Audi 100 Coupé, Audi quattro, Audi A4, Audi quattro Concept
Es gibt in der Geschichte des Audi-Design einen Moment, den ich schon seinerzeit als »Sündenfall« empfunden habe, und ich sehe es noch heute so: Die große Modellpflege des Audi A4 (B6) 2004.
Die coole, scharf geschnittene und mit Witz gestaltete Mittelklasselimousine bekam eine neue Front und ein neues Heck, die Seitenfallung wurde geändert und, vor allem, der Charakter des Ganzen wurde dabei recht grundsätzlich verändert. Ich weiß noch, dass Bekannte, die ihr Geld z.B. als Verkäufer, als Finanzleute oder in der Betriebsorganisation verdienen, diese Veränderungen gar nicht hoch genug loben konnten. »Endlich ein Audi, der nach was aussieht«, war der Tenor. Als Gestalter sah ich die Sache etwas anders, doch es war schier unmöglich, diesen Damen und Herren aus dem mittleren Management zu erklären, warum die Designqualität des modellgepflegten A4 (der als B7 eine eigene Evolutionsstufe darstellte) weit hinter der des Vorgängers zurückblieb.
Das Drama, in mehrfachem Sinne, spielte sich vor allem im Bereich der Scheinwerfer und der Heckleuchten ab. Sowohl vorne als auch hinten bekamen die Leuchteinheiten eine wellenförmige Unterkante, ein dynamisch gemeintes Formelement, das wohl Walter de' Silva durchgesetzt hatte (ähnliches war wenige Jahre vorher bei Seat zu sehen gewesen). Zusammen mit dem an diesem Modell nun erstmals eingesetzten Singleframe-Grill wirkt das vorne erstaunlich weich und unstrukturiert. Anders gesagt: Wo beim B6 das isolierte Detail wenig und die Gesamtwirkung fast alles gilt, hat sich der Schwerpunkt nun verschoben. »Gestaltete« Details werden dem vorhandenen Grundkörper hinzugefügt, das große Thema gerät zugunsten gefälliger Stellen aus dem Auge. Besonders deutlich wird das am Heck der Limousine, wo ein ganz neues Thema, eine Abrisskante in Form eines umgedrehten U, eingeführt wird, das der Plastizität des Gesamtentwurfs nicht ganz gewachsen ist. Beim Avant fehlt diese Kante, und dadurch entsteht ein weicher, kugeliger Heckabschluss, der in seiner Plastizität überhaupt nicht mehr dynamisch wirkt, und in den die Heckleuchten mit ihrer bewegten Kontur ohne rechten Bezug eingesetzt sind. Die raffinierten Interferenzen zwischen Grafik und Körper, zwischen 3D und 2D, die den B6 prägen und ihn zu einer Art »Novelle für die Augen« machen – wenn man so etwas lesen kann – fehlen beim B7. Gewonnen wurde eine bessere Verständlichkeit der einzelnen Gestaltungslemente. Und hier dürfte auch der Grund für den großen Erfolg dieser Modellpflege im Markt sein. Wahrscheinlich hat man bei Audi recht bewusst in Kauf genommen, ein weniger raffiniertes Auto zu machen, wenn es sich besser verkauft.
Im Laufe der Jahre sind mit der neuen, weniger technischen und gefälligeren Linie viele neue Audis entstanden, welche die kleinen gestalterischen Schwächen des B7 nicht mehr hatten. Im Gegenteil, beim Betrachten der Reihe neuer Modelle, die seit dem auf den Markt kamen, kann man »Einer schöner als der andere« sagen, ohne rot zu werden. Für mich persönlich schien mit dem A5 Sportback ein Niveau erreicht, das sich in Sachen technischer Perfektion, Eleganz und Homogenität kaum mehr übertreffen ließ. Die kleinen Albernheiten der frühen Nuller Jahre sind ausgebügelt, eine Linie wurde gefunden, Grafik und Volumen haben ein interessantes und gleichzeitig harmonisches Verhältnis zueinander, und durch subtil modellierte Kurven kommt kräftig Spannung in den Körper.
Beim Umgang mit nahezu perfekt gestalteten Dingen stellt sich eine charakteristische Müdigkeit ein; es macht ja immer ein bisschen traurig, wenn man erkennt, dass eine Entwicklung allmählich an ihr Ende kommt. Mit dem A7 und den in Paris während der letzten Tage präsentierten Studien zeigt Audi, dass man solch edler Langeweile zu entkommen entschlossen ist – und zwar, ohne seltsame Experimente zu starten. Der Trick besteht in der Rückbesinnung auf die eigene Geschichte. Das Heck des A7 ist am besten als Referenz an das Audi 100 Coupé von 1970 zu verstehen, und es ist faszinierend, den Klassiker und seinen Urenkel zu vergleichen. Beide gewinnen dabei. Trotz der etwas überraschenden Wendung zu einfacheren, geometrischen Formen am Heck (der A5 Sportback hat hier gekurvte Lichtkanten mit etwas weicherem Kantenradius und eine bewegtere Plastizität) ist das Ergebnis vollkommen homogen. Die beim A5 noch so wichtigen Spannungsbögen der Akzentlinie über den Radausschnitten sind wieder verschwunden, doch die straffe, fast gerade Linie, die sich über den A7 spannt, hat eher noch mehr Zug, mehr Dynamik. Was für ein klares, selbstbewusstes und unprätentiöses Auto wurde hier geschaffenen! Es ist wie ein Maßanzug aus gutem Material mit perfektem Schnitt. Mancher wird sich daran ärgern und die Reduktion der Mittel kritisieren, doch im Grunde wissen wohl alle, dass es zwar nicht einfach ist, Schönheit zu erreichen, Schönheit aber immer einfach ist.
Vom Serienfahrzeug A7 führt dann eine recht direkte Linie zur Studie "Quattro Concept", unterwegs streifen wir noch kurz den bildhübschen "kleinen" e-tron, der wohl ein künftiges Sportcoupé vorwegnimmt. Man sieht die schärfsten Linien seit 30 Jahren, eine zwar komplexe, aber trotzdem aufgeräumte Architektur, fast geometrische Details – kurz: die Rückkehr zu den alten Tugenden des Audi-Design, das sich durch Klarheit und Understatement auszeichnete. Dabei haben die Designer natürlich nicht vergessen, was sie unterdessen gelernt haben. Die Flächen sind spannend, im Körper ist Bewegung , Front und Heck zeigen Ausdruck. Wenn alles gut geht, wird das Audi-Design künftig also beides verbinden: die architektonische, logische Auffassung, die die Marke in den 70er Jahren prägte und den gestischen, emotionalen Stil, der sich seit den 90er-Jahren überall ausgebreitet hat.
Bleibt zu hoffen, dass der Quattro Concept nicht nur ein Solitär ist, nicht nur eine postmoderne Referenz an ein wildes Auto aus großen Zeiten, sondern dass die hier angedeutete Linie sich auch auf den Serien-Audis der nächsten Jahre zeigen wird. Es wäre so etwas wie die Rückkehr auf den Pfad der Tugend, nach einem spannenden Ausflug in den Dschungel der Subjektivität. Ich sehe keinen anderen Hersteller, dessen Designer einen so geraden und gangbaren Weg in die Zukunft vor sich haben – 40 Jahre Contenance zahlen sich aus.
Angesichts solcher Souveränität könnte man fast vergessen, dass das ganze Konzept »Auto«, wie wir es kennen, aktuell eigentlich ein wenig in Frage steht…
Es gibt in der Geschichte des Audi-Design einen Moment, den ich schon seinerzeit als »Sündenfall« empfunden habe, und ich sehe es noch heute so: Die große Modellpflege des Audi A4 (B6) 2004.
Die coole, scharf geschnittene und mit Witz gestaltete Mittelklasselimousine bekam eine neue Front und ein neues Heck, die Seitenfallung wurde geändert und, vor allem, der Charakter des Ganzen wurde dabei recht grundsätzlich verändert. Ich weiß noch, dass Bekannte, die ihr Geld z.B. als Verkäufer, als Finanzleute oder in der Betriebsorganisation verdienen, diese Veränderungen gar nicht hoch genug loben konnten. »Endlich ein Audi, der nach was aussieht«, war der Tenor. Als Gestalter sah ich die Sache etwas anders, doch es war schier unmöglich, diesen Damen und Herren aus dem mittleren Management zu erklären, warum die Designqualität des modellgepflegten A4 (der als B7 eine eigene Evolutionsstufe darstellte) weit hinter der des Vorgängers zurückblieb.
Das Drama, in mehrfachem Sinne, spielte sich vor allem im Bereich der Scheinwerfer und der Heckleuchten ab. Sowohl vorne als auch hinten bekamen die Leuchteinheiten eine wellenförmige Unterkante, ein dynamisch gemeintes Formelement, das wohl Walter de' Silva durchgesetzt hatte (ähnliches war wenige Jahre vorher bei Seat zu sehen gewesen). Zusammen mit dem an diesem Modell nun erstmals eingesetzten Singleframe-Grill wirkt das vorne erstaunlich weich und unstrukturiert. Anders gesagt: Wo beim B6 das isolierte Detail wenig und die Gesamtwirkung fast alles gilt, hat sich der Schwerpunkt nun verschoben. »Gestaltete« Details werden dem vorhandenen Grundkörper hinzugefügt, das große Thema gerät zugunsten gefälliger Stellen aus dem Auge. Besonders deutlich wird das am Heck der Limousine, wo ein ganz neues Thema, eine Abrisskante in Form eines umgedrehten U, eingeführt wird, das der Plastizität des Gesamtentwurfs nicht ganz gewachsen ist. Beim Avant fehlt diese Kante, und dadurch entsteht ein weicher, kugeliger Heckabschluss, der in seiner Plastizität überhaupt nicht mehr dynamisch wirkt, und in den die Heckleuchten mit ihrer bewegten Kontur ohne rechten Bezug eingesetzt sind. Die raffinierten Interferenzen zwischen Grafik und Körper, zwischen 3D und 2D, die den B6 prägen und ihn zu einer Art »Novelle für die Augen« machen – wenn man so etwas lesen kann – fehlen beim B7. Gewonnen wurde eine bessere Verständlichkeit der einzelnen Gestaltungslemente. Und hier dürfte auch der Grund für den großen Erfolg dieser Modellpflege im Markt sein. Wahrscheinlich hat man bei Audi recht bewusst in Kauf genommen, ein weniger raffiniertes Auto zu machen, wenn es sich besser verkauft.
Im Laufe der Jahre sind mit der neuen, weniger technischen und gefälligeren Linie viele neue Audis entstanden, welche die kleinen gestalterischen Schwächen des B7 nicht mehr hatten. Im Gegenteil, beim Betrachten der Reihe neuer Modelle, die seit dem auf den Markt kamen, kann man »Einer schöner als der andere« sagen, ohne rot zu werden. Für mich persönlich schien mit dem A5 Sportback ein Niveau erreicht, das sich in Sachen technischer Perfektion, Eleganz und Homogenität kaum mehr übertreffen ließ. Die kleinen Albernheiten der frühen Nuller Jahre sind ausgebügelt, eine Linie wurde gefunden, Grafik und Volumen haben ein interessantes und gleichzeitig harmonisches Verhältnis zueinander, und durch subtil modellierte Kurven kommt kräftig Spannung in den Körper.
Beim Umgang mit nahezu perfekt gestalteten Dingen stellt sich eine charakteristische Müdigkeit ein; es macht ja immer ein bisschen traurig, wenn man erkennt, dass eine Entwicklung allmählich an ihr Ende kommt. Mit dem A7 und den in Paris während der letzten Tage präsentierten Studien zeigt Audi, dass man solch edler Langeweile zu entkommen entschlossen ist – und zwar, ohne seltsame Experimente zu starten. Der Trick besteht in der Rückbesinnung auf die eigene Geschichte. Das Heck des A7 ist am besten als Referenz an das Audi 100 Coupé von 1970 zu verstehen, und es ist faszinierend, den Klassiker und seinen Urenkel zu vergleichen. Beide gewinnen dabei. Trotz der etwas überraschenden Wendung zu einfacheren, geometrischen Formen am Heck (der A5 Sportback hat hier gekurvte Lichtkanten mit etwas weicherem Kantenradius und eine bewegtere Plastizität) ist das Ergebnis vollkommen homogen. Die beim A5 noch so wichtigen Spannungsbögen der Akzentlinie über den Radausschnitten sind wieder verschwunden, doch die straffe, fast gerade Linie, die sich über den A7 spannt, hat eher noch mehr Zug, mehr Dynamik. Was für ein klares, selbstbewusstes und unprätentiöses Auto wurde hier geschaffenen! Es ist wie ein Maßanzug aus gutem Material mit perfektem Schnitt. Mancher wird sich daran ärgern und die Reduktion der Mittel kritisieren, doch im Grunde wissen wohl alle, dass es zwar nicht einfach ist, Schönheit zu erreichen, Schönheit aber immer einfach ist.
Vom Serienfahrzeug A7 führt dann eine recht direkte Linie zur Studie "Quattro Concept", unterwegs streifen wir noch kurz den bildhübschen "kleinen" e-tron, der wohl ein künftiges Sportcoupé vorwegnimmt. Man sieht die schärfsten Linien seit 30 Jahren, eine zwar komplexe, aber trotzdem aufgeräumte Architektur, fast geometrische Details – kurz: die Rückkehr zu den alten Tugenden des Audi-Design, das sich durch Klarheit und Understatement auszeichnete. Dabei haben die Designer natürlich nicht vergessen, was sie unterdessen gelernt haben. Die Flächen sind spannend, im Körper ist Bewegung , Front und Heck zeigen Ausdruck. Wenn alles gut geht, wird das Audi-Design künftig also beides verbinden: die architektonische, logische Auffassung, die die Marke in den 70er Jahren prägte und den gestischen, emotionalen Stil, der sich seit den 90er-Jahren überall ausgebreitet hat.
Bleibt zu hoffen, dass der Quattro Concept nicht nur ein Solitär ist, nicht nur eine postmoderne Referenz an ein wildes Auto aus großen Zeiten, sondern dass die hier angedeutete Linie sich auch auf den Serien-Audis der nächsten Jahre zeigen wird. Es wäre so etwas wie die Rückkehr auf den Pfad der Tugend, nach einem spannenden Ausflug in den Dschungel der Subjektivität. Ich sehe keinen anderen Hersteller, dessen Designer einen so geraden und gangbaren Weg in die Zukunft vor sich haben – 40 Jahre Contenance zahlen sich aus.
Angesichts solcher Souveränität könnte man fast vergessen, dass das ganze Konzept »Auto«, wie wir es kennen, aktuell eigentlich ein wenig in Frage steht…