Äthiopischer Kaffee: »Den Charakter bestimmt der Verkoster«

Von Kaffeewacht

Dr. Hans-Jürgen Langenbahn, Fotoquelle: Dr. Langenbahn

Interview mit Dr. Hans-Jürgen Langenbahn, Maskal-Kaffee
Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, mit dem Kaffee- und Äthiopien-Experten Dr. Hans-Jürgen Langenbahn (Ethnologe) von Maskal fine coffee company, Bochingen/Freiburg ein telefonisches Interview zu führen.

Kaffeewacht: Herr Dr. Langenbahn, vor mir steht eine Kaffeepackung mit der Aufschrift »Äthiopien Sidamo«. Kommt dieser Kaffee aus der Provinz Sidamo bzw. Sidama?
Langenbahn: Die Provinz Sidamo gibt es nicht mehr. Nach der Verwaltungsreform von 1994 wurde eine Sidama Zone in der Verwaltungsregion Southern Peoples, Nations & Nationalities gebildet. In Äthiopien wird Kaffee aber auch nicht nach Regionen definiert, sondern nach Charakter beziehungsweise nach Geschmack.
Kaffeewacht: Wie definiert Äthiopien denn Kaffee nach Charakter?
Langenbahn: Der Kaffee wird von den Produzenten (Plantagen, Kooperativen) zum Verkostungszentrum in Addis Abeba gebracht. Diese Organisation weiß nicht, woher der Kaffee aus dem Land kommt. Er wird defacto blind verkostet. Alles, was an Kaffee reinkommt wird als Geschmack definiert und als Yirga Cheffe, Sidamo, Limu oder Jimma verkauft. Der Kaffee aus Äthiopien ist nicht identisch mit irgendeiner Kaffeeregion oder mit einem Kaffeeanbau.
Kaffeewacht: Wer kann das bestimmen? Und ist das glaubwürdig?
Langenbahn: Ich bin sehr oft in Äthiopien gewesen und kenne das Verkostungszentrum persönlich. Es gibt eine einzige Verkostungszentrale. Die Leute dort sind absolut geschult. Jeder Verkoster muss einmal im Jahr für ein paar Wochen in ein bestimmtes Anbaugebiet fahren, damit er dort von der Pike auf alles mit bekommt. Ja, die Verkoster können den typischen Geschmack sofort identifizieren. So können sie auch garantieren, dass der Kaffee so schmeckt wie der Kunde es erwartet.
Kaffeewacht: Gibt es eine Rangfolge in der Qualität?
Langenbahn: Es gibt ein Preisgefälle. 1. Yirga Cheffe 2. Sidamo, 3. Limu. Früher waren Yirgacheffe und Sidamo ein Charakter. In den 70er Jahren des vorherigen Jahrhunderts hat man sie getrennt.
Und jetzt kommt es: jeder denkt, es gibt nur gewaschene Yirgacheffe. Die Zahlen sind falsch. Es gibt natürlich auch sonnengetrocknete Yirga Cheffe. Ungefähr 1/3 mehr als gewaschene! Bis vor drei Jahren durften die sonnengetrockneten nicht verkauft werden, um den hohen Ruf des gewaschenen Yirga Cheffe nicht zu gefährden. Was hat man getan? Die sonnengetrockneten Yirga Cheffe werden als Sidamo (Grad 4 ) verkauft.
Kaffeewacht: Ist das legal?
Langenbahn: Dass sonnengetrockneter Yirga Cheffe in Äthiopien als Sidamo deklariert wird, ist dort legal. Das ist Landespraxis. Dort wird vieles quer durchs Land gemischt. Seit dem 2. Dezember 2008 hat das Land sich auch noch für ein neues strategisches Vermarktungskonzept entschieden: »Masse geht vor Klasse«. Aus ökonomischen Gründen fokussiert man sich auf Standardkaffees. Trotz großer Widerstände im In- und Ausland muss alles zentral abgeliefert werden. Alle Kaffees werden wie bei Getreide oder Bohnen vermischt. Ob minderwertige Kaffeesorten, Hochlandkaffee, Plantagenkaffee oder Kaffees aus Kooperativen. Das führt zur Einheitsware. Und zum Aus für die echten Kaffeespezialitäten (Single Origins). Die feinen Unterschiede durch Anbauhöhe, durch Varietäten gehen verloren. Das vernichtet die Potenziale, die das Land hat. Man hat bei aller Effizienz leider übersehen, dass Kaffee ein sensibles Produkt ist, das weltweit unterschiedlichste Anfragen und Bedürfnisse befriedigen muss.
Kaffeewacht: Besteht noch Hoffnung?
Langenbahn: Der Widerstand ist nach wie vor dauerhaft und sehr groß. Es fängt an zu bröckeln …
Kaffeewacht: Herr Dr. Langenbahn, ich danke Ihnen für das Gespräch.

© 2009 Interview by Axel R. Bollman


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