Auf nach Afrika!

Michaela Preiner

„Die Revolution frisst ihre Kinder“ Schauspielhaus Graz (Foto: Lupi Spuma)

23.

November 2018

Theater

„Die Revolution frisst ihre Kinder“ von Jan-Christoph Gockel macht klar, dass Zeitgeschichte auch am Theater unter den Nägeln brennen kann.

Dieses Stück ist ein wildes Hybrid, raubt einem den Atem, drückt auf die Tränendrüsen, poltert über sich selbst und klärt auf, nach Art des Hauses. Oder genauer ausgedrückt: Nach Art von Jan-Christoph Gockel.

Der Regisseur, der im Vorjahr für „Der Auftrag: Dantons Tod“ am Schauspielhaus in Graz den Nestroypreis erhielt, möchte es offenbar noch einmal wissen.

„Berauscht“ von seinem Vorjahreserfolg, der auf der Bühne im neuen Stück „Die Revolution frisst ihre Kinder“ mit einer gehörigen Portion Selbstironie thematisiert wird, arbeitet er sich abermals am Thema Revolution ab und wählt dafür das Geschehen in Burkino Faso aus. Jenem Land, in dem 2014 der autokratisch regierende Blaise Compaoré gestürzt wurde, der 27 Jahre lang an der Macht war.

Am Tag des Putsches, der von „Akteuren“ aus dem Künstlermilieu geplant worden war, befand sich Gockel im Land und erlebte den Umsturz hautnah mit. Die Doku-Fiktion, die er nun gemeinsam mit dem Ensemble für das Schauspielhaus Graz schuf, speist sich aus mehreren Ideen und Quellen.

Einerseits aus Büchners Danton, der abermals auf der Bühne zu erleben ist – sowohl in Gestalt des Schauspielers Florian Köhler, als auch als Marionette. Dazu kommt die filmisch gekürzte Dokumentation einer tatsächlich stattgefundenen Burkina-Faso-Reise mit Teilen des Ensembles. Vor Ort festgehaltene Szenen, werden auf die eingezogene Stoffwand projiziert, vor und hinter der jedoch gleichzeitig auch gespielt wird. Andererseits wird das aktuelle Filmmaterial mit Dokumentaraufnahmen aus dem Jahr 2014 ergänzt, sodass die Realität zur Fiktion wird und umgekehrt.

Trotz aller theatralen Eingriffe gelingt es, die jüngste Geschichte von Burikana Faso spannend nachzuerzählen. Aber nicht nur. Denn auch die Reflexion über das Theater, über den Kolonialismus und darüber, wie wir die kulturelle Annäherung von europäischen Künstlerinnen und Künstlern in Afrika ohne besserwissende Attitüden funktionieren kann, erhält breiten Raum. Und das nicht nur intelligent, sondern extrem unterhaltsam.

Auf nach Afrika!

„Die Revolution frisst ihre Kinder“ Schauspielhaus Graz (Foto: Jennifer Weiss)

Auf nach Afrika! Auf nach Afrika!

„Die Revolution frisst ihre Kinder“ Schauspielhaus Graz (Foto: Lupi Spuma)

Die politischen Ereignisse in Burkina Faso beleuchtet der Regisseur nicht nur von einer Seite. Nämlich jener Erzählweise, mit der Thomas Sankara zum Nationalhelden mutierte, nachdem er – so wird kolportiert – von seinem besten Freund Blaise Compaoré umgebracht wurde. Gockel lässt auf der Bühne auch jene Argumente vorbringen, die Blaise verwendete, um den Tod des ehemaligen Revolutionärs zu rechtfertigen. Der linksgerichtete Sankara hatte die Brücken zu Frankreich abgebrochen und wollte eine völlig neue Gesellschaftsordnung einführen. Dass dabei das Land verarmte und im Hintergrund Grundbesitzer eine Lobby bildeten, war einer der Gründe, warum Compaoré einen Putsch gegen seinen Freund und ehemaligen Mistreiter zuließ. Dass ihn Frankreich dabei, aber letztlich auch bei seinem Abgang, kräftig unterstütze, löst Gockel in einer wunderbaren Bühnensprache auf. Köhler mutiert dafür zur leibhaftigen, französischen Hegemonialmacht und umhüllt die Blaise-Marionette mit der Tricolore, um ihr dort Schutz zu gewähren.

Ein weiterer, wichtiger Erfolgsbaustein sind die Marionetten von Michael Pietsch, die Danton, Robespierre, sowie Sankara und Blaise lebendig werden lassen. Überaus realistisch gearbeitete, feine Gesichter tragen maßgeblich dazu bei, dass das Spiel mit ihnen das Publikum in seinen Bann zieht. Wie die Danton-Marionette auf ihr lebendes Alter-Ego trifft, sie dabei ganz nahe beieinander stehen, nur durch den feinen Projektionsvorhang getrennt, berührt extrem. Genauso wie jene Szene, in welcher das Ensemble mit der Marionette von Sankara in dessen Wohnhaus einkehrt, in dem seine Geschwister auf diese Art und Weise noch einmal mit ihrem verstorbenen Bruder sprechen können.

Julia Gräfner holt in ihrer Rolle als Regisseurin aus ihrem Team in Afrika noch den letzten Tropfen Kreativblut heraus. Dass dieses dabei förmlich über sich hinauswächst und eine Kommunikation mit den Burkinadè findet, die auf Augenhöhe passiert, ist bewundernswert. Auch ihr Schlagabtausch mit Komi Mizrajim Togbonou, in welchem sie ihm eine platte Anbiederung seiner schwarzen Haut an den deutschsprachigen Bühnen vorwirft, ist atemberaubend. Der in Remscheid geborene Musiker und Schauspieler erfährt in einer aberwitzig konstruierten Szene in Burkina Faso, was es heißt, plötzlich ohne Reisepass dazustehen und seine europäische Identität nicht mehr über dieses Ausweispapier definieren zu können.

Raphael Muff hingegen macht dem Publikum klar, dass es als eingeborener Schweizer auf Schwyzerdütsch seine Aggressionen loswerden kann und schreit seinen Frust von der Seele, um sich im Handumdrehen opportunistisch dem Kommandoton von Julia Gräfner wieder zu unterwerfen.

Auf nach Afrika! Auf nach Afrika!

„Die Revolution frisst ihre Kinder“ Schauspielhaus Graz (Foto: Lupi Spuma)

Die höchst riskante und auch kostspielige Inszenierung, für ein Stadttheater bislang noch ohne Vorbild, fährt mit allen Geschützen auf, die ein Theater anbieten kann: Kreativität, Können, Intelligenz, Unterhaltung und nicht zuletzt auch Aufklärung und jede Menge Anregungen, sich mit den verhandelten Themen weiter zu befassen. Eine absolute Empfehlung!

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