Ich arbeite derzeit bei einer Firma, dessen Namen nicht genannt sein möchte und da mich einiges, was ich so beobachtet und erlebt habe, gedanklich beschäftigt hat, habe ich einen kleinen Artikel geschrieben. Nur für mich und getreu des Mottos für dieses Blog: Alles, was raus muss, bevor der Kopf platzt.
Fahrstuhl-Prolog
“Weisst Du, wer das eben war?” Mein Kollege flüstert, obwohl wir die beiden einzigen Menschen im Fahrstuhl sind.
“Nein”, gebe ich neugierig zurück. “Wer?”
“Das war einer der obersten Chefs hier im Laden.” In seiner Stimme schwingt Ehrfurcht und ich habe das Gefühl, mit einem Rockstar dieselbe Luft geteilt zu haben.”Hui!”
Zurück an meinem Schreibtisch kommen mir jedoch so einige Zweifel, ob es nicht vielleicht doch etwas anderes als Ehrfurcht war, was ich da gespürt habe.
Schiff ahoi
Ich arbeite beim Marktführer und wie die meisten meiner Kollegen bin ich dankbar für diesen Umstand. Das Gehalt ist angemessen, das Betriebsklima ist gut und die Arbeit macht weitestgehend Spass. Ich möchte produktiv sein, nicht nur, um meinen Arbeitsplatz zu erhalten, sondern auch um etwas für die Firma zu leisten. Um nach Feierabend voller Stolz sagen zu können: “Ich arbeite bei Firma XY”.
Ich wette darauf, dass auch die Menschen in den oberen Positionen das sagen wollen. Ich möchte Sie danach fragen. Ich würde sie dann auch fragen, wohin sie dieses gigantische Schiff steuern wollen und wie ich Ihnen dabei helfen kann. Doch auf der Brücke hat nur dazu berechtigtes Personal Zugang. Und Entscheidungen werden hinter geschlossenen Schleusentüren getroffen.
Ich erinnere mich an meinen ersten Tag bei einer anderen großen Firma. Als frisch gebackender Absolvent saß ich an meinem eigenen Firmenschreibtisch – ohne genau zu wissen, wie und wo ich hier hineinpasse.
“Guten Morgen, ich bin Jan Schmidt, der Geschäftsführer.” Ein Mann Mitte Vierzig stand vor mir und reichte mir lächelnd die Hand. Ich stand auf und schüttelte sie.
“Ich freue mich, dass sie sich entschieden haben für unsere Firma zu arbeiten und wünsche Ihnen einen guten Start. Wenn Sie in Zukunft irgendetwas auf dem Herzen haben, meine Bürotür ist immer für sie offen.”
“Vielen Dank.” war das einzige, was ich herausbekam. Ich war perplex. Diese kleine Geste hatte mir gezeigt, dass ich ein Teil dieser Firma bin und dass meine Arbeit und meine Meinung geschätzt wird. Dann waren die Gruselgeschichten vom Manager im Elfenbeinturm wohl doch übertrieben.
Oder doch nicht? Momentan erhalte ich Entscheidungen per Rohrpost in kleinen Häppchen von meinem vorgesetzten Offizier. Ich befeuere die Heizöfen ohne zu wissen, in welche Richtung wir eigentlich fahren. Ich muss wohl darauf vertrauen, dass der richtige Kurs gesetzt ist. Doch welche Basis hat dieses Vertrauen? Ich öffne meine Schreibtischschublade und schaue mir die letzte Komandodepesche mit der neuesten Vision an.
“Transparenz” steht da. Und “Empowerment”. Was bedeuten diese Wörter für mich? Was bedeuten sie für die Führungskräfte? Was für die Firma? Das kann mir leider niemand so recht erklären. Ich drehe das eingeschweisste Kärtchen herum in der Hoffnung, einen Hinweis zu finden. Ich werde enttäuscht.
Ich kenne meine Pappenheimer
Montag. Ich komme in die Firma und muss feststellen, dass der Fahrstuhl mit Pappkartons zugeklebt ist. Ich nehme die Treppe. In den Räumen weitere Pappinstallationen. Ein Kunstprojekt oder ein Scherz, ich weiss es nicht. Es interessiert mich auch nicht. Ich möchte zu meinem Schreibtisch. Die Arbeit macht sich schließlich nicht von selbst.
Ein glatzköpfiger Mann mit Bollerwagen und Mikrofon zieht mittags an mir vorbei. Er spricht von Systemnomaden und dass er meine Hilfe braucht. Ich drehe meine Kopfhörer lauter und konzentriere mich auf meine Arbeit. Und wer hilft mir? denke ich während die Kollegen leise fragen, “was das wohl wieder gekostet hat”…
Ich verstehe die Intention dieser Aktion. Oder zumindest vermute ich es. Das Unternehmensschiff fährt aus unerfindlichen Gründen langsamer. Auf der Brücke herrscht Einigkeit darüber, dass etwas passieren muss. Das Zauberwort ist Motivation. Die Schiffsschraube der Unternehmensführung.
“Seid spontan!”, “Seid kreativ!”, “Seid innovativ!” sind die Schlachtrufe der gewünschten Verhaltensänderung. Doch Veränderung kann nicht verordnet werden. Sie muss aus sich selbst heraus entstehen. Und sie beginnt in den Köpfen. Das zumindest haben sogar die Systemnomaden erkannt. Das einzige, was eine Führungskraft tun kann, ist ein Klima zu schaffen, das Veränderung und Anderssein fördert und nicht bestraft bzw. erstickt.
Mein Wunsch
Ich habe freiwillig auf diesem Schiff angeheuert und ich glaube, dass es ein großartiger Ort ist. Ich arbeite gerne hier und möchte meinen Teil dazu beitragen, damit wir wieder mehr Fahrt aufnehmen.
Ich wünsche mir weniger Kapitäne und mehr Leuchtturmwärter. Menschen, die mit gutem Beispiel vorangehen und ein Klima, in dem die Mitarbeiter gemeinsam dafür sorgen, dass der Kahn auf Kurs bleibt.
Ich wünsche mir ein anfassbares, ein nahbares Management, das keine Angst hat vor einem mündigen Mitarbeiter und vor dem ich keine Angst haben muss.
Ich wünsche mir das Gefühl, dass mein Beitrag für diese Firma wichtig ist, dass meine Stimme zählt und dass ich abends voller Stolz sagen kann: “Ich arbeite bei Firma XY!”
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