Vor einigen Tagen war im Handelsblatt ein ziemlich langes Interview mit Jaron Lanier, das ich leider online zum Verlinken nicht gefunden habe. Lanier ist ein altgedienter Internet- und Computerfreak – als ich Anfang der 90er damit begann, mich mit neuen Medien und Internet zu beschäftigten, las ich auch schon Interviews mit Lanier, der sich damals begeistert in virtuellen Welten tummelte und die ganze digitale Welt nicht nur beschrieben, sondern als Entwickler bei verschiedenen großen IT-Konzernen selbst mit gestaltet hat. Inzwischen ist er nachdenklicher geworden und warnt vor einer Übermacht der großen Computerkonzerne: „Wir erschaffen gerade eine feudale Gesellschaft, in der die Schlösser die größten Computer sind. Jeder, der so einen besitzt, kann das Verhalten von allen anderen lenken.“ Mit den großen Computern meint er die Serverfarmen von Google, Facebook, Amazon, der NSA und so weiter.
Lanier warnt deshalb davor, die Privatsphäre im Netz aufzugeben: “Wer sagt, dass die Privatsphäre im Internet altmodisch ist, der unterstützt kein neues System der totalen Offenheit und der vollkommenen Freiheit. Der unterstützt vielmehr Unternehmen wie Google und Facebook, die extreme Geheimniskrämer sind.“ Recht hat er. Die Idee, dass es irgendwie cool sein könne, dass Großkonzerne alles über einen wissen und über sämtliche Daten frei verfügen können, mag zwar unter Anhängern der Piraten-Partei noch im Schwange sein, ist einfach nur bescheuert.
Gerade in heutigen Zeiten sind persönliche Daten ein wertvoller Rohstoff, mit dem Google, Facebook und Co sich dumm und dämlich verdienen – warum muss man denen seine Daten auch noch kostenlos hinterher schmeißen? In einer Welt der gnadenlosen Kommerzialisierung von allem und jedem ist es geradezu schwachsinnig, NICHT auf Privatsphäre zu bestehen. Das hat auch Lanier erkannt.
Und er sieht noch ganz andere Probleme: Es gebe in diesen Konzernen keinen Edward Snowden, der uns sage, was die Unternehmen so treiben. “Wir wissen nicht, was sie in ihren Computern gespeichert haben”, sagt Lanier weiter. “Sie sind die verschwiegensten Organisationen auf der Welt. Wir wissen mehr über die kommunistische Partei in China, die NSA und jede andere Organisation der Welt, als wir über diese Unternehmen wissen. Diese Unternehmen wollen mehr über dich wissen als irgendein anderer – sogar mehr als du selbst. Und sie haben damit ein Geschäftsmodell kreiert, das uns manipuliert und die Macht bei ihnen konzentriert.”
“Künstliche Intelligenz hat sich dahin gewandelt, Geld konzentrieren und das Leben von Menschen zu zerstören”, meint Lanier. Eines Tages werde alles automatisiert sein, die Basis für Beschäftigung werde damit systematisch unterminiert. Und damit entferne man den weit gestreuten Reichtum, der Bürgern eine gewisse Art von Macht gibt. Dadurch fallen wir wieder in eine feudale Gesellschaft zurück, in der es wenige unvorstellbar Reiche gibt und jede Menge mittellose, vom guten Willen dieser allmächtigen Reichen Abhängige. Er nennt als Beispiele etwa Bill Gates und seine Wohltätigkeits-Stiftungen oder Amazon-Chef Jeff Bezos, der mit seiner Handelsplattform stinkreich geworden ist, in dem er Verlage und klassische Händler ruiniert und dann die Washington Post gekauft hat. Wobei ich nicht glaube, dass einer wie Bezos eine Viertelmilliarde in eine Zeitung investiert, um den Washington-Post-Leuten netterweise ihre gewohnten Arbeitsplätze zu erhalten. Der hat ganz bestimmt etwas anderes vor.
Überhaupt finde ich erstaunlich, dass Lanier dermaßen gewillt ist, an das Gute im Menschen und vor allem an den guten Willen der neuen Feudalherren zu glauben, er meint, dass das alles eigentlich ganz nette Typen sind. Noch schlimmer finde ich aber, dass diesem angeblich doch so ganz anders denkenden Freak das Geschäftsmodell der abhängigen Beschäftigung dermaßen einleuchtet, dass er zwar kritisiert, dass bezahlte Arbeitsplätze verschwinden, weil sich die großen Internet-Konzerne die Arbeit der vielen, die im Internet ja frei zugänglich ist, einfach aneignen und daraus Modelle entwickeln, mit denen beispielsweise Übersetzer, Redakteure, Taxifahrer, Verkäuferinnen und so weiter überflüssig gemacht werden. Aber er kommt nicht auf die Idee zu hinterfragen, ob es denn nicht vielleicht auch anders ginge. Denn arbeiten muss man ja, sonst verdient man kein Geld. Und ohne Moos nix los, das ist auch im Zeitalter von Facebook, Twitter und Google so.
Dabei ist das doch genau die Frage die gestellt werden muss: Warum ist das eigentlich so? Kann man das nicht im Zeitalter von Internet endlich auch anders regeln? Dass der Markt weder zur Verteilung von Gütern, noch zur Befriedigung von Bedürfnissen taugt, ist ja nun hinlänglich bewiesen. Der Markt versagt doch sowieso immer, wenn es drauf ankommt. Bedürfnisse werden befriedigt, in dem man Dinge produziert, die Menschen brauchen. Und mit den ganzen tollen Datenauswertungs-Tools sollte es ja wohl kein Problem sein, zu ermitteln, was Menschen weltweit brauchen – dann kann man genau das produzieren und bereit stellen. Und diese ganze Ressourcen-Verschleuerung durch Über- und Fehlproduktion wäre dann auch vorbei.
Und wenn man sich mal darauf einigen könnte, das genau das der Sinn der ganzem Produktion ist, könnte man sich auch diesen ganzen Finanzscheiß drumrum einfach sparen und per Internet ermitteln, wo sich die jeweils benötigten Produktionsmittel befinden, und wer Lust drauf hat, dieses oder jenes zu produzieren. Klar ist auch dann noch ein wenig Arbeit nötig – aber Menschen arbeiten ja gern. Das zeigen ja die ganzen Open-Source-Projekte, an denen Entwickler herum entwickeln, ohne dafür bezahlt zu werden und die ganzen Blogs und so weiter, die Menschen einfach zum Spaß betreiben. Natürlich könnte man die Welt auch anders organisieren, gerade mit den ganzen neuen Technologien, die uns die Arbeit abnehmen. Das wäre kein Nachteil, wenn man endlich von dieser überholten Vorstellung von Geld-verdienen-müssen und Lohnarbeit als Grundlage der menschlichen Existenz wegkäme.
Dann würden zwar ein paar Leute nicht mehr so unverschämt reich, dafür aber alle satt. Und niemand müsste sich mehr totarbeiten, ohne dass der Lohn am Ende zum Leben doch nicht reicht. Das wäre eine Welt, in der ich sehr viel lieber leben würde. Vielleicht sogar Jargon Lanier – aber so gut kenne ich ihn nicht.