“Auch dein Tod gehört uns” – Die CDU und die Sterbehilfe

Skulptur auf dem Alten St. Matthäus Friedhof

Skulptur auf dem Alten St. Matthäus Friedhof

Kaum hat die große Koalition das Regieren ange­fan­gen, so haben wir pünkt­lich zum Jahresanfang die erste große gesell­schaft­li­che Debatte: Die Sterbehilfe. CDU Gesundheitsminister Gröhe ist mit der der­zei­ti­gen Regelung, dass die soge­nannte pas­sive Sterbehilfe erlaubt, nicht ein­ver­stan­den und möchte einen neuen, frak­ti­ons­über­grei­fen­den Antrag auf ein Verbot im Bundestag errei­chen.
Aber warum brau­chen wir das Verbot eigent­lich?

von Mira Sigel

Das große Tabu Tod

Es gehört zu den Eigenheiten unse­res gesell­schaft­li­chen Lebens, sich über den Tod so wenig Gedanken wie mög­lich zu machen. Erst wenn er uns unver­hofft begeg­net, begin­nen wir, uns mit ihm aus­ein­an­der zu set­zen, meis­tens dann, wenn ein Angehöriger oder Freund betrof­fen ist. Der Tod und seine Ernsthaftigkeit wird in unse­rer kon­sum­be­rausch­ten, ober­fläch­li­chen Gesellschaft schon lange aus­ge­klam­mert, tabui­siert. In ande­ren Gesellschaften ist er ein sehr viel grö­ße­rer, selbst­ver­ständ­li­che­rer Teil des Alltags, was auch zur Folge hat, dass es Rituale für das Abschiednehmen und das Trauern gibt, wäh­rend man hier­zu­lande dar­über dis­ku­tiert, ab wie viel Wochen ein Trauerprozess krank­haft ist.

Gleichzeitig gehört es in einer immer älter wer­den­den Gesellschaft ebenso bereits zum Alltäglichen, dass Menschen am Ende ihres Lebens pfle­ge­be­dürf­tig wer­den, dass sie schwerst­krank wer­den und dass durch die medi­zi­ni­schen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung ste­hen, ihr Leben ver­län­gert wer­den kann, obwohl die per­sön­li­che Erlebensqualität des Lebens längst zwei­fel­haft ist.

Ein unnö­ti­ges Verbot

Bislang galt es in Deutschland als nicht straf­bar, einem Menschen, der ster­ben wollte, zum Beispiel eine töd­li­che Dosis von Medikamenten zu über­las­sen, auch in dem Wissen, dass er sich damit umbringt. Das nennt man die pas­sive Beihilfe zum Selbstmord. Aktive Selbsthilfe wäre es, ihm diese Medikamente zu ver­ab­rei­chen und diese Beihilfe ist tat­säch­lich straf­bar. Ärzte, die pas­sive Beihilfe aus­üben, ver­sto­ßen aller­dings gegen das Berufsrecht und ver­lie­ren schlimms­ten­falls ihre Zulassung, auch wenn das so gut wie nie geschieht.

Gesundheitsminister Gröhe möchte nun ein ein­deu­ti­ges Verbot sowohl für die gewerbs­mä­ßige als auch für die geschäfts­mä­ßige pas­sive Sterbehilfe. Eine gewerbs­mä­ßige, also pro­fit­ori­en­tierte fin­det sich in Deutschland ohne­hin nicht, sehr wohl aber die geschäfts­mä­ßige in Form von gemein­nüt­zi­gen Vereinen wie etwa Dignitas. Genau diese will Gröhe nun auch ver­bie­ten. Nun stellt sich die Frage, ob es denn durch die aktu­elle Regelung zu einer mas­sen­haf­ten Anwendung von pas­si­ver Beihilfe gekom­men ist? Die Statisitiken zei­gen: Nein. Und selbst in Ländern mit einer noch sehr viel libe­ra­le­ren Gesetzgebung zur Sterbehilfe wie zum Beispiel Belgien oder der Schweiz gibt es kein mas­sen­haf­tes Auftreten von Selbsttötungen am Lebensende.

Der Staat mischt sich ein in letzte Dinge

Kritiker wen­den ein, dass Sterbehilfe in einer über­al­tern­den Gesellschaft mit einem Mangel an Pflegekräften dazu füh­ren könnte, dass sich alte Menschen dazu gezwun­gen sehen, den Freitod zu wäh­len, um ihren Angehörigen oder der Gesellschaft nicht zur Last zu fal­len. Gerade in Deutschland wird dann auf die schreck­li­che Vergangenheit Nazi-Deutschlands und die Geschichte der Euthanasie ver­wie­sen, in der soge­nann­tes »unwer­tes« Leben ver­nich­tet wurde. Die Mahnung an die Geschichte ist auch rich­tig. Was nicht rich­tig ist, ist dass der neue Gesundheitsminister nichts bes­se­res zu tun hat, als den kon­ser­va­ti­ven Forderungen nach der Herrschaft über Tod und Leben den Mund zu reden, nament­lich: Den Kirchen.

Franz Müntefering zitierte jüngst im ZDF den Satz »Mein Tod gehört mir«, der bereits seit den 1960ern zu der Debatte gehört. Er tritt damit für ein Verbot der Sterbehilfe ein. Aber was bedeu­tet das eigent­lich zu sagen, »Mein Tod gehört mir«? Heißt das nicht genau, dass der Gesetzgeber sich aus die­sen »letz­ten Dingen« her­aus­zu­hal­ten hat? Dass jeder Mensch das Recht dar­auf haben muss, sein Leben so zu been­den wie er es möchte und wenn nötig die ent­spre­chende Hilfe dazu in Anspruch neh­men kann? Warum muss der Staat sich in die­sen Bereich ein­mi­schen? Erklärt er nicht in ande­ren Bereichen wie zum Beispiel der Prostitution das Recht auf Selbstbestimmung über den eige­nen Körper und das eigene Leben als höchs­tes Gut?

Eine heuch­le­ri­sche Debatte

»Mein Tod gehört mir«, das klingt ganz nach »Mein Bauch gehört mir«, der Forderung nach dem Recht auf Abtreibung. Auch diese Schlacht wurde nicht gewon­nen, Abtreibungen sind noch immer ver­bo­ten, nur unter sehr engen Bedingungen sind sie straf­frei. Unser Bauch gehört nicht uns, und unser Tod offen­sicht­lich auch nicht. Hinter bei­dem ste­hen die kon­ser­va­ti­ven Interessen von Regierung und Kirchen, die sich in der christlich-bürgerlichen Regierungspartei CDU ver­ei­nen, sie wol­len bei­des, die Herrschaft über den Beginn des Lebens und über sein Ende. Und natür­lich über die Zeit dazwi­schen, die mög­lichst pro­duk­tive Ausbeutung unsere Lebenszeit.

Tatsächlich geht es hier nicht um ein wirk­lich drän­gen­des gesell­schaft­li­ches Problem, das in der Realität zu dras­ti­schen Konsequenzen führt, es geht viel­mehr um eine sym­bo­li­sche Machtdemonstration in bes­ter kon­ser­va­ti­ver Tradition. »Auch dein Tod gehört uns« muss die Über­schrift der Debatte daher viel eher hei­ßen. Die gesamte mora­li­sche Debatte, in deren Anschluss der Bundestag ohne Fraktionszwang über die Sterbehilfe abstim­men soll, mutet selt­sam an. Hat der Gesundheitsminister aktu­ell keine grö­ße­ren Aufgaben zu bewäl­ti­gen?

Da ist zum Beispiel der deso­late Zustand in der Pflege, der gerade jenen Menschen Angst macht, wenn sie an den Tod den­ken, näm­lich jenes unmensch­li­che Dahinvegetieren in schlecht ver­sorg­ten Altersheime, durch schlecht bezahlte, lieb­lose Hände, denen man aus­ge­lie­fert ist, einer Medizin, die sich mehr um Fallpauschalen küm­mert als um den Menschen, eine Medizin, die immer schär­fer zwi­schen Privat- und Kassenpatienten unter­schei­det.

Warum füh­ren wir diese Debatten nicht ein­mal mit der glei­chen mora­li­schen Intensität wie die um die Sterbehilfe? Weil da nicht so viel Beifall vom konservativ-bürgerlichen Lager zu holen ist, weil man hier die Kritik für neo­li­be­ra­les Wirtschaften ein­fah­ren müsste und sich nicht mit groß bebil­der­ten Interviews in Szene set­zen kann, son­dern mal tat­säch­lich die Ärmel hoch­krem­peln und arbei­ten muss, was für beide Partner der Großen Koalition gilt.

Vielmehr wird ein mora­li­sches Problem kon­stru­iert, des­sen reale Auswirkungen gering sind, um von den wirk­li­chen gesell­schaft­li­chen Miseren, der Altersarmut, dem men­schen­un­wür­di­gen Behandeln, Pflegen und Sterben abzu­len­ken.

Wer sich ein­mal auf den Stationen einer Gerontopsychiatrie umge­se­hen hat, der weiß, in wel­che weiß­be­kit­tel­ten Höllen ein Lebensende füh­ren kann. Es gibt einen Begriff für solch ein poli­ti­sches Handeln: Man nennt es Heuchelei.

[Über­nahme von Die Freiheitsliebe]

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Nic Frank Nic Frank

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