„Lego Love“ – hinter diesem mehr kryptischen als erhellenden Titel verbirgt sich die neue Arbeit von Liquid Loft unter der Leitung von Chris Haring. Am 19. Juli hatte sie anlässlich von ImPulsTanz 2013 in Wien Premiere und bot dabei dem Publikum nicht nur einen Abend voll von zeitgenössischem Tanz. Vielmehr durfte es sich sattsehen an orgiastischem Geschehen, durfte lachen bei Kabarett-reifen Soloperformances und eintauchen in eine Bildwelt, aufgestiegen wie aus dem griechischen Götterfundus, den die Menschen in Marmor vor Tausenden von Jahren skulptural verewigten.
“Lego Love” von Liquid Love unter Chris Haring war beim ImPulsTanz 2013 zu sehen. Foto: c Nils Klinger
Ganz zu Beginn jedoch führte Stephanie Cumming mit einer Performance nach einem Text von Andreas Spiegel das Publikum in die Materie ein. Als exaltierte junge Frau im schicken, grauen Bürokleidchen, ganz auf Figur geschnitten und mit High-heels dem gängigen Bürodresscode verpflichtet, schwelgt sie in der Beschreibung des Genusses einer Käsekrainer. Einem auf der Hand bzw. im Mund liegenden Vergleich mit einem Bacchanal, der es dem Wiener Publikum ermöglichen soll, die anschließende Orgien-Präsentation sinnlich nachzuvollziehen. Und ganz so unrecht dürften Cumming und Haring mit diesem Prolog nicht haben, denn der Großteil der ZuseherInnen wird zeitlebens nicht in die Situation einer Orgien-Teilnahme kommen, den Lockungen einer Käsekrainer hingegen öfter erliegen.
Doch was in Cummings Auftritt noch als artifiziell-unterhaltsame-flapsige Beschreibung eines höchst sinnlichen Geschehens daherkommt, entwickelt sich kurz darauf zu einem Bilderrausch, dem man sich gerne ausliefert. Erst nach und nach bevölkert sich die Bühne mit insgesamt 13 Tänzerinnen und Tänzern. Die mausgrauen Kostüme (Stefanie Krimmel) – Hinweis auf einen eintönigen Alltag, der gesellschaftlichen Konventionen verpflichtet ist – kontrastieren höchst ästhetisch mit der sich ständig verändernden Lichtführung. Wo Distanz angesagt ist, bleibt sie im Blaubereich verankert und changiert zum tiefsten Rot in jenen Passagen, die orgiastische Zustände beschreiben. Bis es soweit ist, die Hüllen zumindest teilweise fallen und die einzelnen Körper zu einem großen Organismus verschmelzen, in dem sich die einzelnen Subjekte in einem einem Über-Körper auflösen, dürfen kleinere Gruppierungen Zärtlichkeiten austauschen oder auch nur kameratauglich posieren. Der Körper wird bei Haring dabei nicht nur als Austragungsort intimer Gesten präsentiert, sondern zeigt sich auch als Projektionsfläche unserer medial bestimmten Zeit. Längst ist dabei die Intimität aus dem Schlafzimmer getreten und hat die verschiedenen Bühnen der Werbung erobert. Der Körper als Lockruf und als ewige Lustquelle begreift sich in „Lego Love“ nur in der Interaktion als sinnlich erfahrbar. Breanna O´Mara als rothaariger Vamp darf in ihrem Solo aber auch darauf hinweisen, dass Einsamkeit und der bewusste Abstand von Beziehungen in krassem Gegensatz zu jenen Gefühlen stehen, die in bacchanalen Festen kurzfristig von den Menschen Besitz ergreifen. Erst wenn alle Schönheitsposen eingenommen, alle Zärtlichkeitsbekundungen ausgetauscht und alle Selbstdarstellungen exerziert wurden (Viktor I. Usov erweist sich darin als wahrer Meister, dessen Körper eine besonders ausdrucksvolle Sprache zu sprechen imstande ist) werden alle gesellschaftlichen Schranken überwunden. Die körperliche Vereinigung der TänzerInnen gerät zu einem Schauspiel, das vom Publikum voyeuristisch mitverfolgt wird. Das Sounddesign von Andreas Berger und die artifizielle Choreografie, die die Menschen mehr nach dem Goldenen Schnitt, als nach ihrem Verlangen zueinander in Beziehung setzt, machen klar, dass es sich um eine Bühnenshow und nicht um ein reales Gelage handelt.
Nach dem Höhepunkt bleibt nur eine junge Frau ermattet auf der Bühne zurück. Mit einem kleinen Lied (Last Song for Sunny aus Songs of Suspects mit einem Text von Eva Jantschitsch) hüllt sie sich in eine scheinbare Geborgenheit, die sie aber wahrscheinlich jederzeit wieder bereit sein wird aufzugeben. Dann nämlich, wenn die nächste Orgie angesagt sein wird.
Ein Kunst-voller Abend, abseits von zivilisationskritisch geschwängerter Athmosphäre, ganz den Triebkräften des menschlichen Seins verpflichtet.