Seit einigen Wochen beschäftigt uns der „Fall Snowden“. Jeder muss für sich entscheiden, ob der amerikanische Whistleblower nun ein Held oder ein Verräter ist. Ich habe mich festgelegt: Er ist mein „Mensch 2013“. Die Perfektionierung der Überwachung und Ausspähung durch die vermeintlich demokratischen Regierungen der westlichen Hemisphäre hat eine Stufe erreicht, die einem langsam Angst machen muss. Kein Regierungsverantwortlicher in Europa oder im angelsächsischen Raum hat heute noch das Recht, mit dem Finger auf jene Diktatoren zu zeigen, die östlich von uns herrschen. Dass die Totalüberwachung der restlichen Welt von den USA ausgeht, kann seit George W. Bushs Lügen und der Inszenierung des 11. September mit den entsprechend weitreichenden Folgen niemanden mehr verwundern. Dass die deutschen Geheimdienste, die Bundeswehr und die verschiedenen Bundesregierungen davon wussten und wissen, kristallisiert sich auch immer mehr heraus. Nun aber hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) der Diskussion eine neue, sehr unschöne Qualität gegeben. Für die Erfindung des „Supergrundrechts“ bekommt er den „Klodeckel des Tages“. Friedrich ließ Mitte der Woche verlautbaren, Sicherheit sei ein so hohes Gut, dass es sämtliche, in unserer Verfassung verbrieften Grundrechte überstrahle. Er versuchte damit zu rechtfertigen, dass er auf seiner USA-Reise als willfähriger Bückling der amerikanischen Geheimdienste auftrat und mit keinerlei neuen Erkenntnissen zurückkehrte. Die Relativierung der Grundrechte zeigt die ganze Verzweiflung des Ministers, der die Komplizenschaft mit einem in die Enge getriebenen Überwachungsstaat verteidigen muss. Der Zeitgeist der Verunsicherung durch islamistischen Terrorismus hat es auch den deutschen Sicherheitsbehörden in den zurückliegenden Jahren leicht gemacht, ohne großes öffentliches Aufsehen immer mehr Bürgerrechte auszuhebeln. Und ohne Edward Snowden wäre bis heute sicher keine breite Diskussion darüber in Gang gekommen, wie weit die Beschränkung der Freiheit unter dem Deckmantel der Sicherheit gehen darf. Mit der „Erweiterung“ unseres Grundgesetzes um den „Artikel 0“ hat Friedrich nun eine Grenze überschritten, die hoffentlich dazu führt, dass auch die Deutschen begreifen, wie sehr sie selbst in einer Demokratie immer wieder neu für den Erhalt ihrer Grundrechte kämpfen müssen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass ein Leben in Freiheit scheinbar selbstverständlich ist. Doch zur Freiheit gehört mehr als die beruhigende Erkenntnis, dass ein bewaffneter Konflikt mit den Nachbarn heute undenkbar erscheint, wie unsere Großeltern und Eltern ihn noch kannten oder zumindest befürchten mussten. Zur Freiheit gehört nämlich auch, darauf vertrauen zu können, dass der Staat die eigene Privatsphäre schützt. Nur das schafft die Voraussetzungen dafür, sein Leben eigenverantwortlich führen zu können. Und ganz besonders sollten wir alle – unabhängig von der aktuellen Diskussion – jenen Kräften misstrauen, die uns Bürger immer unmündiger machen und stärker reglementieren wollen. Die gute Nachricht: Anders als die Geheimdienste agieren Parteien offen und müssen sich Wahlen stellen. Es gibt eine Vielzahl von nicht-liberalen Parteien, die vor allem eines im Sinn haben: Sie wollen die Bürger unfreier machen. Am 22. September haben wir die Macht, zumindest diese Feinde der Freiheit in ihre Schranken zu weisen.
Lesen Sie hierzu auch: “PRISM – ein Minister im Daten-Wirrwarr” (RP ONLINE, 19.07.2013)
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