„Off The Record“
(Bureau B/Indigo)
Verzwickte Sache – der Mann hat ein Problem. Und wir gleich mit ihm. Seit Karl Bartos Kraftwerk 1990 den Rücken gekehrt hat, will ihm wirklich Wegweisendes nicht mehr gelingen. Nicht mit der Rheingold-Koop Electric Music, auch der Stern von Sumners und Marrs Electronic verglühte so schnell wie er aufgestiegen war und die bisherigen Solowerke unter eigenem Klarnamen waren nicht mehr als solide Arbeitsnachweise. Einst noch Revolutionär, später dann Kunstprofessor mit kinematografischer Passion, nach Rock’n Roll klingt das nicht mehr. Mit den früheren Kollegen Wolfgang Flür und Florian Schneider spricht er ab und an, der Kontakt zu Ralf Hütter ist abgebrochen – Bartos bedachte dessen ReWork- und Animationstour unter altem Namen denn auch mit wenig schmeichelhaften Kommentaren ("Forget about technical nostalgia in 3D...“/Quietus). Und nun wird gerade er, der ein eher ambivalentes Verhältnis zu seiner musikalischen Vergangenheit pflegt, von seinem Label auf den Dachboden geschickt mit der Bitte, doch ein paar alter Bänder aus den 70er und 80er Jahren aus dem Staub zu kramen und für seine neue Platte gewinnbringend aufzuhübschen.
Soll heißen: Der Mann, dem Retro immer ein Dorn im Auge war, gibt nun mit „Off The Record“ den Retrospektivisten – kann das gutgehen? Es ist ja nicht so, dass Bartos nicht wüßte, was für ein heißes Eisen er da anpackt mit Stücken, die bisher – aus welchen Gründen auch immer – auf keiner offiziellen Kraftwerk-LP zu finden waren. Dem Internet-Portal emusic erzählte er neulich: „A song like “The Model” cannot be that good because “The Model” was written more than 30 years ago, and it has gone through so many filters of time.“ Deutet man dies um, heißt es nichts anderes, als dass jemand, der heute noch den Sound von damals zu verfertigen sucht, nur scheitern könne. Gleich das erste Stück „Atomium“ soll also die Probe auf’s Exempel sein – einem der Urthemen seiner Vita und Band verpflichtet („...the rise and fall of the atomic age...“) – hier klappt sie, die Transformation ins heute, die Erinnerung setzt den Rahmen und wirkt trotzdem ganz und gar nicht staubig.
Bezeichnenderweise wird es immer dann grenzwertig, wenn Bartos meint, sich neue Klangspektren erschließen zu müssen: Bei „Nachtfahrt“ fühlt man sich schnell an den süßlichen und unironischen Kitsch von Schiller oder Peter Heppner erinnert, auch „International Velvet“ gerät eine Spur zu gefällig und lieblich. Bei „The Tuning Of The World“ stört das Weichzeichnnerische des Sounds ebenfalls – nebenbei, allzu pathetische Lebensbetrachtungen („I wish I could belive in God...“) möchte man von diesem Mann eigentlich nicht hören. Dagegen steht die gelungene und mehr als augenzwinkernde Adresse an seinen früheren „Showroom-Dummy“ Karl in „Without A Trace Of Emotion“ – der Zwiespalt, mit dem Bartos sich Zeit der Trennung herumschlagen muß, ist hier auf sehr humorvolle Weise zu greifen: „I wish I could remix my life to another beat ... dresscode: red shirt, black tie – you’re history, you’re history.“ Auch „Musica Ex Machina“ und „Vox Humana“ können durchaus gefallen, das erste als eine Art Wegbeschreibung und Manifest, letzteres für einen kühlen Elektrotechniker wie ihn fast schon eine Antithese: „Die menschliche Stimme ist das ausdrucksstärkste Musikinstrument überhaupt“ – Stimme, Kraftwerk, da darf man schon mal leise lachen ...
Es bleibt also bei einem recht widersprüchlichen Vergnügen – Bartos löst sich, gottlob, weder thematisch noch musikalisch nicht von seiner Vergangenheit, wo er es dennoch versucht, scheitert er. Er weiß sehr wohl, dass elektronische Musik heutzutage weitaus komplexer ist als in den Tagen seiner ersten Erfolge und dass vieles von dem, was er damals als Novum mit auf den Weg brachte, heute vereinnahmt und verfeinert, schlimmstenfalls auch bis ins Belanglose verwässert worden ist. Dass er den schmalen Grad zwischen den Zeiten, zwischen U und E, Anspruch und Pop trotzdem unbeirrt weitergeht, ist mindestens respektabel, in manchen, wenigen Momenten aber eben auch einfach schön. http://www.karlbartos.de/