Auf ein Wort mit Uwe Kalkowski

Dieses Jahr gibt es in der Jury des Deutschen Buchpreises eine Novität. Mit Uwe Kalkowski, einigen besser bekannt als der Kaffeehaussitzer, entscheidet zum ersten Mal ein Literaturblogger mit über die Vergabe eines der wichtigsten Buchpreise im deutschsprachigen Raum. Hierzu habe ich Uwe, den ich sehr schätze, ein paar Fragen gestellt. 

Du bist der erste Literaturblogger unter den bisherigen Juroren des DBP. Wie kam es dazu?

Letzten November erhielt ich einen Brief der Akademie Deutscher Buchpreis, die jedes Jahr die Jury zusammenstellt. In dem Schreiben wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, 2018 dabei zu sein – und da habe ich natürlich nicht lange überlegt. Offenbar hielt dieses Gremium die Zeit für gekommen, einen Literaturblogger in die Jury zu berufen und ich freue mich natürlich, dass die Wahl auf den Kaffeehaussitzer gefallen ist.

Immer wieder kommen Diskussionen um die Qualität etc. von Buchblogs auf und Blogger werden gerne einmal belächelt. Du bist nicht nur Blogger, sondern auch beruflich lange Jahre in der Buchbranche unterwegs. Wie siehst du das? Werden Blogger im Literaturbetrieb mittlerweile ernst genommen? Welche Erfahrung hast du selbst gemacht?

Das in den letzten Jahren herbeigeschriebene und aufgebauschte Thema Buchblogs vs. Feuilleton habe ich nur am Rande verfolgt, da es mich nicht sonderlich interessiert. Es liegt ja eigentlich klar auf der Hand, dass es sich dabei um zwei vollkommen unterschiedliche Formen der Literaturvermittlung handelt, die nicht wirklich miteinander verglichen werden können. Die Blogs, die sich ernsthaft mit Literatur beschäftigen, werden schon lange vom Literaturbetrieb ernst genommen. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass mir von Beginn meines Bloggerlebens an stets mit Wertschätzung und freundschaftlichem Miteinander begegnet wurde. Da ich in der Tat schon seit 25 Jahren in der Buchbranche tätig bin, sind mir die Arbeitsabläufe in Buchhandlungen und Verlagen natürlich vertraut, aber beruflich bin seit 2001 im Bereich des Fachbuchs unterwegs – also inhaltlich in einer ganz anderen Sparte.

Zu deiner Arbeit als Juror. Bei 165 eingereichten Romanen hast du gewiss ein strammes Lesepensum in der letzten Zeit. Hast du dir das so intensiv vorgestellt?

Noch nie in meinem von Büchern geprägten Leben habe ich so intensiv gelesen. Buchstäblich jede Minute wurde dazu genutzt, an manchen Tagen habe ich den Wecker auf fünf Uhr gestellt, um noch vor der Arbeit wertvolle Lesezeit zu haben. Es war wie ein Rausch, wie ein Abtauchen – in einem Blogbeitrag habe ich darüber geschrieben. Jedes Buch musste mit einem kurzen Statement schriftlich bewertet werden, in einer Übersicht liefen die Bewertungen dann zusammen. So entstanden schon lange vor der Longlistsitzung erste Diskussionen. Und es ist ja noch lange nicht vorbei: Die intensivsten und emotionalsten Debatten, bei denen es um die Shortlist und schließlich um den Siegertitel gehen wird, stehen noch bevor. Ich bin sehr gespannt und freue mich darauf.

Noch eine Frage zum Buchpreis generell. Wie wichtig sind Literaturpreise für dich? Wie wichtig sind sie für die Buchbranche?

Es gibt ja unzählige Buchpreise und von vielen erfährt man nur am Rande. Diejenigen aber, die mit einer entsprechenden Publicity daher kommen – wie der Deutsche Buchpreis, der Preis der Leipziger Buchmesse, der Bachmannpreis oder der Georg-Büchner-Preis – machen natürlich neugierig auf die nominierten und prämierten Bücher und regen zu Entdeckungen an. Außerdem bringen sie das Thema Literatur ins Gespräch und in die Öffentlichkeit. Und das ist in unserer Zeit der abnehmenden Leserzahlen wichtiger denn je.

Sind momentan irgendwelche Trendthemen in der deutschsprachigen Literatur erkennbar? Und, falls ja, spiegeln diese aktuelle gesellschaftliche Diskussionen wieder?

Viele Protagonisten der eingereichten Bücher sind Suchende: Sie sind auf der Suche nach verschwundenen Menschen, nach ihrem Platz im Leben, in der Gesellschaft, in der Geschichte. Das spiegelt sich an zahlreichen Familiengeschichten wider, in denen oftmals Autobiographisches der Autorinnen und Autoren mit eingeflossen ist. Kann man daraus schon auf einen Trend schließen? Vielleicht steht das Thema „Suche“ symbolisch für eine Zeit der Ungewissheit in einer Welt, die Tag für Tag mehr aus den Fugen zu geraten scheint und in der sich viele von uns fragen, wie es weitergehen mag; wo der eigene Platz in der Zukunft sein wird.

Zuletzt noch die obligatorische Frage: Was macht für dich einen guten Roman überhaupt aus?

Die gleiche Frage wurde mir vor ein paar Monaten für die Jurymitglieder-Vorstellung auf dem Deutschen Buchpreis Blog gestellt. Gerade habe mich mir meine Antwort darauf noch einmal durchgelesen – und würde sie genau so noch einmal beantworten. Daher erlaube mir, sie hier noch einmal zu bringen.

Auf die Frage, was einen guten Roman ausmacht, könnte man das berühmte Kafka-Zitat mit der Axt und dem gefrorenen Meer erwähnen. Könnte man, aber wegen seines inflationären Gebrauchs mag man es schon beinahe nicht mehr lesen. Und trotzdem: Er hat damit einfach recht. Manche Bücher sind etwas Besonderes. Sie bereichern das Leben, erweitern den Horizont, zeigen fremde Lebensentwürfe. Sie erschüttern uns oder das Bild, das wir von uns, der Welt und dem Leben haben. Viele Bücher lesen wir der Unterhaltung wegen, weil sie spannend sind oder amüsant, weil wir unser Wissen erweitern möchten. Aber ab und zu ist eines dabei, dass uns bis ins Mark trifft. In dem man sich, sein Leben, seine Gedanken wiedererkennt, als würde man in einen Spiegel schauen. Nur dass jetzt jemand, ein Autor, eine Autorin, genau die Worte gefunden hat, nach denen man schon immer suchte; vielleicht ohne es zu wissen. Solche Bücher können manchmal auch wehtun. Auf jeden Fall hallen sie lange Zeit im Kopf nach. Und manche begleiten einen das ganze Leben lang.

Vielen Dank, Uwe!

Foto: © Vera Prinz


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