Junge Welt, 06.05.2013
In Frankreich wächst der Druck auf Präsident Hollande, die von Deutschland diktierte Austeritätspolitik zu beenden
Die Zeichen stehen auf Sturm zwischen Deutschland und Frankreich. Wenn der französische Präsident François Hollande in einem Interview mit dem Wall Street Journal (WSJ) beteuern muß, daß er weiterhin fest an »die deutsch-französische Freundschaft« glaubt, dann müssen sich die Machteliten in Paris und Berlin gar auf Kollisionskurs befinden. Dabei dürfte der Ausgang dieses Machtkampfes zwischen den beiden größten Mächten Europas auch über die Zukunft der Euro-Zone entscheiden. Sollte es Hollande nicht gelingen, mit Kanzlerin Angela Merkel zu einer Übereinstimmung in der weiteren Krisenpolitik zu gelangen, ohne dabei die sozialistische Mehrheit im französischen Parlament zu verprellen, dann werde dies »tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft der Euro-Zone haben«, warnte das WSJ.
Tatsächlich sieht sich Hollande verstärktem Druck seitens seiner Sozialistischen Partei ausgesetzt. Führende Sozialisten wie etwa Claude Bartolone, Präsident der Nationalversammlung, forderten offen ein Ende der Sparpolitik in Frankreich, die der Präsident zwecks der angestrebten Haushaltskonsolidierung ab Sommer 2012 eingeschlagen hatte. Der Unmut in der Sozialistischen Partei über den Kurs Hollandes manifestierte sich bereits in der Weigerung von rund zehn Prozent ihrer Abgeordneten, einem Vertrag zuzustimmen, der der EU-Kommission stärkere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber »Haushaltssündern« einräumt.
Immer deutlicher wird auch auf eine entschiedene Opposition Frankreichs gegen den deutschen Sparkurs in der Euro-Zone gedrängt. Diese »lautstarke Rebellion« (WSJ) gegen Hollandes Appeasement-Politik kulminierte am 26. April in einem gezielt durchgestochenen Papier der Sozialisten, in dem Angela Merkel Uneinsichtigkeit und Egoismus bescheinigt wurden. Die Kanzlerin denke nur an »deutsche Kontoinhaber, die Handelsbilanz Deutschlands und ihre Wahlkampfchancen.« Frankreich müsse klar gegen den Austeritätskurs Deutschlands Stellung beziehen, hieß es in dem Positionspapier.
Seitdem haben auch deutsche Politiker und Massenmedien ihre bereits seit Monaten gegen Hollande geführte Kampagne verschärft. Das Institut der Deutschen Wirtschaft bescheinigte Frankreich, wirtschaftlich rund zehn Jahre hinter Deutschland zurückgefallen zu sein. Das Bundeswirtschaftsministerium ließ dem Handelsblatt »interne Vermerke« zukommen, in denen Frankreich »mangelnde Wettbewerbsfähigkeit« und »hohe Lohnstückkosten« angekreidet wurden. Und der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle erklärte rundweg, Frankreich befinde sich nicht mehr »auf Augenhöhe« mit Deutschland. Laut Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) weist Frankreich die zweitniedrigste jährliche Arbeitszeit und die höchste Steuerlast der Euro-Zone auf.
Dieser Chauvinismus deutscher Regierungspolitiker wird durch den Krisenverlauf in der Euro-Zone befeuert, der den Vorsprung Deutschland gegenüber Frankreich enorm wachsen ließ. Während Deutschlands Exportindustrie die Euro-Krise nutzen konnte, um neue Exportoffensiven im außereuropäischen Ausland zu starten, befindet sich Frankreichs Ökonomie in der Stagnation. Das Gefälle wird aus längerfristiger Perspektive deutlich: Gegenüber 2000 ist die Industrieproduktion in der BRD im ersten Quartal 2013 um 15,4 Prozent angestiegen, während sie in Frankreich um 14,1 Prozent gesunken ist. Die Arbeitslosigkeit ist im März in Frankreich im 23. Monat hintereinander auf inzwischen 11,6 Prozent gestiegen, während die Bruttoverschuldung im vierten Quartal 2012 mit 90,2 Prozent einen neuen Rekord erreichte. Laut jüngsten Prognosen der EU-Kommission wird Frankreich in diesem Jahr in eine leichte Rezession von 0,1 Prozent des BIP abdriften, während das auf 3,7 Prozent prognostizierte Haushaltsdefizit weiterhin oberhalb der Marke von drei Prozent des BIP bleiben wird.
Wie wenig Frankreich dem aggressiven deutschen Neomerkantilismus – der Wirtschaftswachstum nur noch durch die Erzielung von Handelsüberschüssen realisiert – entgegenzusetzen hat, offenbart die deutsche Handelsbilanz vom vergangenen Jahr: »Den höchsten Ausfuhrüberschuß gab es im Jahr 2012 im Warenhandel mit Frankreich (39,7 Milliarden Euro)«, meldete unlängst das Statistische Bundesamt. In deutschen Regierungskreisen ist man angesichts dieser Entwicklung offenbar der Ansicht, daß nun niemand mehr in Europa »auf Augenhöhe« mit Berlin sei – und Deutschland jetzt nach der Hegemonie in Europa greifen könne. Tatsächlich ist es für die meisten Euroländer illusorisch, dem exportfixierten deutschen Vorbild zu folgen, da die deutschen Handelsüberschüsse logischerweise Schulden im Ausland zur Voraussetzung haben. Im vergangenen Jahr wäre die BRD längst in einer Rezession versunken, hätte es den konjunkturellen Außenbeitrag dieser Handelsüberschüsse nicht gegeben.
Mittels der Sparpolitik treibt Merkel somit die sozioökonomische Spaltung der Euro-Zone bewußt immer weiter voran; sie festigt die Rolle der BRD als dominante Wirtschaftsmacht, während die Mehrheit der Euro-Zonenländer in die Rezession getrieben wird. Frankreich wird von Berlin als die letzte nennenswerte Hürde auf dem Weg zur Hegemonie wahrgenommen, auf dem Berlin auch bereit ist, die Euro-Zone zu opfern (siehe jW vom 15. April 2013).