Auf der Flucht vor der Verantwortung

Auf der Flucht vor der VerantwortungDas Volk wird wieder Mode, die Stimmen mehren sich, die nach einem Machtwort des Souveräns rufen. "Ohne Volk keine Demokratie", fordert Holger Schmale in der "Berliner Zeitung", Frank Schirrmacher von der FAZ bläst ins selbe Rohr und verurteilt die Verurteilung des griechischen Demokratieanfalls durch fallende Börsenkurse. "Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen", argumentiert der Großdichter unter den Schnelldenkern deutscher Zunge. Ohne zu erwähnen, das vom "Republikanischen", das er beschwört, nach anderthalb Jahrzehnten EU längst nur noch ein technokratisch gehandhabtes Als-ob übrig ist.
Doch wenn dem letzten Prediger einer Rettung von oben schwant, dass ein Auto sich nicht anhalten lässt, indem man ins Rad greift, weil einem nur den Arm abreißt, soll es nun das Volk richten: Abstimmungen werden gefordert, für "mehr Europa" (Wolfgang Schäuble" und "einheitliches Wirtschaftsregieren", für "gemeinsame Souveränität" (Hermann Gröhe) und "Verzicht auf Sonderwege" (dpa). Während das Publikum noch staunend dem Scheitern des "Projektes Europa" (Merkel) zuschaut, das Kohl und Co. noch zu Lebzeiten verwirklicht sehen wollten, weshalb sie die EU schneller schmiedeten und aufblähten als selbst die - immerhin noch gleichsprachige - junge USA entstand, arbeiten die Verantwortlichen für das Desaster bereits daran, die Verantwortung nie gehabt zu haben.
Dazu muss das Volk, das bei der Entstehung der EU nicht gefragt wurde, um mit seiner Skepsis nicht alles zu gefährden, nun die Entscheidung für das Zerbrechen übernehmen dürfen. Papandreou spekuliert so, Holger Schmale ficht für die Idee und auch Frank Schirrmacher, dessen Blatt anno 2005 fragte, "ob die Europäische Union nicht einen falschen Weg eingeschlagen habe und zu einer Fehlkonstruktion werde" scheint freudestrahlend bereit, die Verursacher der Krise aus der Haftung zu entlassen.
Das wäre leicht. Ein bisschen Europa 21, ein bisschen Abstimmung hier und Referendum dort. Begeistert würden die Europäer der Union eine Absage erteilen, wüssten sie, dass es nicht zu ihrem wirtschaftlichen Nachteil ist. Das wäre es gewesen, hätte die Volksabstimmung vor der eiligen Vereinigung gestanden. Nun aber schwebt das Damoklesschwert eventueller Nachteile über jedem Votum - weshalb genau jetzt das Volk das letzt Wort haben soll: Stimmt aus Angst vor dem Zusammenbruch für Griechenhilfe, gemeinsame Wirtschaftsregierung und kollektiv ausgelebte nationalstaatliche Souveränität, wird es nie mehr klagen können, das alles geschehe nicht in seinem Namen. Und stimmt es dagegen, bleibt ihm kein Argument, die Folgen nicht selbst zu verantworten.
Erst drauf schwören, dann drauf pfeifen
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