Auf dem Weg zu Erleuchtung (Teil 4)

Ich fand die ganze Situation ein wenig unbefriedigend. Wir waren seit mindestens 20 Minuten an der Einsatzstelle, aber bislang hatten wir nur zwei kämpfenden Katzen getrennt, die Wetteinnahmen verteilt (ich bekam auch was, da Ivan ja meine Katze war), und mit Shanti über Tantra diskutiert. Ich fand, dass es langsam mal an der Zeit war, sich Willi zuzuwenden. Der hatte mittlerweile eine Maske auf und das Pulsoxy zeigte 100%. Auf Fußtritte reagierte er mit einem Grunzen.
“Na bitte, wird doch.” sagte ich zu Phillip. Der sagte etwas Unverständliches,  aber ich glaube nicht, dass es was Freundliches war. Ich sah Shanti auffodernd an. “Also, Fritz Shanti, jetzt mal Klartext. Wo hattest Du das Ketanest her? Und wie wurde es appliziert?”
“Weiß ich doch nicht!” Shanti war vom Beanbag aufgesprungen und lief jetzt aufgeregt auf und ab. “Im Ernst, er hat es mitgebracht!”
“In seiner Tasche hat er noch ein paar weitere Ampullen!” mischte sich jemand von den Leinenfreunden ein. Shanti trat nervös von einem Bein aufs andere. Tim griff sich schnell Willis Rucksack und leerte Inhalt auf dem Boden aus. Wir zählten noch vier weitere Ampullen Ketanest S. “Ich geh dann mal telefonieren..” sagte Tim. Ich nickte stumm.
“Er ist doch Arzt, der darf das!” rief Shanti aufgeregt.
“Ist er nicht. Er ist Student. Der darf das ganz bestimmt nicht… und auch mit Approbation würde ich nicht mit so viel Ketanest in der Tasche herumlaufen… das könnte komisch aussehen… ungefähr so wie hier.” Shanti sah jetzt ernsthaft irritiert aus und sehr hyperventilationsgefährdet. Willi gab noch mehr Grunzlaute von sich und fing an, sich zu bewegen. Ich entschied, dass er jetzt auch kein Midazolam mehr brauchte. Ich hob nochmals die leere Ampulle Ketanest auf und inspizierte sie. Dann pfiff ich durch die Zähne. “Respekt, 100 mg.” sagte ich zu Phillip. Der untersuchte Willi gerade.
“Ich sehe keine Einstiche, er muss es also geschluckt haben.”
“Ich würde das noch immer als sportlich bezeichnen, auch oral.” Ich ließ die Ampulle wieder sinken. “Wenigstens rührt er sich jetzt wieder. Sollte langsam auch mal abklingen.”
Shanti hatte sich währenddessen auf den Boden geworfen und fing an, herumzuturnen.
“Was machst du da?” fragte ich irritiert. Ich überlegte, ob er wohl auch an dem Ketanest genascht hatte, so wie er sich jetzt aufbäumte.
“Ich mache Yoga.” gab er schnaufend zurück. “Das entspannt mich.” Ich sah ihn zweifelnd an.
“Hör mal, Hase, ich weiß ja nicht, wo du dein Yoga gelernt hast, aber keine der Yogaarten, die ich kenne, macht so einen abgefahrenen Sonnengruß. Und deine Technik ist miserabel.” Ich entledigte mich meiner Jacke, krempelte die Ärmel meines Pullovers hoch und stellte mich neben ihn. “Dann wollen wir mal…” Shanti machte gerade einen etwas ungelenken nach-unten-schauenden-Hund. Ich drückte ihm die Hand zwischen die Schulterblätter und drehte seine Oberarme etwas aus. “So muss das aussehen.” Er keuchte. “Ich krieg keine Luft!”
“Du kriegst jetzt schon keine Luft? Das ist eine Entspannungshaltung, Mann!” Ich schüttelte den Kopf. “So, jetzt komm nach vorne, schiefe Ebene, Körper wie ein Brett.” Ich drückte seine Hüften nach unten, er wackelte beträchtlich und fing jetzt schon an zu zittern. Ich schüttelte erneut den Kopf. “Knie, Brust und Kinn zum Boden.” Ich half seinen Bemühungen mit meinem Fuß ein wenig nach. “Jetzt durchschlängeln, kleine Kobra.”
“Was?” fragte er röchelnd.
“Ich denke, du kannst das? Das ist ein Standard-Sonnengruß.” Entnervt zerrte ich ich ihn wieder in den nach-unten-schauenden-Hund. “So wird das nichts. Mach jetzt wenigstens einmal schön Chatturanga Dandasana, Liegestütz.”
“Anna…” tadelte mich Phillip mal wieder von der Seite. Ich ignorierte ihn. Ich drückte lieber Shanti nach unten. “Triceps, Triceps, verdammt!” schrie ich ihn an und zerrte und schob an ihm, um die gewünschte Position zu erreichen. Shanti standen einige Schweißperlen auf der Stirn, die Leinenfreunde sahen interessiert zu, Marek und Tim sammelten schon wieder Geld ein und Willi wachte langsam auf und sah sich um, als die Tür aufging und die Herren in Grün im Zimmer standen. Ich ließ reflexartig Shanti los, der mit einem lautem Knall auf dem Parkett landete. Ich erntete einen tadelnden Blick, diesmal nicht von Phillip, sondern von einem großen Herren Ende Vierzig, der sehr energisch wirkte und seine Hand nervös an sein Holster führte. “Guten Tag. Mein Name ist Moser, Polizei. Wer, bitte, wenn Sie mir das freundlicherweise mal erklären könnten, ist hier Patient, wer ist Helfer, und wen sollen wir verhaften?” fragte er mit lauter Stimme.

Wir sahen uns alle etwas unsicher um. Jeder zeigte auf jemand anderes. Ich hatte da allerdings einen Verdacht und eine Idee, wie wir Licht in die Sache bringen könnten.
“Äh, ich muss da mal telefonieren.” sagte ich während ich mein Handy aus der Tasche zog. “Marek, wo hat denn Maurice heute Dienst? Ich hätte da mal eine Frage an ihn…”


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