Außerordentliche Änderungskündigung des Arbeitgebers zur Lohnreduzierung kann zulässig sein!
Erstellt am 22. April 2018 von Raberlin
Das
Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20.10.2017, 2 AZR 783/16) hat entschieden,dass eine
außerordentliche Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung begründet sein kann,wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen erforderlich ist, um der konkreten Gefahr einer Insolvenz des Arbeitgebers zu begegnen. Diese Voraussetzungen lagen im nachfolgenden Fall zwar nicht vor, allerdings stellte das BAG hier Grundsätze auf,
wann eine solche außerordentliche Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung möglich wäre.
deutscher Lehrer in Griechenland beschäftigt
Die Beklagte betreibt in Griechenland eine Schule und beschäftigte dort Lehrer, u.a. den Kläger, der zuletzt rund 4.164,00 Euro brutto pro Monat verdiente. Es wurde für das
Arbeitsverhältnis deutsches Recht vereinbart (Bundestarifvertrag der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte und des deutschen öffentlichen Dienstes).
Insolvenz der Schule drohte
Seit dem Jahr 2009 befand sich die Beklagte in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
außerordentliche und fristlose Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2010 kündigte die beklagte Schule das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos und bot dem Kläger die
Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen an.
In dem Kündigungsschreiben heißt es:
„… im Hinblick auf die Bewältigung der Wirtschaftskrise und die Anwendung des Unterstützungsmechanismus der griechischen Wirtschaft durch die Mitgliedsstaaten der Eurozone sowie durch den Internationalen Währungsfonds hat der griechische Staat Gehaltskürzungen veranlasst bei allen Beschäftigten / Gehaltsempfängern des griechischen Staates (Gesetze 3833/2010 und 3845/2010). Bei Verträgen der Art wie Ihrem wurde eine Kürzung der monatlichen Bruttobezüge um 7 % und 3 % beschlossen, d.h. 310,63 EUR monatlich, sowie die Einstellung der Jahressonderzahlung, die an Stelle des Weihnachts- und Urlaubsgeldes gezahlt wurde. Der Einbehalt der Kürzung Ihrer Bezüge um 7 % erfolgte ab dem 01.01.2010 und um 3 % ab dem 01.06.2010.
Aufgrund des oben Gesagten kündigen wir hiermit den mit Ihnen bestehenden Arbeitsvertrag aus wichtigem Grund, unmittelbar und ohne Wahrung der Kündigungsfrist. Gleichzeitig bieten wir Ihnen den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit den folgenden Bedingungen an:
1.
Kürzung der monatlichen Bruttobezüge um 310,63 EUR monatlich.
2.
Einstellung der Jahressonderzahlung.
Ergänzend teilen wir Ihnen mit, dass zukünftig die Gehaltserhöhungen nicht automatisch gemäß dem deutschen Tarifvertrag (TV-L) geleistet werden, sondern nach Beschluss Ihres Arbeitgebers, d. h. gemäß der Einkommenspolitik des griechischen Staates.
Die übrigen Bedingungen des bestehenden Vertrages bleiben unverändert. …“
Lehrer nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an
Der klagende Lehrer hatte das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen und gleichzeitig
Änderungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht.
Arbeitsgericht gibt Lehrer recht – LAG hält Klage für unzulässig
Das Arbeitsgericht hatte der Klage des Lehrers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, da die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben sei (der Rechtsstreit ging dann noch zum 5.Senat des BAG- hier verkürzt).
Entscheidung des 2. Senats des Bundesarbeitsgericht
Der 2. Senat des Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20.10.2017, 2 AZR 783/16) führte dazu aus:
Die Revision des Klägers ist begründet, während die von der Beklagten eingelegte Revision ohne Erfolg bleibt. Das Landesarbeitsgericht hat das arbeitsgerichtliche Urteil zu Unrecht abgeändert. Die Berufung der Beklagten ist insgesamt zurückzuweisen. Die zulässige Änderungsschutzklage ist in vollem Umfang begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend feststellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen des Klägers im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 21. Oktober 2010 unwirksam ist.
Die Klage ist zulässig.
I. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GVG liegen nicht vor. Das hat der Senat bereits in dem vorangegangenen Revisionsverfahren (BAG 25. April 2013 – 2 AZR 77/12 – Rn. 12 ff.) entschieden, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. …..
B.Die Klage ist begründet. Die dem Kläger im Zusammenhang mit der Änderungskündigung angetragene fristlose – nicht „überflüssige“ – Änderung der Vertragsbedingungen ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB. ….
Das deutsche Recht lässt – für sich betrachtet – eine einseitige Änderung arbeitsvertraglich vereinbarter Arbeitsbedingungen ohne Änderungsvertrag oder Änderungskündigung nicht zu (BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 962/13 (A) – Rn. 10, BAGE 151, 75). Es ist – selbst wenn die Beklagte den Staatsnotstand wegen Zahlungsunfähigkeit erklärt hätte – auch keine nach Art. 25 GG als Bundesrecht zu berücksichtigende Regel des Völkerrechts ersichtlich, die die Beklagte berechtigen könnte, die Erfüllung fälliger Zahlungsansprüche aus Privatrechtsverhältnissen gegenüber privaten Gläubigern zu verweigern (BVerfG 8. Mai 2007 – 2 BvM 1/03 ua. – Rn. 29, BVerfGE 118, 124; BGH 24. Februar 2015 – XI ZR 47/14 – Rn. 17).
…..
V. Die dem Kläger angetragene fristlose Änderung der Arbeitsbedingungen ist – wie das Landesarbeitsgericht zumindest im Ergebnis richtig erkannt hat – unwirksam, da es hierfür an einem wichtigen Grund iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB fehlt.
Der Kläger genoss aufgrund der vertraglichen Bezugnahme auf die Regelungen des TV-L unter Berücksichtigung seiner Beschäftigungszeit besonderen Kündigungsschutz nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L. Der dort geregelte Ausschluss der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt auch für eine Änderungskündigung.
Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Änderungskündigung iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die alsbaldige Änderung der Arbeitsbedingungen unabweisbar notwendig ist und die geänderten Bedingungen dem gekündigten Arbeitnehmer zumutbar sind (BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 688/09 – Rn. 32).
Die Anforderungen, die das deutsche Recht an die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung zum Zwecke der bloßen Entgeltabsenkung stellt, sind hoch. Grundsätzlich sind einmal geschlossene Verträge einzuhalten. Auch ist allgemein anerkannt, dass Geldmangel als solcher den Schuldner nicht entlastet (BAG 29. November 2007 – 2 AZR 789/06 – Rn. 15). Die Änderungskündigung zur bloßen Entgeltreduzierung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Leistungs-/Lohngefüge des Arbeitsvertrags dar. Sie kommt deshalb als ordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen. Eine solche Situation setzt regelmäßig einen umfassenden Sanierungsplan voraus, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 396/12 – Rn. 31; 26. Juni 2008 – 2 AZR 139/07 – Rn. 20).
Für eine grundsätzlich nur in Extremfällen nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB zulässige außerordentliche Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung bestehen demgegenüber noch höhere Anforderungen. Der Arbeitgeber ist mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit eine weitreichende Verpflichtung und damit einhergehend ein hohes Risiko eingegangen. Dieser Bindung muss er insbesondere bei der Prüfung der Frage, welche Vertragsänderung er dem Arbeitnehmer mit dem Änderungsangebot zumutet, gerecht werden. Ein zur außerordentlichen Änderungskündigung berechtigender Grund liegt deshalb nur vor, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitgeber unabweisbar notwendig ist, etwa die Änderung der Arbeitsbedingungen zum Ziel hat, der konkreten Gefahr einer Insolvenz des Arbeitgebers zu begegnen. In einer existenzbedrohenden Lage kann der Arbeitgeber grundsätzlich auch von seinen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern einen Sanierungsbeitrag verlangen und im Wege der außerordentlichen Änderungskündigung durchsetzen. Allerdings muss er hierfür darlegen, dass die Sanierung mit den Eingriffen in die Arbeitsverträge steht und fällt und alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausgeschöpft sind (BAG 1. März 2007 – 2 AZR 580/05 – Rn. 28 f., BAGE 121, 347).
Rechtsanwalt Andreas Martin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Kanzlei Berlin Marzahn-Hellersdorf