Attachment Parenting: Langzeiterfahrungen, Teil 2

Von Lareine

Teil 1 des Erfahrungsberichtes findet sich hier

Kinder-Bedürfnisse, Mutter-Bedürfnisse

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Angsterkrankung mit Panikattacken. Meine Seele (oder auch: meine Psyche, für alle, denen dieser Terminus eher zusagt) steckte in einem Käfig und zerrte an den Stäben. Aber ich konnte sie nicht mehr herauslassen, da war ja kein Raum mehr für mich. Ich hatte jeden Raum mit den Kindern gefüllt oder ihn von ihnen füllen lassen. Im Glauben, dies sei richtig so. Ich hatte ja gar nicht gemerkt, wie ich langsam in’s Hintertreffen geraten war. Ein Familiensystem baut man schließlich nicht planmäßig auf. Es entfaltet und entwickelt sich dynamisch durch seine TeilnehmerInnen. 

Zugleich gab es immer etwas „im Außen“, um das ich mich kümmern musste:

Die Kinder waren im Kindergarten sehr unglücklich. Bei einer Quote von über 90 Prozent nicht-deutschsprachigen Kindern kamen sie dort doch etwas zu kurz, da die Erzieherinnen sich immer um die Kinder kümmerten, die eben Förderungsbedarf hatten. Nummer 1 (zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts 5 Jahre alt) wurde immer aggressiver und launischer. Nummer 2 (3 Jahre alt) immer weinerlicher. Die KiTa-Leiterin nahm mich zur Seite und sagte, es sei nicht der richtige Kindergarten für uns. Ich hatte zuvor gedacht, dass es gut sei, mit vielen Kulturen zusammen zu sein und verschiedene Menschen kennenzulernen. Leider war das nicht ganz so einfach gewesen.

Der nächste geeignete Kindergarten war ziemlich weit weg. Ich hätte mit den beiden plus Baby mit Straßenbahnen und Bus fahren müssen. Das wollte ich uns nicht so gerne antun. Dann wurde am nächsten Wochenende in unser Auto eingebrochen und wir sahen darin – und an den Einschusslöchern im Straßenschild an der Häuserecke –  ein Zeichen, die Großstadt zu verlassen.

Wir zogen um in eine Vorstadt des Ruhrgebiets und genossen den Charme der „Ländlichkeit“. Ich kam innerlich etwas herunter, war aber immer noch krank. Langsam begann ich, mich auf mich selbst zu besinnen. Und beschloss, eine Therapie zu starten. Da wurde mein Mann schwer krank und ich vertagte diese Idee um eineinhalb Jahre.

Die Kinder begleitete ich nach wie vor zuverlässig auf die gleiche Weise. Sie bekamen von meinen Ängsten nichts mit. Das wollte ich absolut vermeiden. Ich fing sie während der Erkrankung ihres Vater auf und schiffte sie ohne schwere Beeinträchtigungen dadurch. Währenddessen lernte ich aber auch, etwas mehr auf mich zu achten. Ursprünglich, damit ich genug Energie für die Pflege und Betreuung meines Mannes hatte. Der Nebeneffekt war aber, dass ich dies beibehielt. Es war allerdings nicht genug. Das wiederum sollte ich erst später spüren.

Als es meinem Mann wieder besser ging und er sich in das Arbeitsleben wiedereingegliedert hatte, begann ich ein Jahr darauf, in der gleichen Agentur zu arbeiten. Nun hatte ich das klassische Vereinbarkeitsthema mit Stau/Kindergartenabholzeit/Ferienbetreuungsfragen.

Ich war damit befasst wahrzunehmen, wie es vor allem Nummer 2 ging, die sehr viel Aufmerksamkeit brauchte und einforderte. Nummer 1 kam bald in die Schule, die beiden Kleinen besuchten zusammen den ausgesprochen guten neuen Kindergarten. Ich begann meine Therapie. Zeit verging, wir lebten uns gut ein und machten zugleich Pläne für die Zukunft. Die meisten Familienmitglieder atmeten aus (ich nicht) und das System richtete sich neu aus nach der Krankheit. Meine Panikattacken und Ängste waren inzwischen Alltagsbegleiter für mich. Ich steckte sie weg und machte weiter wie zuvor. Die Kinder und ihre Bedürfnisse waren nach wie elementar wichtig und bekamen einen großen Raum. Dies bezog sich nicht mehr so sehr auf „Ich hab Durst!“ sondern eben auf alle Bedürfnisse, die kleineren und die großen. Ich empfand es als unverantwortlich, ihnen plötzlich die Zusage meiner Aufmerksamkeit und die Achtsamkeit für ihre Bedürfnisse zu versagen. 

Neuanfang

Wir beschlossen, ein Haus zu kaufen und fanden eines in einer 30 Minuten entfernten Kleinstadt. In einem idyllisch gelegenen Teil derselben. Ganz ländlich, nahe am Rhein, wunderschön.

Nummer 1 und 2 waren inzwischen beide in der Schule. Nummer 3 kam in einen extrem „dörflichen“ (anspruchslosem 0815-) Kindergarten mit Kaffee trinkenden Erzieherinnen, die turnusmäßig die gleichen schablonierten Bastelwerke anfertigten, damit die Kinder sie zusammenklebten. Die Kinder leierten in einem speziellen Dialekt, den Nummer 3 kaum verstand. Sie fand zwar Freunde – das tut sie immer binnen kürzester Zeit – war aber unterfordert. Hier hieß es also wieder: Auffangen und ausgleichen.

Nummer 2 erlebte Ähnliches in der Schule und zeigte bald Anzeichen einer deutlichen Niedergeschlagenheit. Sie störte den Unterricht, weinte für „jedes Bisschen“ und fühlte sich in der Schule absolut nicht gut. Wieder zwei Baustellen für mich. Ich hatte viel auszugleichen für die beiden und viel nachzudenken. Schließlich tröstete ich Nummer 3 immer wieder damit, dass sie ja auch in absehbarer Zeit in die Schule käme und bot ihr an, den Kindergarten zu wechseln. Doch sie wollte nicht schon wieder in eine neue Umgebung und blieb.

Mit Nummer 2 machte ich einen Termin zu einem Intelligenztest in einem Hochbegabtenzentrum aus. Im vorherigen Wohnort hatte eine neue (engagierte) Lehrerin mich auf Nummer 2 angesprochen (die bereits dort im Unterricht auffällig gewesen war) und vorgeschlagen, einen solchen Test machen zu lassen, falls Nummer 2 in der Schule unglücklich werden würde. Nun war es also soweit: Vor allem, um der Lehrerin, die heftig allergisch auf „aus der Reihe tanzenden Kinder“ reagiert hatte, vielleicht zeigen zu können, dass die Wut, die sie auf meine Tochter empfand, einfach nicht angebracht war. Ich wollte Nummer 2 beschützen und ihr zugleich deutlich zeigen: „Nein, du bist nicht dumm, auch wenn du dich nach der Behandlung an beiden Schulen genau so fühlst.“

Wir bekamen am Ende eines sehr langen Test-Tages einen ebenso langen Ausdruck mit. Mit diesem ging es zur Schule und nach einigem Hin- und Her im Rahmen einer Schulkonferenz durfte Nummer 2 sich die 3. Klasse schenken.

Meine Therapie tat mir gut, meine Ängste wurde ich dennoch nicht los. Irgendwie hatte meine Seele einfach zu viel durchgemacht. Und ich hatte (so viel spoilere ich hier schon mal) nie gelernt, wirklich auf mich zu achten. Selbstliebe war ein Fremdwort. Ich hatte mal irgendwann in meinem Leben besser auf mich geachtet – aber das war gewesen, bevor ich Mutter geworden war.

Ich kündigte, als unsere Notfall-Kinderbetreuung (meine Schwieger-Oma) durch schwere Krankheit ausfiel und letztlich verstarb, meinen Job in der Agentur (knapp vor meiner ersten Aufstiegschance …) und arbeitete wieder freiberuflich. 

Zeit verging. Mein Mann litt immer noch unter den Nachwirkungen seiner Krankheit, ich übernahm viele seiner einstigen Aufgaben oder fühlte mich mies, wenn er diese unter erschwerten körperlichen Bedingen selber übernahm. Er fühlte sich mies, wenn er Hilfe von mir annehmen musste und insgesamt ist ein körperlich eingeschränkter Mann meistens erst einmal kein besonders glücklicher. 

Und doch packte er sehr viel – es kostete ihn nur immer viel mehr Nerven. Es spielte sich insgesamt eine neue Routine ein.

Wir hatten wieder mehr Energie, fühlten uns erholter, bis die nächste Baustelle anbrach: Nummer 2 fühlte sich in der nächsten, der weiterführenden Schule nicht sehr wohl, da sie gemobbt wurde. Auch Nummer 1, die man in die gleiche Klasse eingeteilt hatte, wurde belastet, da sie mit ausgegrenzt wurde und keine Freunde fand. Es gab wieder – oder immer noch – viele Bedürfnisse, um die ich mich kümmerte. Und zwar immer sehr gründlich und mit viel Zeit, in der ich mich zu den verschiedenen Themen informierte und Lösungen suchte. Letztlich befreite sich Nummer 2 zunächst aus der Problematik, in dem sie Gewalt anwendete. Wir hatten hier damals darüber berichtet.

Insgesamt ging es mir psychisch immer besser und es gab immer wieder monatelange Phasen ganz ohne Angst. Ich wusste noch nicht, dass die Angst nicht nur ein Symptom für frühkindliche Traumata war, sondern mehr: Sie verdrängte andere Gefühle. Solche, die ich mir verbot. Also bekämpfe ich sie, atmete sie weg, entspannte mich. Und vergaß, sie als Hinweis zu sehen, im Moment ihres Auftretens zu schauen, was ich eigentlich in Wirklichkeit empfand.

Doch das Leben spielte sich ein, ich traf morgens Freundinnen zum Frühstück, gönnte mir Zeit für mich und teilte mir meine freiberufliche Tätigkeit so ein, dass ich auch mal Raum für mich hatte.

Wir beschlossen irgendwann, noch ein viertes und letztes Kind zu bekommen.

Das Ende der „Bedürfnis-Romantik“

Die Schwangerschaft war wunderbar. Ich war glücklich und stolz. Wir alle waren das.

Das Baby war dann das mit großem Abstand anstrengendste Neugeborene, das ich je erlebt habe. Wir hatten gedacht: „Wir alten Hasen packen das noch mal locker. Unsere Babies wurden ja von Mal zu Mal immer weniger kompliziert und anstrengend. Vermutlich pennt der Kleine den ganzen Tag“. Mitnichten.

Unser High-Need-Baby hatte quasi einen Strohhalm in mich und meine Kraftreserven gesteckt und saugte daran. Und zwar so richtig.

Ich bekam eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, schleppte mich in wirklich ätzenden Zuständen (wegen der Schilddrüsenüberfunktion) durch den Alltag. Dazu kamen dann weitere Themen und Bedürfnisse:

Nummer 3 litt, weil Nummer 1 und 2 in die Pubertät kamen und nicht mehr mit ihr spielen wollten. Zudem war da das Baby, das ihr den Rang als Nesthäkchen gestohlen hatte. Nummer 1 und 2 litten unter typischen Pubertätssymptomen und fühlten sich in ihren Gefühlen und Körpern unwohl. Nummer 2 litt unter dem wieder auflebenden Mobbing in der Schule, Nummer 1 litt mit, weil sie als Schwester zwischen den Fronten stand in der Klasse und alle brauchten sie mich, um dies alles wahrzunehmen und aufzufangen. 

Das gelang mir allerdings immer weniger. Ich hatte gefühlt den ganzen Tag einen Säugling an meiner Brust hängen oder im Tragetuch an mich gebunden, schälte wippend Gemüse – denn auf der Stelle stehen duldete der Nachwuchs nicht und so weiter. Ich hatte es mal bildhaft beschrieben: „Ich hörte Latein-Vokabeln ab, während ein Mensch an mir saugte und gleichzeitig der Paketmann an der Tür klingelte“.

Ich wurde immer müder, mein Kreislauf machte immer mal wieder schlapp. Meine Hebamme riet zu dringendem Abstillen oder mindestens nächtlichem Zufüttern. Dies tat ich unter Gewissensbissen. Ich fütterte zu und konnte ab dann dabei zusehen, wie Nummer 4 sich ganz abstillte: Er drehte den Kopf irgendwann einfach weg von der Brust. Auch die Flasche wollte er jedoch bald darauf danach nicht mehr haben: Er wollte löffeln.

Dann gab es einen Punkt, den ich so schnell nicht vergessen werde: Während eines Filmabends dachte ich plötzlich erschrocken (ich zuckte dauernd zusammen, weil ich so unter Anspannung stand):

„Was ist denn das für ein komisches Geräusch?“ Ich hatte gelacht. Und vergessen, wie sich das anhörte.

Ich quälte mich morgens aus dem Bett in die zähe Routine meines anstrengenden, arbeitsreichen und eintönigen Alltags.

Ich wusste es nicht, aber ich litt am Burnout.

Der Punkt der Veränderung

Ich zu meiner Hausärztin, organisierte alles Nötige und ging zur Kur.

Und ich lernte endlich, für mich da zu sein. Auch und vor allem gegen Widerstände (Kinder, die ich an das übliche Mutterbild „Mama kommt ganz zuletzt an die Reihe“ gewöhnt hatte ganz in vorderster Reihe …).

Ich fühlte mich mies, weil ich den Kindern den gewohnten Umgang mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen kürzte. Ich lernte dann, mich deshalb nicht mehr mies zu fühlen.

Ich begriff, dass man die Bedürfnisse und Selbstentfaltung von mehr als einem oder zwei Kindern nur dann wirklich gewährleisten kann, wenn alles passt. Keine Krankheiten, keine familiären Notfälle oder andere Krisen dürfen eintreten. Und wenn dies doch der Fall ist, muss man abgegrenzt genug sein und den Kindern ausreichend vermittelt haben:

Du bekommst was du brauchst, wenn es möglich ist. Ansonsten musst du dich in Bedürfnisaufschub üben und selber Lösungen finden können. Jetzt gerade habe ich andere Dinge auf dem Sender, um die ich mich kümmern muss. Du weißt, dass ich im Notfall für dich da bin. Und ich weiß, dass du autark genug bist, um eine Weile für dich da sein zu können.“

Dann sagten Nummer 1 und Nummer 2 während der Kur etwas, das für mich alles veränderte:

„Wir sind ziemlich verwöhnt und unselbstständig. Das geht uns ziemlich auf’s Ego. Du wolltest, dass es uns immer gut geht. Und das war wirklich megalieb und so. Aber viel zu anstrengend. Du musst uns jetzt helfen, das alles nachzuholen. Wir fühlen uns ultrageliebt, aber auch wie kleine Trottel. Wir werden es zwar hassen, aber: Bitte mach selbstständige Menschen aus uns, auch wenn das Arbeit für uns bedeutet!“

Unselbstständig? Ich hatte doch gar nicht helikoptert. Ich hatte sie mit Freunden stundenlang frei herumziehen lassen. Sie konnten bereits Wäsche waschen, einfaches Essen kochen und Fenster putzen. Sie analysierten erstaunlich gut das Verhalten ihrer Mitmenschen, hatten Selbstironie und ihr Sozialverhalten und auch ihr Benehmen wurden immer wieder von verschiedenen Seiten gelobt. Sie empfanden sich als Trottel? Wie meinten sie das?

Sie meinten, dass sie besser hätten lernen sollen, ihre Bedürfnisse weitreichender selber zu befriedigen. Viel mehr, als ich das auf Grund meiner Einschätzung und des Kampfes gegen den Mainstream der Kinderziehung („Es soll ihnen an nichts mangeln“) getan hatte. Sie wollten nur von fern begleitet werden. Und keine Mutter, die dauernd wahrnahm, welche Regung ihre Psyche nun schon wieder tat. Sie wollten den Mut haben, einfach beim Zahnarzt anzurufen und einen Termin auszumachen. Sie wollten mal etwas hinbekommen, ohne nach zwei Sekunden „Mamaaa!“ zu rufen. Sie waren im Alltag recht verpeilt und zugleich doch intelligente und aufmerksame Menschen. Etwas an ihnen war auf der Strecke geblieben. Es passte nicht zum Rest. Wenn man auf der einen Seite mit Erwachsenen locker in Gesprächen mithalten kann und auf der anderen Seite dauernd sein Turnzeug vergisst, dann fühlt man sich einfach nicht gut. 

Alles falsch gemacht?

Nun hatte ich da aber immerhin eben genau solche Kinder vor mir: Kinder, die sich gut ausdrücken können und deren Beobachtungen sehr reflektiert sind. Kinder mit weit ausgebildeten, freien Persönlichkeiten, die vertrauensvoll ihre Meinung sagen.Daher hörte ich genau hin, was sie mir zu sagen hatten. Und das empfand ich als sehr krass:

Ich hätte mich nicht genug abgegrenzt, sagen sie. Sie hätten nicht gelernt, mich mit respektvollem Abstand zu behandeln. Sie hätten mehr Führung und etwas weniger Zuwendung gebraucht, finden sie. Mehr Erwartungen hätte ich an sie stellen sollen, an denen sie hätten wachsen müssen, das hätte sie angespornt. Ich hätte immer alles gleich vergeben, weil ich Verständnis gehabt hätte – dies hätte sie träge gemacht.

Sie sagen: „Wir haben niemals Angst gehabt, dass du uns nicht mehr lieb hast!“

Und ich:“ Ja, aber das ist doch wunderbar. genau das wollte ich!“

Sie erwiderten: „Tja, vielleicht. Aber so konnten wir mit dir machen, was wir wollten. Du hast ja eh alles sofort verziehen. Eine Liebe, die alles aushält muss eben wohl auch alles aushalten. Das ist eigentlich nicht gut. Weder für dich noch für uns.“

Ich bin dankbar, dass sie dies sagen können. Die Manöverkritik, die viele Eltern fürchten, kenne ich nun schon. Und ich wachse an ihr. Sie befreit mich. Sie erlaubt mir, auch in der Mutterrolle endlich ich selbst zu werden.

Sie zeigt mir auch, dass unsere Bindung und unser Vertrauen wunderbar tief sind. Dies zeigt, dass meine Kinder viele neuronale Verbindungen aufgebaut haben, weil ich ihnen immer alles respektvoll beantwortete. Sie vertrauen mir, weil ich sie respektvoll behandelte und nicht belogen habe. Ich habe sie nie aus eigener Motivation oder eigenen Bedürfnissen heraus wie kleine Kindchen behandelt, sondern ihre Persönlichkeiten frei wachsen lassen. Und das hat sie zu etwas ganz Wunderbarem werden lassen: Sie sind ganz sie selbst. Der Rest ist der Feinschliff, den sie einfordern.

Neulich las ich mit ihnen übrigens gemeinsam Artikel über Attachment Parenting.

Sie kommentierten:

Nummer 2: „Klingt wie das, was du mit uns gemacht hast. Wir wissen ja, was dabei herauskam. Aber echt: danke, dass wir nicht auch noch mit sechs immer noch gestillt wurden. Das ist ja grauenhaft! Und danke, dass du keine Fotos davon gemacht und aller Welt gezeigt hast. Danke, dass wir nie alle zusammen in ein Bett gepfercht wurden. Bäh, Nummer 3s Knochenfüße an meinen nackten Beinen – eine grauenhafte Vorstellung!“

Nummer 3: „Das ist gemein! Ich würde es liiiieben, wenn wir alle zusammen schlafen würden. Ich liebe das auch, wenn wir das mal machen, wenn der Dada auf Geschäftsreise ist!“

Nummer 1: „Ich brauche das gar nicht. Ich brauche viel Privatsphäre und Nähe war noch nie so mein Ding. Also ich sehe das wie Nummer 2: ich hätte das nicht leiden können, so eng zusammen zu liegen. Außerdem glaube ich, dass man viel zu lange klein und unselbstständig bleibt, wenn man so lange wie ein Baby behandelt wird. Muss echt jeder selber wissen, aber meins ist das nicht.“

Nummer 2: „Und mal echt, Mama: Wollen Ehepaare nicht auch mal allein im Bett sein? Die brauchen doch auch mal Zeit für sich im eigenen Zimmer. Das fehlt doch dann auch.“

Nummer 3: „Na, vielleicht bekommen sie dann nicht so viele Kinder. Ist ja auch besser, weil so groß, dass vier Kinder reinpassen ist ja eh kein Bett.“

Nummer 1: „Kinder kann man auch woanders zeugen als im Bett.“

Nummer 3: „Wo denn?“

Nummer 1 (großschwesterlich wissend): „Was weiß ich? Im Garten, im Wohnzimmer, in der Küche, in einem Hotel … ?“

Nummer 2: „Haha, klingt sehr romantisch. Ich hätte ein sauschlechtes Gewissen, wenn ich jahrelang zwischen Mama und Dada gelegen hätte. Was, wenn die weniger verliebt wären oder so? Dann würde ich denken, das lag an mir, auch wenn das nicht deshalb war. Nee, danke. Ich finde es gut so, wie es ist. Haben nun mal nicht alle die gleichen Bedürfnisse.“

Nummer 1: „Ich versteh schon, wie das im Grunde gemeint ist: Kinder, deren Bedürfnisse wahrgenommen werden, fühlen sich geliebt. Wenn man missachtet wird oder Vorwürfe bekommt für seine Bedürfnisse, dann fühlt man sich nicht gut, klar. Aber das kann man auch übertreiben. Wir fühlen uns geliebt und auch selbstbewusst, auch wenn ich schüchtern bin. Aber dass ich das bin liegt daran, dass ich nur ein halbes Jahr gestillt wurde – das schwöre ich. Ich bin einfach so. Es ist meine Aufgabe, das zu ändern, wenn ich das will. Man hat ein Recht auf eigene Herausforderungen, sonst wächst man nicht. Ich glaube, meine Kinder erziehe ich ganz anders: Sie bekommen auch viel Liebe, aber sie müssen einfach mehr selber klarkommen. Nur das zusammen macht wirklich stark. Sonst fühlt man sich ewig wie ein kleines Kind.“

Nummer 2: „Das gefällt vielen Müttern vielleicht auch. Die werden gerne gebraucht. Oder sie verpassen einfach den Moment, an dem ihnen das nicht mehr guttut und machen immer weiter damit. So wie Mama. Wir sind ultra-attached. Und das ist echt nicht nur gut. Ich freue mich, dass ich mich gut und wertvoll fühle. Aber irgendwie kann man in diesem Umgang sehr schwer so Grenzen ziehen.“

Abschließende Gedanken

Für kleine Kinder ist dieser Weg ideal. Man muss ihn allerdings kontinuierlich zurückschrauben, je älter die Kinder werden. In kindlichen Bedürfnissen liegt nur bedingt Romantik. Sie brauchen Liebe, natürlich. Aber auch noch viel mehr. Vieles davon ist sehr anstrengend zu geben. Auch wenn es nichts mit Selbstaufopferung zu tun hat: Loslassen ist eines davon. Sie auch mal auf die Nase fallen lassen (bildlich und körperlich). Sie ernst nehmen und ihnen dennoch Grenzen setzen – mindestens dort, wo eigene Wünsche anfangen. Die Bindungstheorie oder auch das bedürfnisorientierte Erziehen ist für kleine Kinder gedacht. Zumindest in der engen, kuscheligen Art. Was nach der Kleinkindphase kommt, ist etwas ganz anderes. Und man sollte zugleich nicht aufhören, die Bedürfnisse wahrzunehmen und die Notwenigen umzusetzen. Bedürfnisaufschub ist nämlich auch ein Bedürfnis – das wissen Kinder nur nicht. Sie müssen ihre Bedürfnisse für andere zurückstecken lernen – auch für elterliche.

Es besteht einfach die Gefahr, dass Mama auslaugt, während die Kinder es für selbstverständlich halten, dass sie viel zu viel um sie dreht. Dadurch fehlt ihnen auch Orientierung und Anleitung. Kinder brauchen in der Tat Vorbilder. Ein Vorbild, das sich abhetzt, damit andere, schnell-schnell, ihren Saft aus dem roten und nicht dem blauen Becher bekommen, das werden sie nachahmen. Und dann gibt es die nächste Generation ausgebrannter und sicherlich nicht glücklicher Mütter. 

Natural Parenting ist eine Idee – wie ich kürzlich durch eine Kommentatorin zu Teil 1 dieses Langzeiterfahrungsberichtes erfuhr – die von einem Mann (William Sears) maßgeblich (mit-)geprägt wurde, der ein als fundamentalistisch zu bezeichnender Christ ist: Die Idee des männlichen Familienoberhaupts und an dessen Seite der aufopferungsvollen Mutter als Meer voller gebender Liebe und voller Selbstaufopferung liegt hier zu Grunde. Gestreng wird keine Abweichung geduldet: Die erschöpfende Mutter sollte sich notfalls in eine Therapie begeben, um nicht vom Kurs abweichen zu müssen, weil es einfach zu viel ist. Sie soll in der Not nach Kraftquellen suchen – es scheint nicht vorgesehen zu sein, dass sie Grenzen setzt. Gesunde Grenzen für sich und ihre Kinder.

„Frauen in der Selbstaufopferung“ ist in der Tat tief verankert in der christlichen Tradition. Wer sich aber aufopfert zieht sich zurück, untergräbt seinen Wert und dient den anderen Teilnehmenden eines Systems im Prinzip als (energetische) Nahrung. Das System zieht aus ihnen heraus, was es braucht. Ein respektvoller Umgang miteinander im Sinne familiärer und auch partnerschaftlicher Liebe sieht doch eigentlich anders aus.

Wer die Balance schafft, sich selbst Gutes zu tun und eben auch seiner Familie – der hat viel erreicht. In meiner Kur sagte eine der Therapeutinnen mal:

„Sie kennen das, meine Damen: Im Flugzeug sagt die nette Flugbegleiterin immer: Setzen sie zuerst sich die Sauerstoffmaske auf und dann den Sitznachbarn. Während sie keine Luft bekommen, sind sie nämlich keine große Hilfe.“