Auf das Leben warten...

Auf das Leben warten...Auf das Leben warten...

Auf das Leben warten

Unser Gehirn nimmt bekanntlich alles für bare Münze. Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und was wir uns in unseren Fantasien, Vorstellungen, Wünschen und Hoffnungen zusammen schustern.
Es ist uns möglich, in Traumwelten einer möglichen Zukunft zu leben. Was werde ich erst tun, wenn ich im Lotto gewonnen habe? - Ich werde dann endlich den gerechten Lohn bekommen haben.
Den gerechten Lohn? - Mit der Gerechtigkeit ist das zuweilen auch so eine Sache. Ist sie nicht der Mörtel, der die Illusionen überhaupt erst kittet?

Warten ist lebensfeindlich

Es mag Situationen geben, da macht das Warten Sinn. Dann hat man die Fäden in der Hand und kann genau abschätzen, wie sich etwas entwickelt. In dieser Situation wird man aktiv, sollte sich etwas in eine falsche Richtung entwickeln.
Das Warten auf das Glück, auf bessere Zeiten, bessere Partner, ein besseres Leben paart sich mit Gefühlen des Trotzes (ich hätte es nämlich jetzt schon verdient) und der Resignation.

Auf das Leben warten...

Der Blick in die Flora vom warmen Kaminfeuer aus zeigt uns immer wieder die Beständigkeit auf, mit der die Jahreszeiten ihre Wandel vollziehen. Ein stetes Werden, ein mühsames Erkämpfen des Weges aus der Erde, dann hinauf, um möglichst viel Sonne abzubekommen.
Da wird schon auch gewartet, aber auf dem Fluss der Beständigkeit, der sich weiter bewegt. Aber da drunter liegen eigene Bestreben der Pflanzen: wachsen, gedeihen. Leben. Vorwärts zu dem, was man will. Sofort stellt sich uns unglücklichen Menschenwesen die Frage: ja was will denn ich?

Bedürfnisse

Neben den Grundbedürfnissen wie Sicherheit, Futter und Liebe fällt es einem zuweilen schwer, in der Warteposition Bedürfnisse auszumachen. Heisst das etwa, die meisten der Bedürfnisse sind erfüllt? - Da müsste der Mensch ja glücklich sein. Nicht?
Nicht unbedingt. Das Erfüllen von Bedürfnissen führt zu einer momentan höheren Lebensqualität. Danach wird das Erreichte eingelagert auf dem Land der Sicherheit und soll nur noch als Boden dienen. Hier ähneln wir der Natur noch: den Aufwand möglichst gering halten.

Realisierung

Nach langen Jahren des Wartens mag es einen wie ein Blitz treffen: selbst wenn der lang ersehnte Abenteuer-Urlaub möglich werden sollte, man könnte ihn aufgrund körperlicher Einschränkungen gar nicht mehr so richtig angehen. Einer humpelt, der andere kommt schnell aus dem Atem. Flugs wird aus dem Hoffen auf das Schöne eine Rechtfertigung, sich als Leidender zu outen und das Leben in seiner Ungerechtigkeit als Vorwand zum Jammern zu nehmen.
Eines Tages realisiert man vielleicht sogar: alles, was jetzt noch kommen kann, ist eigentlich nur noch der Tod. Spätestens wenn man in Altersheimen sitzt und möglichst unauffällig atmet, um dem Pflegepersonal keinen Anlass zu geben, schlechter zu pflegen oder ruhig gestellt zu werden.

Ist es denn zu spät?

Im Altersheim ja. Die Verfallszeit liegt dort bei ca. zwei Jahren, in welchen es stetig abwärts geht. Manch einer mag romantische Vorstellungen haben über das Alter. Da wird man sich endlich den Dingen widmen können, die man ewig aufgeschoben hat. In Ruhe Bücher lesen, einen Roman schreiben, Freude empfinden.
Das wird man nicht. Neben der Kraftlosigkeit und der Demenz im Alter stellt sich etwas weiteres ein: die Nutzlosigkeit.
Würde die Schamanenstube die eingeschlagene Richtung der Aktivierung weiter verfolgen, gäbe es etwas zu tun für die Alten: die Rettung des Schatzes der Erfahrung. Früher nannte man das Weisheit, heute billigt man das den Alten nicht mehr zu.
Also gibt es nur eines: wir müssen jetzt leben. Nachher ist es vorbei.


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