eswas du schon oft geträumtein schiffswrackist der grund nach dem dutauchst und hast was du gefundenhast: in diesem Augenblickversäumt.
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Nachwort
Dieter Schlesak DER SPRACHBAUM, DERHIER STEHT
Die Welt ist ein Sprachbaum derInformation, ein Buch; darin zu lesen, bis in den Aufbau der Genen undChromosomen, gelingt. Doch je genauer es entziffert ist, umso näher demVerschwinden befinden wir uns mit der schönen bunten Lichtwelt. Derdichteste Ort der Welt ist der Kopf, der sie vernichtet, Spiegel des"Schöpfers", der nun zur Erschöpfung führt, eine Art neuerSündenfall; wir kennen den ersten Fall am Baum der Erkenntnis immenschheitlichen Kindheitsparadies Eden. Es scheint sich zu erweisen, daß jeneschönen alten Legenden lauter große Modelle sind, für deren Gültigkeit wirjetzt mit unserem eignen Leben einstehn müssen. Todwar schon in jener alten Bibellegende Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis;das Abreißen der Frucht, - es war ein Eingriff, eine Störung. Heute ist dieserEingriff in die Natur eine große Störung, ja, Zerstörung geworden. ("Felsnach dem Ende. Kein/ Fließen mehr. Nach/dem Fall/ Jahrtausendespät/ versteinertdas Hirn // Erschüttert/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier."Hebräischer Block).Alles ist noch da und doch wie längst vergangen.Und nur noch die Sprache, letzter Widerschein eines möglichen Glückszustandes,leuchtet uns heim, macht die Abwesenheit schmerzlich bewußt und führt dochUnmögliches wieder zusammen, bis hin zum Totengespräch mit den Millionen Opferndieses höllischen Laufes zum Ende falscher Erkenntnis. Aber wie dem gerechtwerden? Den Grund des Hebräischen ins Deutsche zu bringen, gehört dazu. Erführt über die Grenze unserer Vorstellung hinaus. Darauf verweist auch derTitel dieses Buches: AUFBÄUMEN. Dieses "Aufbäumen" geht von einerfigura etymologica aus, daß der "Baum sich auf-bäumt". Darinüberschneiden sich mehrere Sinnebnen. Sich auflehnen; dann das Bild derverbrannten Toten auf einem Rost, Leiber, die sich im Feuer krümmen. Dann dasParadiessymbol Baum und der Sprachbaum der jüdischen Kabbala. Und schließlich,die Vorstellung, daß nach der kommenden Katastrophe der Mensch wieder alsposthistorischer Affe auf den Bäumen leben wird. DieserSprachbaum, dieser Informationsbaum des Alls, von jener unsere Vorstellungüberschreitenden Intelligenz, die man mit einer Metapher "Gott"nannte, eingesetzt, damit ein Mensch, ein Tier, ein Stein, ein Stern, ein Hausoder ein Fluß sein kann, in seiner spezifischen Form so ist, wie wir ihn sehnund kennen, wird nicht mathematisch, sondern poetisch oder"poietisch" (alte Lehre vom Bau und der Struktur) in der Genesisentfaltet. Ihre geniale Proportionslehre (im Hebräischen) freilich läßt sichnicht in unsere Neusprachen übertragen, denn in jener Vor-Babel-Sprache liegthinter dem Namenssinn noch der Zahlsinn, da jeder Buchstabe gleichzeitig Zahlist, und so ein hintergründiges Bezugsgeflecht entsteht, das im Satz oft mehraussagt, als die Erzählung, die naiven Geschichten also von Adam und Eva, odervon Noah und der Sintflut oder von Kain und Abel. Wir tun es und wir gehn damitum seit Kindertagen und wissen es nicht. Die Katastrophe der heutigen Welt hatdamit zu tun. Aber auch damit, daß Zahl und Name, technisches Wissen einerseitsund andererseits davon wissend ihm zutiefst ent-sprechen können, auf tödlicheWeise getrennt sind. Und offensichtlich widersprechen die hergebrachtenDenkweisen und Vorstellungen, Normen des Verhaltens und der gesellschaftlichenOrganisation in geradezu gefährlicher Weise jenen mathematischen Wissensvoraussetzungen,die genau diese Lebenspraxis hervorgebracht haben und sie täglich ermöglichen.Wir alle gehen täglich mit den elektronischen Haustieren, wie Radio, Fernseher,Computer um, die die Zeit- und Raum überschreitenden Tiefendimensionen in unserenAlltag holen. Doch diesem Eingriff in die Natur durch die Technik ist dasBewußtsein und die Moral entzogen. Und auch eine Lebens- und Denkpraxis, dieauf einer Ebne jenseits der Körperwelt funktionieren könnte. Espaßt zu den Absurditäten des Okzidents, daß er mit einem ungeheuer wichtigenTeil seiner Kultur so umgeht, wie er mit dem meisten umgeht, was nicht in seinrationalistisches Konzept paßt: verdrängend, ausklammernd, hassend. So auch mitdem Hebräischen, dem Jüdischen und dessen gesamtem Kosmos, wo Zahl und Name,Tun und Transzendenz noch zusammengehört hatten. "ERstarb. Wir zerschossen die Tafeln. Das Tetragramm mit der/ Fünf mit der Zehn.Und es knallt so dröhnend lautlos/ in den Ohren der Schrift./ Kugelvokale,Konsonanten zischen, bellen an die Wand.../ Und Einer, der schreibt,zersplittert, zerschossen, verbrannt." (Schrift an der Schwarzen Wand.)
Derhebräische Sprach-Baum der Kabbala ist das Modell für die Struktur diesesBandes, er ist aber verkehrt gedacht: mit seinen zehn Ästen von der Zehn biszur wortlosen, nicht ausdrückbaren Eins ist er auf den Kopf gestellt, geht vonder 10 zurück zur 1 und zur Null, wie beim Countdown: "Null, 10, 9, 8, 7,6, 5, 4, 3, 2, 1...Null./ VOLLE LADUNG, die Welt/ ein Tumor an der Schläfe./ Schreib/ab." (Sphärenklang). Anstatt Schöpfung - die Erschöpfung der Welt. So gehnauch die Kapitel, die einem PROLOG NACH DEM ENDE folgen, zurück von der Zehnzur Eins. Und das Prinzip des Rückwärtsgehens und vom Ende her Lesens wird auchin einzelnen Gedichten angewendet. Ab der Mitte des Bandes ist auch dasRückwärtslesen so angelegt, daß die zwei Zeitbewegungen, eine in die Zukunft,die andere zurück in die Vergangenheit gehen. Die beiden Bewegungen werden wiedie innere Zeichnung einer Sanduhr zu Versen. Diezehn Kapitel haben wie die Äste oder Sphären des kabbalistischen Sprachbaumseine Beziehung zur Bedeutung der ersten zehn Zahlen und Buchstaben. So zumBeispiel I, das letzte Kapitel, das den Bogen zum PROLOG NACH DEM ENDE schlägt,und NICHTS STOCKT. NULL. DER CHOCK heißt; es ist nach der unaussprechbaren,undenkbaren Eins (denn ausgesprochen wäre es schon Zwei) und nach dem erstenhebräischen Buchstaben Aleph, der nicht geschrieben werden darf, eigentlich zumSchweigen verdammt. ("Entworfen der Baum, der in die Zeile wächst. 'Essetnicht davon, rührts nicht an`/ - :2: bereschith bara -, `daß ihr nichtsterbet`. Was/ In dieser Sprache uns fehlt, gehört/ in unsere Spaltung..."Optik der Erkenntnis.) Die SCHRIFT, auch die heilige, beginnt mit dem Geteilten,der Zwei, mit B, dem Beth: "Bereshith bara" (Im Anfang schuf",aber eigentlich im Kopf schuf) denn Resch heißt Haupt, "reschith"Hauptsache KOPF. Das II. Kapitel ist ihm gewidmet: HAUPT SACHE LICHTPUNKT DERÖFFNET. Die 20: Kaph, ist die schaffende Hand. Gott hat ja die Welt aus derschwingenden Information der "Sprache," aus den 22 hebräischenBuchstaben und Zahlen ( Sephira= Zahl, Kräften, Sphären) erschaffen, undKabbala heißt "Macht der 22" (Kaph=20, Beth= 2, La ist das Wort fürMacht.) Diesieben Schöpfungstage hängen ebenfalls mit der Tiefenstruktur der ersten 7Zahlen und Buchstaben zusammen. Die ersten sieben Kapitel (10-4) von AUFBÄUMENhaben deshalb eine Querverbindung zu den sieben Wochentagen und ihrenBedeutungen. Doch sie beginnen erst mit dem vierten Kapitel. Denn Kapitel III-Isind der sogenannte Urraum (Zimzum), der "achte Tag", jenseits vonZeit und Geschichte, doch zugleich in ihnen verwoben: I Null, II Lichtpunkt,III Grenze oder das Hinabgehen in Klang und Form: Dieses Hinabgehen ins Materielleist sehr nah an den Modellen der heutigen Informationstheorie: Erst dieErscheinungsform im Kopf als Wissen des "Lichtpunktes" alsNulldimensionalität des Reshith (allerdings immer noch als berührbareUnendlichkeit) ermöglicht es dem Urlicht der Eins (En-Sof im Hebräischen) hierin der menschlichen Welt überhaupt zu erscheinen. Dieser Punkt aber brauchtLaut und Klang, die Begrenzung, Umhüllung des Unmeßbaren, Verstofflichung desGedächtnisses, das nicht von dieser Welt ist (Wissen im Samen, in den Genen,Chromosomen, dem Atom), Mater Materia ist ja Geist, der nicht als Geisterscheint,aber er braucht die Form, die Grenze, um sich verkörpern zu können.BINA, der dritte Ast (oder die 3. Sphäre) die Ur- Mutter ermöglicht es. Wirsahen, der Ausgangspunkt von AUFBÄUMEN ist das Essen vom Baum der Erkenntnismit allen Folgen. Es gibt dazu eine schöne altjüdische Legende: als Gott sichin Adam verkörpern wollte, dem Ebenbild, gab es ein großes Geschrei im Himmel,weil Er Adam mit den eignen göttlichen Kräften und Möglichkeiten ausstattenwollte. Da erbot sich die Schechina ( die mystische Rose), diese Ur-Mutter, mithinabzugehen und als "Einwohnung Gottes in der Welt" den Mißbrauchder Erkenntnis und damit ein kosmisches Unglück zu verhindern. Es scheint nichtgelungen zu sein. Der Strahl, der über sie die 7 Tage (oder Stufen) derErscheinungswelt als kosmischen Bau bildet, war zu stark, dieseSchwingungskonfigurationen brachen vor allem im Licht der Augen die"Gefässe", (das Auge bricht. Lichtbrechung, feste Welt!) der Stromvon oben nach unten wurde unterbrochen. Dazukommt, daß Adam, der Mensch, das Strömen im "Fall" nochmalsunterbrach, das Außen, den Augenschein, die Frucht vom Baum trennte, und so derTod auf die Welt kam, denn der abgerissene Körper stirbt ja"tat-sächlich"; Formen sterben, die Information des Samens, der sieweiß, aber bleibt im Immateriellen erhalten! ("Niemand, der es weiß wieGott: `Iß (ACHOL), so/ wird dein Auge aufgetan,`/ die Netzhaut/ `EinEwigkeitszeichen`." Optik der Erkenntnis). Essen, "Essen" derSinne, Aneignung der Welt heißt im Hebräischen "Achol"; es verbindetA, die Eins, mit Chol, dem Vielen, dem spezifischen Schwingungsklang der injedem Ding als Eigenart vibriert. Liebe ist die Verbindung der fünf Sinne aufhöherer Ebne der Berührung. A-Chol. Das Zerreißen, die Spaltung ist die Hölle.Das Sichtbare, so vom Einen getrennt, ist seither einem furchtbaren Ungenügen,ist den zerstörerischen Gewalten, die Macht über den Körper haben, wehrlosausgeliefert. Heute ist dies als Riß in uns und in der Welt und als Schmerz zuspüren, auch die Not-Wende: Denn noch nie war diese größte humane Aufgabe, dasGanze wieder herzustellen, die abgerissene Verbindung wieder aufzunehmen, solebensnotwendig und dringlich, und dies nicht nur für die menschliche Welt, wiegerade heute. Denn jenes Falsche, jener Makel, eine Wunde, die im Menschen amhörbarsten tickt, ist nicht nur in einem, für viele unerklärlichen Leidensdruckspürbar, sondern auch in der Falschheit des klassischen Erkenntnisansatzes:letzlich hält uns die Natur den Spiegel unserer eignen Mittel und Instrumentevor, so z.B, formuliert in Heisenbergs "Unschärferelationen," die dieBerechnung einer zeitbedingten kognitiven Unfähigkeit sind ( "...Und waswir fassen können, Unkenntnis/ Sprachgewimmel,/ geht Jetzt als Rechnung auf.Licht,/ das diese beiden Welten trennt/ zusammenhält, strahlt/ Aus." Optikder Erkenntnis). Erstaunlich ist, daß sich in der Quantentheorie unserFehlverhalten sogar berechnen läßt durch die auf den Beobachter bezogeneWahrscheinlichkeit und die damit verbundene "unvollständige Kenntnis einesSystems". Das besagt die Formel. Der Physikerphilosoph C.F. von Weizsäckerschreibt sogar "Vielheit ist letztlich nicht wahr. Der Begriff einesisolierten Objekts ist...nur eine Annäherung, und eine schlechte. Mathematischgesprochen enthält der Hilbertraum eines zusammengesetzten Objekts nur eineMenge vom Maße Null von Zuständen, in denen eine bestimmte Zerlegung diesesObjekts in Teile real ist.... Fakten sind irreversibel, aber Irreversibilitätin einem isolierten Objekt bedeutet nur mangelnde Kenntnis der Kohärenz (der`Phasenbeziehungen`) der Wirklichkeit... Objekte (sind) nur Objekte für endliche Subjekte (d.h. für Subjekte,denen gewisses mögliches Wissen fehlt." Aber diese Falschheit und Störungdes Ganzen durch unkontrollierbare Eingriffe ist für die gesamte Natur und fürdie menschliche Gattung insgesamt gefährlich geworden, sie äußert sichökologisch, atomar und in zunehmendem Maße auch im biologischen Informationssystemals Krebs, als Aids und als Neurose und Geisteskrankheit. Aber ist das Falsche nicht schon im Ansatzdes Humanums da, das Auf-Tauchen in der Körperexistenz, somit: Ausgewiesensein,also Hiersein. Die Ur-SCHRIFT, Information und Gottes-Wissen also, die die Weltbaut, war der Bibel nach ursprünglich mit schwarzen Feuerbuchstaben auf weissesFeuer geschrieben ( Atomfeuer, Kern und Schalen?). Innerste Formung, diewirklich werden sollte. Zwei Eingrabungen: Herzschrift und Mündlichkeit, siewaren aber noch nicht sinnlich wahrnehmbar, nur als Gedankenanreger da. Dasweiße Licht war die SCHRIFT. Der Baum des Lebens. Das Mündliche und nach ihmVerkehrte, das davon Abgespaltene, Gedeutete und menschlich Geschriebene hießBaum der Erkenntnis, die schwarze Schrift; es waren die Begrenzungen und dieGesetzesmacht, auch die Naturgesetze und die Mächte der Zeit, also des Todes.(Zeitstrafen, Paragraphen, Folter, Todesurteile gehören dazu.) Moses gelang esauf dem Sinai zum weißen Licht, zu den verborgenen Tafeln der zehn Ur-Worte(der Sphären I-X) vorzudringen. ( Der deutsche Vers in AUFBÄUMEN empfindet esheute wie eine Satire: "Mit dem Zungenspitz zur Tafel/ weder Zehn nochschwarzer Stein./ Griffel Staub und etwas leichter./ Besser ist die Einsgelacht/ ganz und gar noch ungedacht/ brennt dir schon der Fingersatz - Spielnur spiel mein Wortschatz weiter/ in der Wüste Himmelsleiter." Sinai.)Alles, was aufgeschrieben werden kann, mit Tinte auf Papier, auch in derGenesis oder der hebräischen Thora, ist nichts als Deutung, ja, nur halbwegsWahrheit, gar Fälschung. Im besten Fall Metapher und Gleichnis, der Rest aberist Schweigen. Im kleinen Blitz der Intuition und Ekstase Nichts als einSchimmer. Aber auch dies ist höchst aktuell. Nicht einmal die so einfachen mikrophysikalischenVorgänge, die in unserem Bildverständnis mal als "Teilchen" , mal als"Welle" im Vor-Schein und "eingedeutscht" da sind, lassensich einfangen, sie sind wie Träume, die am Morgen aus dem Wachzustand verschwinden;als wären sie noch unberührt von der Erbsünde des Augenscheins, dem sogar dieBuchstaben der Genesis ausgesetzt waren, wie die Kabbala meint. Ihrgrobmaterieller Charakter sei eine Folge des Falls. Ebenso wie AdamsLichtgestalt eine materielle Haut bekam und die Erde nicht mehr durchsichtigwar wie vor dem Fall. Der Himmel war dichtgemacht. So wie das Chaos derAugenblicke Jetzt, sei auch die Buchstabenkombination der niedergeschriebenenGenesis noch verkehrt, erst beim Ende der Welt werde sie lesbar sein. EinSpiegel des Sünden-Falls in der Wirklichkeit, so erscheint zwangsläufig allesgespalten und vermischt in Lüge, Wahrheit, Gut, Böse, also paradox und absurd,Sprachprozess dessen, der ist und schon nicht mehr ist: der Abwesende. Aberauch ein paradoxes Problemhandeln im Möglichen leuchtet auf. Nebender mathematischen Formel und der Musik ist das Gedicht die einzige Möglichkeitder herrschenden gefährlichen Hohlform des Wirklichkeitswahns und seinenTäuschungsmanövern und sozialen Manipulationen durch Hinabtauchen in die Tiefendimensionenzwischen den Zeilen zu entgehen, und zugleich zum Angriff überzugehen: so demhistorischen Erbe, dem fassbaren Nichts zu ent-sprechen, - selbst eine dichteSonde im Freilegen des Absurden, wie beim Unfasslichen einer Todesnachricht, andieses anzulegen. Und entlarvt z.B. im Blitz der Erkenntnis, daß Differenz nurgedacht, in Wahrheit aber Alles-Eins ist. ( "Von Schönberg vertont: Es istAlles-Eins." Sphärenklang.) Das Undenkbare des Todes, der Schlag einerTodesnachricht, sind dafür Zeuge. Sie lassen nun auch historische, ontologischeund alle Kategorien der Logik oder der Zeit, Raum und Sprache hinter sich.Heute als Möglichkeit kollektiver Auslöschung, wo jeden Augenblick auch dasGedächtnis und die Toten auf der Erde noch einmal sterben können, ist derGedanke des Todes ein apokalyptisch Allgemeines, in seiner Tabula rasa nochfurchtbarer als früher; "Null, 10/9,8,7,6,5,4,3,2,1.../Null. VOLLE LADUNG,die Welt..." Damit ist freilich Kunst lächerlich, jenes Nichtsein kannnicht mehr an etwas Bestehendem, gar am Schönen gemessen werden, Nein, jederSatz wird durch sich selbst dementiert. "Streich Wolken Himmel/ Blau Meer:immer noch da/ das Bild mit der fliegenden/ Feder hier durch: Viel Rauch/anstatt Geruch wie schön/ die Wolken einst zogen im Hirn:/ Streich durch wasHimmel war/ gebrochen und wir. /Darüber die Erde tief;/ der vergangenen Zeit/entsprochen." Fragmente für das Gewesene Kommen.) Jeder Poet ist wie der Wissenschaftler an dasNoch-Nicht- Gewußte, den alles bedingenden apriorischen Grund (das Eine) durchseinen Einfall gebunden, keine überholte Spezies, nein, er taucht dort ein undholt ein unbekanntes Lebewesen vom Grund ans Licht. Es wurden formale Findungenund Erfindungen, auch Schnitte traditioneller Strukturen (Sonett, Madrigal,Akrostichon, Terzine, Rondell, Psalm, aber auch Innenreim, Anakoluth,Inversion, Paranomasie etc.etc.) zur Herstellung der "Worthöfe" undfür die Differenzen mit dem Nichtsagbaren eingesetzt. Angestrebt wird ein Gedicht über das Gedicht und dieLiteratur hinaus; die Sprache, der Satz, die Syntax der Versbewegung werdengebrochen, als metonymischer Schreibprozess soll die "Wirklichkeit"und unser kausal funktionierendes Bewußtsein umgekehrt werden wie einHandschuh, daß er so im Zwischenraum zwischen 1 und 0 mehr ausdrückt, als wirwissen, wir meinen, den Verstand zu verlieren. Manchmal (vor allem im VII.Kapitel) ist es ein Gespräch mit den Toten, die auf einer Ebne mit mehr Bezügenleben, es wird so möglich, sich jenem Glück zu nähern, das wir schon hierempfinden können, wenn das Netz der Zusammenhänge dicht ist und reich, schon imUndenkbarbaren an der Grenze unserer Vorstellung, ziemlich nahe in der Reihedes Zählbaren mit der Eins und dem Einen, nicht mehr getrennt und gespalten,sondern heimgekehrt. "Die Leute gingen /in seine Verse hinein/ wie ineinen Gasthof, um vor dem plätschernden Regen /der Sekunden sicher zusein." (Geistergespräch. Milton). Auch wir freilich wissen genau so wenigwie die Spinne, wie wir unser Netz weben, das dauernd zerreißt, und wirSchmerzen empfinden, weil wir im Zerrissenen leben müssen. Und im Zweifel, daßes doch nur ein Surrogat ist:"Unsichtbar schmerzt ein Papierkind."Und: "Aufs Blatt geworfen, solange die Stunde/ hält,// ein Hof,sonst/stürzt du atemlos/ hinab.//*/Zurück, zurück. Die Spindel Spur:/ der Zornnach vorn, nur was dazwischen/ sinnt, kommt noch im Himmel vor."(Schatten, ein Blatt).Wäre eine Herausführung und Engführungdurch WORTHÖFE und Sprach- BERÜHRUNG in "Zustandsräumen" möglich? DasUnversöhnliche zwischen Unsagbarem und Sagbaren, dem Noch-Nicht, uns und derandern Ebne, den getöteten Möglichkeiten und dem Vergangenen zu heilen? AberBerührung wird ja erst möglich in Zuständen zwischen Leben und Tod, in Sphärenvon denen wir durch den Körper getrennt sind. Und diese Art zu denken isttabuisiert, mit Vergessen auch in uns geschlagen. Muß der Verdrängung desUnvorstellbaren auf allen Ebnen mit INVERSIONEN geantwortet werden, wie es PaulCelan versucht hat, ebenfalls mit Para- und Hypotaxen? Freilich, man müßteselbst vom Blitz getroffen sein, um zu "wissen". Und der Zweifel istquälend, ob es nicht nur Annäherungen am Blindenstock der Feder sind! Es istaber so, daß viele von uns selbst täglich mit innerem Druck den Todeszustandfühlen. Günter Kunert sprach von einem "neuen Leiden", die wirklichneu seien: "daß der Tod, eine ART Tod, mehr eigne Realität besitze als dassogenannte Leben... Sich des Abgetötetwerden oder Abgetötetseions bewußtwerden, löst das Schreien aus..." Die Metapher ist ein vielleicht antiquiertesSprungbrett dahin zu kommen, wo wir uns jetzt befinden, hinüberzukommen in denhistorischen Nullnereich, wo womöglich eine Tür wartet. Aber auch diegescheiterten Versuche entsprechen genau dem radikalen Nachher in dem wirleben, als Gespenster der Geschichte. Dieses Desaster ist aber nicht alltäglichbewußt, der Todeszustand ist fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber inbestimmten Augenblicken ist es wie ein Stich: daß alles vergangen ist und wirdoch noch da sind. Auch gibt es da keine "Einfühlung" mehr in Kindund Kegel etwa, in einen Baum, in eine Blume. Es gibt sie ja nicht mehr. Esgibt nur noch Namen dafür. Sie selbst aber sind deutlich am Verschwinden, undwir halten davon nur ein wenig Erinnerung fest, deren falsche Zusammenhänge soetwas wie Wirklichkeit suggerieren. Die erinnerte Welt selbst aber gibt es, nunschon fast augenfällig, nicht mehr. Ein altes Haus, einen gesunden Menschen,einen Fluß, in dem noch Fische oder Pflanzen leben können. Zeit ist passé,nicht mal einmal, geschweige denn zweimal kann man im gleichen Fluß baden. Werkönnte da noch seinen Augen trauen! Zum Beispiel einem blauen Meer. Und- weiß der Baum, daß ich ihn "Baum" nenne? Ich weiß es, daß er esnicht weiß. Aber etwas weiß in mir, was er ist. Kann er, der heute kranke Baum,durch das Licht des Bewußtseins erlöst werden? Arme Paradiesische Vorstellung.Nein! Doch genau damit beginnt dieses Buch: Mit einem PROLOG NACH DEM ENDE.Und: "...Kein Hals/ mehr für oben: der Galgen ist/ eine Feder." (Esist). Ist der Autor also ein unverbesserlicher Pessimist? Nein. Das VII.Kapitel spricht (analog zur7. Potenz, dem siebenten "Ast" oder "Sefiroth" desSprachbaumes) vom TOD, DER LEBEN KANN , aber gleichzeitig von der Geduld, mitder auf das Unmögliche gewartet werden muß: "EIN LETZTES MAL du weißt/ esgut/ wohnt keiner mehr/ und dauerhaft zu Haus.// Die Grenze höher/ weigernd/steht." (Für Borchardt). Esist eine Absenz, die das Schreiben bis hin in die Satzfügungen, bestimmt, aberes ist durch den Abschied vom festen Boden wissender und reifer geworden. Nuraus der Erinnerung wird scharf geschossen: "Vor dem offnen Fenster einFluß, das andere Ufer/ vom Wachturm, dem Gleichnis besetzt."// In somma,den Stuhl vor die Türe/ gesetzt, ist ein Leben." (Schatten, ein Blatt). Auchder geographische Weltwechsel, die Heimwehkrankheit, die Sehnsucht nach einembestimmten Ort, ist vom Ende überholt, nur noch ein Zeichen für einen anderen,von ihm selbst verdeckter Widerschein eines fernen Lichts. Dessen Ort zeigtsich mit dem eignen Altern und dem der Welt, die sich schon an einer Grenzebewegt. "Zwischen den Stühlen der Generationen/ sitz Ich. Auf dem Tischder Sprung im Glas, hinüber ist das Herz gekommen, ein Riß." (Schatten,ein Blatt). Von oben, vom III. Kapitel an (DIE GRENZEBERÜHRT) und vom X. Kapitel an, von "unten", dem JETZT (WER IST NOCHAUSGEWIESEN) kommen die zwei gegenläufigen Zeitbewegungen des Exils. "Überdie Grenze kam er/ nie hinweg, er// fremd an zu Hause." Und:"...Hinter seinem Rücken vorbeijagen, die Ewigkeit/ erreicht auf dieSchnelle?" (Chronokratie). Aber jeden Augenblick ist der Einbruch desUnvorstellbaren möglich. DerRiß und die Chance, Verleugnung der eignen inneren Wahrheit, zugleich derAufstand dagegen, zeigt sich in der Geschlechtsliebe, der schaurigen Tiefe derSexualität und Partnerschaft, dem eigentlichen Krieg heute. Das IX. Kapitelheißt: DAS LUSTSYMBOL, DER RISS. Denn in der Liebe kann nicht nur das Zufügen,sondern auch das Zusammenfügen, für Augenblicke also das unterbrochene Strömenwieder gelebt werden. "Und Sesam offen/ haargenau/ Die Springflut.// DieSeile angespannt/ Kommt ihr hinüber..."(Kühl gestern Nacht). Vom sechstenzum siebenten Tag (vom IX. zum X. "Ast" des Sprachbaumes), klingt der"Hieros Gamos" immer noch an, als wäre die Spaltung aufgehoben: TOREINER SINNENROSE. Und ist doch Betrug: "Wo bist du, Liebste, wortlosSprachschatz/ der Gefühle... Weißt du das Falsche/ Wo es stimmt?" (Jahrevermessen). Qual der Sinne, durch die der Same weiter will, Vereinigung vortäuscht,mißbraucht eine Frucht, bevor der Prozeß überhaupt beginnen konnte."...die Liebe federleicht fliegt fort,/ die Uhren haben die Genauigkeit/des Todes".( Augentier.) "Die Hora mortis war ein Trick,/ damit sichkeiner aufzubäumen traut." Aufbäumenwenigstens im Wort? Das VIII. Kapitel heißt: SPRACHE, DIE BRÜCKE. ("Wiehast du mich gequält/ langjährige Liebe/ Zeile.) Der Sprach- der Lebensbaumverbindet genau wie der Liebesakt (es IST ein Liebesakt, die Zusammenführungder Sphären X und VI ) Himmel und Erde, ist Form des Wissens hier. Doch seineImitation im Buch bringt höllische Zweifel und den quälenden Lebensverlust mitsich: "...Als ein Leben wächst.// Hier löscht es meinen Namen aus,/ liestmich auf, wird zu einem/ Fall im Nichts- und im Niemandsland,// die Wundeanstatt ein Haus." ( Du, Vers.) Und auch sonst ist Sprache, das Mündliche"draußen/ in der Rede ein böser Tag." (Schlimme Nacht). ÜberKapitel VII: TOD, DER LEBEN KANN, daß trotzdem oder gerade wegen der erlebtenAbsurdität, die Hoffnung auf das für unseren Verstand Unmögliche ist, habe ichschon gesprochen. Und daß mit dem Absurden gearbeitet werden muß: diesesAnnehmen des Absurden als Zeichen gehört zum AUFBÄUMEN, ist sogar einer Totaledes Widerstandes. Gemeint ist, daß die Zerrissenheit jenes hier spiegelt, wasbis zum Wahnsinn das Fehlende, die Wunde ist. Kapitel VI handelt vom Vergangenen, das nichtvergehen will, um uns ist lauter Gewesenes in Raum und Zeit. (Die Schwere derunbeantworteten Erinnerung. Dann die Uneingelösten Zeichen der Kindheit. Das,was jedem einmal schien, wo aber noch niemand war, Heimat. So sagte es einmalErnst Bloch.) Doch es wird in jedem Augenblick übergangen, jeder Augenbliickist noch nie dagewesen, neu. Das Unwahrscheinlichste kann jeden Momenteintreten. So wie der Lichtblitz auf dem Sinai. Dieses Plötzliche, die möglicheÖffnung korrespondiert mit der I. Sphäre. Und mit der VII. Wenn man schon garnicht mehr daran glaubt, in der Hölle des Transzendenzverlustes, im Schmerz, imInferno lebt, ist die Rettung ganz unerwartet da. Alswäre die V. Stufe, ( dazu das Kapitel V: SCHRIFT AN DER FESTEN SCHWARZEN WAND)- die Vernichtung dessen, was uns unmittelbar umgibt, die Blutspur derGeschichte, das aktuelle Gewaltpotential, die Bedingung der Apokalypse, diesesTabula rasa auch die Möglichkeit für die radikale Wende und Rettung. Macht- undStaatsterror, Terror der Masse unterbrechen den Strom nach oben, doch geradedadurch entsteht ein großes Vakuum, eine große Absenz, die einen Wirbel, eineGegenbewegung erzeugt, wie die Negation in der Geschichte, diese schließlichkippen läßt. "... sechs Schützen sind die Tiere.../ Und die Null ist schon fertiggeweint." (Schrift an der Schwarzen Wand)."Als wären die Toten ein Und". Endstation der Geschichte: "Ichaber stand mit Siebzehn nackt im Schnee,/ sagt sie, man wählte für die Kammernaus.../ Ich habe überlebt./ Sie zählen bis Zehn/ und nicht mehr weiter. Seitherist Ende; alles tut weh; wir leben nicht mehr. // Wisch mich aus deinemBuch." (Siebzehn). Die Millionen Opfer wissen mehr. Sie haben allesüberholt. Nichts bleibt, was war. Denn wenn überhaupt noch Sinn sein soll, imTod der Millionen, muß es ein undenkbar neuer sein. "Man redet umsonst vonGerechtigkeit, solange das größte der Schlachtschiffe nicht an der Stirn einesErtrunkenen zerschellt ist." Schrieb Celan. Lächerlich jedeBegriffsbrücke, die am höllisch gelebten Augenblick vorbeigreift - reiner Hohn,Moral, Worte, Verse? Das Absurde, Unfassbare allein spiegelt in unseren Mittelnetwas von der Wahrheit; als habe sich die nur geahnte Un-Vorstellbarkeit in derGeschichte gräßlich wahrgenommen. Es war etwas offenbar geworden, was nichtseinesgleichen hatte. Das Feste; Zeit-Raum- Vorurteil, Ego, Eigennutz, Machtdes gesellschaftlich verfassten Außen als Technik und Bürokratie - haben inletzter Konsequenz jenen ORT hervorgebracht. Und doch geht alles weiter, alswäre nichts geschehn. Dabei war Nichts tatsächlich geschehn. Wie ist dasmöglich? Dasunfassbare Geschenk Licht, das alle Dinge erst möglich macht, in uns als dieMöglichkeit der Zusammenführung im Blitz der Hirnsyntax liegt, ist umgeleitetworden in seine Beherrschung für Raubbau und Profit. Davon ist im IV.KapitelGELENKTES LICHT die Rede. "Im Kreis: AtomPupille wuchs,/ FingerflugLeitstrahl/ Tod wie Sand am Meer:/ Am Ende Eins/ Lichtblitz geblendetes Augehier/ maß-Los über dem Abgrund..." (Optik der Erkenntnis). Das Resultat:die Angst, Zugehörigkeit höre im Tode auf. So muß er verdrängt werden, notfallsdurch Massenvernichtung. Als wäre er abschaffbar. Und das Geschrei der Engel,als Gott Adam ebenbildlich mit seiner Wissens- Macht ausstatten wollte, warsicher berechtigt. Auch das Angebot der "Schechina", der Ur-Mutter,Adam zu begleiten, ihm auf die Finger zu sehen, hat nichts genützt. In der drittenSphäre taucht sie auf. Ihr ist das III. Kapitel gewidmet. "...lebt nochund baut im Nichts ein Herz/ der Farbe: Immernie// und wohnt lang nach dem Tod/ein Leben durch die Augenwand." (Haus mit dem Baumwappen) Abstieg derEins, des Lichtstrahls durch sie, die Umhüllung des Kerns. Doch davon und vomII. Kapitel dem Lichtpunkt war schon die Rede. Und schließlich das letzte (oder erste)Kapitel, das alle andern zusammenfasst. Auch davon war hier schon die Rede. Injedem Leben, vor allem aber in den Schrecken der Geschichte zeigen sichMißgriff und Fehlschlag. Wessen? Ist Gott die Absenz, ist Gott heute der Tod?Das Nichts ist im Hebräischen Gott. Ayin heißt Nichts. Es ist zugleich Nameeines Buchstabens, er hat die Bedeutung von Auge. Diesesletzte Kapitel, das Eine als treibende Absenz ist in allen andern enthalten,alle andern Stufen von X-II sind Erwartung, Wartezeit. Die schmerzende Absenz,ein sich ins Absolute verwandelndes Heimweh, das keinem Land mehr angehört, dasdie Substanz des Fehlenden verdeckt, ist Hohlform unverzichtbarer Hoffnung,seiner Nirgends erkennbaren Gestalt: "Sekunde, der Riß/ im Kopf das Hirnder Dornen. Ein Lichtblitz in jeder Zelle.../ Nichts ist entschieden. Erst ausdem Auge des Fehlenden käme der Blick, der dich sieht.../ Doch das Fehlendekommt. Schon pfeifen es alle Kugeln von den Dächern." (Hinrichtung.) Indiesem Gedicht ist von der Kreuzigung die Rede. Sogar von Christi Resignationam Kreuz, die Absenz des Andern ( Vater, warum hast Du mich verlassen?) zwingtihn zur "Vernunft", er steigt herab, er heiratet.("Erschüttert,/ aus dem Mund/ kein Gott, Gebrochenes/ Hier."Hebräischer Block). Diese "Vernunft", die Sonde der großenterroristischen Staats- und Ausdrucksmaschine erledigt jeden mit der Zeit. Wirwissen es immer: wir müssen unser Leben ändern. Nur wie? Das Zum-innern-Ort-kommen, wo etwas einbricht, das uns erlöst, liegt nicht in unsererHand, und schon gar nicht im Kopf. Das ganze VII. Kapitel ist diesemUnplanbaren, Undenkbaren gewidmet. Und dem Totengespräch jenseits des Fassbaren."Vergessen der Namen,/ ein Dunkel, ein Platz,/ wo sie waren." (FürIon Caraion). Das Vertrauen freilich, daß das Unfassbare jeden Augenblickeinbrechen kann, jene Berührung und phantastische Öffnung sich gerade danneinstellt, wenn wir am wenigsten darauf hoffen, wir völlig deprimiert, zerstörtsind, gehört zum Abwesenheitsglauben, einer Art anarchischen Mystik desNegativen, wie sie in der Nachfolge Sabbatai Zwis und Jakob Franks auch inchassidischen Kreisen kultiviert wurde. Dieser mystische Nihilismus ist heutehochaktuell. Und zwar bis in die Sprach- konsequenzen hinein. ( "Löschtedas Augenlicht, also/ die Landschaften und Städte aus, trog/ nicht mehr, Neintrank/ die Welt täglich aus./ Es gab keinen andern Weg mehr/ als Jahre: gingenhinüber,/ wo ein anderes schwereres Warten war/ das Weinen das Lachen und jederErfolg Ja/ die Frauen nur etwas Trauer// Als hätte ich alles überlebt./ EinAnfang klopfte/ ganz ohne Tür bei mir an." Zeitpunkt.) Selbsterlösung (dieganze Zivilisationsgeschichte ist dafür ein Beispiel): - Ungeduld führt intieferes Elend, es ist ein Ertrinken in der Zeit; in der Vergötzung desFassbaren wird der Sündenfall täglich wiederholt. "Der/ Himmel, nein, erkennt kein Grab./ Und weiß und schneid ihn ab, damit er/ nicht vergeht. Wasbleibt./ Ein weißes Blatt. Gewebe/ Muster. Der Tod spricht nicht." (Esgibt kein gestern.) Das "Nichts", wo alles, was fassbar ist, gar das"Glück" abwesend sein muß, ist ähnlich dem Todesgefühl, ("Sinne?Woher genommen, mundlos// gesagt, Worte durch die Trennwand/ gedacht; dort bistdu dich los./ Und die alte Wunde tickt leise." (Blumen, dort nichts). Wodas EINE ist, sind wir nicht, weil "Es" dort ist, - und dochverwandelt es uns im Blitz einer Zusammenführung mehr als alles andere."Ein Loch im Fundament öffnete den Einblick.../ Noch einsamer als der Herrist Niemand." (Das versteinte Buch). "...durchstreicht/ das Nichts/jeden Blick, der/ festgegraben war/ im Schein." Im Poetischen ist es wie im Leben, dieUntätigkeit, das Lernen der Langsamkeit ist ein höheres Gut: Die vergessnePause der Sinne wahrzunehmen, um jenem Einbruch eine Chance zu geben: sichzurücktreten lassen bis hin ins Gedächtnis eines Grashalms, eines Vogelgesangs,der zerklüfteten Steine oder des Meeresgrundes, den wir voller Schreckenmanchmal sehn, indem wir den Atem anhalten und fast ersticken beim Tauchen, undbeim Sehen des Grundes, der Ungesehene in Gedanken, der mich freilich einmalverschlingen wird. So läßt das Ungesehene sich auch in den Wörtern finden, wennman nicht gewaltsam eingreift. ("Du/ redest dir ein, daß du bist. Rede/ duschwerstes Nein." Hieronymus in der Zelle). DerVERWESER ist die SPRACHE selbst als Agens der Zeit. Nur der Tod rast, und dasfühlen wir: voran, wartet, der einzige Grenzwirklichkeit, die das beredte Sehndurchstößt in schmerzhafter Ahnung. Der Tod aber ist heute kein individuellesEreignis mehr, sondern ein historisches, ein kollektives, Drohung desUntergangs und des Erinnerns an unvorstellbares Grauen. Nach Hegel wird eineZeit kommen, wo der Tod ein menschliches Leben führen wird, sie ist da, dieseZeit. Doch heute, an diesem Punkt des Übergangs von Zeit, wo wichtiges überÄußerstes zu sagen wäre, steht in dieser Geldidylle Europa keine Sprache zurVerfügung und kein Bewußtsein davon. Wir haben alkle eine downer-Programmierungin uns, so ist es unmöglich, den neuen Weltzustand des Übergangs, den wirerleben und nicht wahrnehmen, mitzugestalten. Er ist von uns verlassen, wie wirvon ihm. Denn "normale" und Alltagssprache im Mündlichen des Dialogs,gehört der Vergiftung an, macht blind, wie die zweiwertige Logik, wie dieAlltags-Umgebung, Partner, Institutionen, Gesellschaften stehn heute dafür nochnicht zur Verfügung. Was um uns ist, verfügbar, sind Relikte des Gewesenen, undwas wir ahnen, ist überdeckt vom Schleier des dauernd schon Vergangenen."Verhangen Verhängnis/ Iris.// Atomschleier:/ rund rast wie Licht /Erselbst/ oh Auge/ kein Staunen." (Wirklichkeitswahn). DasTotengespräch wäre das einzige literarische Mittel, Geschichte am Ende insolchem Grenzgang vorauszudenken, und die Vergangenheit, die unfertig und imVerbrechen stecken blieb, in diesem weißen Blitz der Imagination zu öffnen, ja,als wäre sie wieder verfügbar, und alles Versäumte noch zu erlösen. Denn dasGanze erst leuchtet wirklich heim. Ja, mehr als das Leben, ist die Hoffnung, diesich probeweise so verwirklicht: zuweilen wie ein Fotonegativ - entwickelbar,als wäre dieses in dieser Unzeit ein Widerschein von Heimkehr. Das Gedicht lädtdazu ein, Wort für Wort heimzukehren, doch dazu müssen Worte im Schweigengewaschen, das beredte Sehn durchstoßen werden. "Rücksichtslostun,/was dich treibt, -/gegen die Zeit/ Verlust, daß du lebst.//Ein Auf Atmenso,/ wie du dich hältst: /gehörst nicht dir,/ tu, was dich zur Berührungtreibt,/ ist ewig." (Freie Zeilen).
Eine Rezension:
Wiederkehr des absoluten GedichtsDieter Schlesaks Lyrik-Band"Aufbäumen"
Worte, Worte-, Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausendeentfallen ihrem Flug": Mit solchen pathetisch glühenden Sätzen formulierteeinst Gottfried Benn das Evangelium seines"absoluten Gedichts". Seinemonologische Dichtung der"Wallungswerte" und semantisch aufgeladenenEinzelworte ist seit den sechziger Jahren oft totgesagt worden. Man kritisiertedie Geschichtsferne von Benns Konzept und seine metaphysische lüberhöhung despoetischen Prozesses.Die Texte, dienun der rumäniendeutsehe Autor Dieter Schlesak in seinem Gedichtband Aufbäumen vorlegt, arbeiten unübersehbaran einer Rekonstruktion des "absoluten Gedichts". Zwar will Schlesakkeineswegs die Bennsche Kunstmetaphysik revitalisieren. Im poetologischenNachwort, das er seinem Band beigefügt hat, rekurriert Schlesak auf Paul CelansDichtung der Sprachmaeie und auf Denkfieuren der iüdischenSprachmystik, der Kabbala. Aber in der poetischen Praxis führt dieses Konzeptzu ähnlichen Ergebnissen wie bei Benn.Denn auchSchlesak vertraut in seinen Gedichten auf die evokative Kraft des se mantischaufgeladenen Einzelwortes, auf die magische Aura bedeutungsschwererSubstantive. So flattern in seinen Gedichten die "Gleichnistauben"auf, registriert das lyrische Subjekt den "Sphärenklang" des Seins.Ziel seiner lyrischen Exkurse ist die "weiße Gegend", jene Zone desUnvordenklichen und Unsagbaren, in der sich die Geheimnisse der Weltoffenbaren. Die "weiße Gegend" setzt Schlesak synonym mit einemZentralbegriff der Kabbala: dem unaussprechbaren "Nichts", das denUrgrund des Seins bildet. Über die mannigfachen Analogien zwischen derBilderwelt der Gedichte und den Symbolen und Motiven der Kabbala wird man imNachwort eingehend unterrichtet. Aufbäumen,der Titel des Gedichtbands, verweist nicht nur auf den biblischen"Baum der Erkenntnis" und den "Sprachbaum" der Kabbala,sondern zitiert auch Bilder der revolutionären Auflehnung und der Katastrophe:)etwa das von Celan überlieferte Bild derverbrannten-'-I'o-ten,-der-si-ch- a-ufb-äur-ende-n Leiber im Feuer. Im Nachwortsignalisiert Schlesak auch den hohen Erkenntnisanspruch seiner Gedichte. DerLyrik, heißt es da, falle die Aufgabe zu, in"Worthöfen" und"an Sinn- und Sprachrändern das Nichtsagbare anzugehen" und"sich den offenen Augenblick, dem Unvorhergesagten zu überlassen".Das sprachmystisch inspirierte Gedicht ist für den Lyriker Schlesak der letzteOrt, an dem man sich den von einer funktionalistischen Welt verursachtenTennungen und Spaltungen widersetzen und zur Erfahrung des Ursprungs und desWelt-Zu-sammenhangs gelangen kann. Es geht aber in diesen Gedichtennicht nur um mystische Erfahrung, sondern auch um historische Erinnerung. Nebendie des Eingedenken der jüdischen Leidensgeschichte tritt bei Schlesak diepoetische Erinnerung an die verlorene Heimat. 1969 hat der Autor Siebenbürgen,das Land seiner Herkunft, verlassen, ohne seither je wieder an einem Ortheimisch werden zu können. Dieser schmerzhafte biographische Bruch hat sich inseine Gedichte eingeschrieben, erscheint dort in hermetischer Chiffrierung.Denn fast alle sinnlichen Wahrnehmungen, persönlichen Beobachtungen und Erinnerungenwerden in diesen Gedichten in eine dunkle Metaphorik transformiert. Schlesakssprachsystematische Poetik realisiert sich in Texten, die sich um großeexistenzielle Schlüsselwörter gruppieren: Nichts, Sein, Zeit, Ewigkeit, Gott,Tod und Grenze bilden die elementaren Vokabeln dieser Poeme. So entstehen fastdurchweg hermetische Gebilde: "Hebräischer Block / kommt näher.Fels nach dem / Ende. Kein / Fließen mehr.Nach / dem Fall / Jahrtausendespät /versteinert das Hirn // Erschüttert, / aus dem Mund, / kein Gott, GebrochenesHier."Schlesak sucht das ästhetischeRisiko: Das Gedicht wird von ihm zum transzendenten Schöpfungsakt erhöht, deralle profanen Erkenntnisprozesse weit über steigt. Auch hier entsteht also ein"absolutes Gedicht", das die der Sprache immanente Magie entfaltenund mystische Epiphanien vermitteln will.Diesen selbsterteilten Auftragkann Schlesaks Gedicht nicht immer erfüllen. Auf der Suche nach kosmischenUrworten verfallen seine Gedichte zuweilen in ein sakrales Raunen, das suggestiveErlösungsformeln herbeizitiert. Die "radikale Umkehr aller Vorstellungenund Worte" bleibt hier eine poetische Utopie. Aber es finden sich in Aufbäumen auch Texte, die in ihrerGenauigkeitsemphase an die DichtungCelans heranreichen. "Das absolute Gedicht", formulierte Celan 1959,"nein das gibt es gewiß nicht, das kann es nicht geben!" Aber, soCelan weiter, es gibt den "unerhörten Anspruch" des Lyrikers, der"mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeitsuchend". Dieter Schlesak hält an dem "unerhörten Anspruch" desGedichts fest.Und das ist schon viel. MICHAELBRAUN
(Frankfurter Rundschau)
STIMMEN DER KRITIK
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