Auf der grünen Piste nach Taizé und Cluny

Von Erichkimmich @Erich_Kimmich

Samstag 30. Mai 2015. Von St-Gengoux-le-National über Taizé nach Cluny.

Claude kümmert sich aufmerksam um ihren Gast. Sie hat für mich in Cluny einen Schlafplatz reserviert. Beim Frühstück erfahre ich noch einiges mehr über die Renovierungsarbeiten, die sie in Les Lierres durchgeführt hat. Nebenbei gießt sie ihre Pflanzen und Fensterblümchen. Als ich abmarschbereit bin, stellen wir uns vor dem Haus zu einem Abschiedsfoto auf. Der Selbstauslöser macht seine Arbeit ausgezeichnet.

  

St-Gengoux-le-National ist mir ans Herz gewachsen. Als ich dann am Hotel de la Gare vorbei komme, stelle ich fest, dass an diesem Bahnhof längst keine Züge mehr fahren. Eine Voie Verte, eine „grüne Strecke“, ist aus der stillgelegten Bahntrasse geworden – eine Piste für Radfahrer, Skater und Wanderer. Alles ist sehr gut beschriftet und markiert. An querenden Straßen hat die Voie Verte Vorfahrt sofern es sich nicht um belebte Hauptstraßen handelt: Dann müssen die Radwanderer Rücksicht nehmen.Ich setze mich auf eine der zahlreichen Sitzbänke und schnüre die Schuhe fester.

  

Jetzt kann ich mal zeigen, welches Tempo ich im optimalen Flachland zu leisten vermag. Doch schneller als 6 km/h wird es nicht. Mir fehlt offenbar noch diese Fitness, die sich erst nach einigen Wanderwochen so richtig einstellt.

  

Vor Malay führt die Route über das Flüßchen La Guye. Dann sehe ich das Schloss von Cormatin auf der linken Seite. Immer wieder stehen Sitzbänke am Rand der Piste, die ich gerne für eine kleine Verschnaufpause nutze. Wenn es auf anderen Abschnitten solche Sitzbänke gegeben hätte – was wäre das für ein Komfort gewesen!

  

Gleich hinter Cormatin quert die Voie Verte eine Straße und dann verlässt der Muschelweg die Radpiste, steigt sanft aufwärts, an herrlichen Eichenbäumen vorbei. Schon nach wenigen Metern hat man einen Überblick auf die Umgebung. An einer langen Steinmauer entlang kommt der Pilger ins Dörfchen Ameugny und ich bewundere den Turm der uralten Kirche.

  

Es ist gegen 12 Uhr mittags. Ein Mädchen fotografiert die blühenden Rosen an einer Hauswand, andere schlendern auf der Straße. Immer mehr Leute gehen in meine Richtung, Jugendliche zumeist. Sie reden in allen Sprachen, ich höre bayrisch, englisch, französisch. Oder sie gehen schweigend, sind einzeln oder meist in Grüppchen. Da wird mir klar, dass Taizé nicht mehr weit sein kann.

Ich lasse mich einfach mit dem Strom der Vielen dahin treiben und schon bald stehe ich vor dem zeltartigen Eingang der Ökumenischen Gemeinschaft von Taizé. An den Türen stehen Jugendliche mit einem „Silence“-Schild. Um 12.30 Uhr beginnt das Gebet. Mit fröhlichen Liedern, die in mehreren Sprachen gesungen werden. Sitzbänke gibt es nicht; man sitzt auf dem Boden in markierten Abschnitten. Es ist eine Woche nach Pfingsten und offenbar sind viele Besucher da. Von meinem Sitzplatz im hinteren Teil des verschachtelten Gebäudes – den schweißnassen Rucksack habe ich neben mich an die Außenwand gestellt – kann ich nicht mal bis zum Zentrum des Geschehens sehen.

  

Nach knapp 30 Minuten ist das Gebet beendet und die Menge verläuft sich. Einige Jugendliche sind gruppenweise zum Staubsaugen eingeteilt und reinigen die Teppichbodenfläche mit Ungetümen der Marke Nilfisk. Nun durchschreite ich die hallenartige Versöhnungskirche und bewundere den Altarbereich und die stimmungsvollen, farbigen acht Glasfenster an der Südseite, die wie moderne Schießscharten in die Betonwand eingelassen sind. Sie wurden von Frère Éric de Saussure gestaltet.

  

  

  

Die ökumenische Gemeinschaft Taizé wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Roger Schutz gegründet. Heute leben etwa 90 Brüder in Taizé, die sich für ein Leben im Vertrauen auf die Lehre Christi und für die Versöhnung unter den Menschen stark machen. Neben der Kirche hat es große Zeltstädte und einfache Unterkünfte. Drei Mal täglich trifft man sich zum beten und singen.

Es hat mich ausgeglichener gemacht; sogar den Hunger kann ich eine Weile noch ignorieren. So spaziere ich durch das kleine Dorf hinaus, das mehr als 100.000 Jugendlichen pro Jahr besucht wird. Schon bald bin ich wieder auf der Voie Verte angelangt und nutze eine der Sitzbänke für eine Vesperpause.

  

Noch etwa zehn Kilometer monotones Schritt-für-Schritt stehen mir bevor. Die TGV-Linie von Paris nach Lyon und Marseille kreuzt die grüne Route. Im 5-Minuten-Abstand sausen die Hochgeschwindigkeitszüge in beide Richtungen vorbei wie donnernde Düsenjäger – doch keiner macht Halt in Cluny! Claude hat mir heute morgen von Leuten erzählt, die täglich nach Paris pendeln. Doch es ist mehr als die eine Stunde Fahrzeit, denn am Ziel muss noch der Weg zum Arbeitsplatz, am Start die Autofahrt zum TGV-Bahnhof dazu gezählt werden…

Als ich die markante Kirche von Cluny sehe, verlasse ich die Voie Verte. Die Jakobsmuschel leitet mich ins Zentrum. Bald habe ich die städtische Herberge „Cluny séjour“ gefunden und mich eingerichtet. Durst und Hunger sind nun die wichtigsten Bedürfnisse. Also: Los ins Städtchen! Am Place du 11 août, dem Vorplatz der ehemaligen Abteikirche, steht eine Gruppe von Franzosen, die fröhliche Lieder im Walzertakt singen. Denen macht das Singen richtig Spaß! Es entsteht eine lockere Stimmung auf dem Platz. Ein wenig Zuhören und ein demi peche dazu. Prima. Ein Blumenbeet ist in voller Blüte.

  

Ich gehe ein Stück in die Rue Mercière und entscheide mich am Place Petit Marché für das Restaurant La Nation. Die Sonne scheint durch eine Seitenstraße hinter Notre-Dame, die Gäste und die Gläser glänzen im Gegenlicht. Es ist eine wunderbare Stimmung, einer dieser ganz besonderen Momente.

Auch die Speisekarte ist eine Offenbarung. Ich entscheide mich für das Menu de la Nation zu 28 Euro und wähle folgendes aus:

  • Tranché de Foie gras de canard, Réduction de cassis et Chutney
  • Le Filet de Saint-Pierre, le Beurre rouge, les Légumes du marché
  • La Variété de fromage au choix
  • Crème de fraises

     

     

Die Speisen sind sorgfältig abgestimmt und äußerst wohlschmeckend. Ich bin andächtig dabei und genieße jeden Bissen. Es ist Nacht geworden und schon spät, als ich beschwingt den Rückweg ins Quartier antrete.

Zuvor werfe ich einen andächtigen Blick hinauf zum Turm der Abteikirche. Soeben ist der Mond hinter eine Wolke verschwunden.

24,4 km 3,01 km/h 8:06 526 hm 551 hm 180,4 km.

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