„Atari: Game Over“. Als E.T. in die Wüste geschickt wurde

Von Freisign

1982 eroberte ein drolliger Außerirdischer mit einer Begeisterung für Telefone, die jener menschlicher Teenagermädchen gleichkam, die Kinos dieser Welt. Sein Siegeszug schien unaufhaltsam. Jeder wollte an dem Kinohit „E.T. - Der Außerirdische" von Steven Spielberg teilhaben, die Begeisterung kannte keine Grenzen. Bis E.T. sein eigenes Videospiel bekam. Damit nahm ein Drama seinen Lauf, um das sich bis heute urbane Legenden ranken. Die Dokumentation „Atari: Game Over" von 2014 geht dem Mythos nach.

Die US-amerikanische Firma Atari gilt als Pionier der Computerspielindustrie. Mit dem Atari 2600 brachte das Unternehmen 1977 die erste richtige Heim-Spielkonsole auf den Markt, die sich an den Fernseher anschließen ließ und auf der viele verschiedene Games gespielt werden konnten, die damals in Form von Kassetten erhältlich waren. Der Urgroßvater der Playstation und der XBox war geboren. Schock, die beiden Erzkonkurrenten von heute sind Cousins! Atari erlebte goldene Jahre, in denen sich der Atari 2600 und die Kassetten verkauften wie Wasser in der Wüste (*zwinker*), bis es 1983 plötzlich zum finanziellen Niedergang und Ende von Atari kam. Daraufhin begannen sich Legenden zu bilden. Ataris teurer Spiele-Flop „E.T. the Extra-Terrestrial" wurde als Sargnagel ausgemacht, als Sündenbock, der das Unternehmen ins Unglück gestürzt hatte. Es ist ja immer praktisch, wenn man einem Auswärtigen die Schuld geben kann. Atari soll 1983 aus Verzweiflung Millionen von unverkauften Exemplaren des Videospiels in der Wüste vergraben haben. Aus den Augen, aus dem Sinn ... oder eben nicht. Die Legende von den vergrabenen Kassetten des „schlechtesten Videospiels aller Zeiten" wurde über Jahrzehnte von Gamer zu Gamer weitergegeben.

2014 wollten einige Experten die Legende endlich verifizieren. Das kanadische Unternehmen Fuel Industries erhielt, unterstützt vom Weltkonzern Microsoft, die Genehmigung, in Alamogordo Ausgrabungen vorzunehmen. Alamogordo ist eine Kleinstadt in der Chihuahua-Wüste im US-Bundesstaat New Mexico. Hierher sollen im September 1983 zehn bis zwanzig LKWs von Atari gefahren sein, um Millionen von Exemplaren des Videospiels „E.T. the Extra-Terrestrial" im Wüstensand einer Mülldeponie verschwinden zu lassen. Die Ausgrabungen wurden filmisch begleitet, woraus die Dokumentation „Atari: Game Over" entstand. Regisseur und Erzähler der Doku ist Zak Penn, der die Drehbücher zu einigen der größten, aber nicht besten Blockbuster der letzten Jahre geschrieben hat, darunter „X-Men - Der letzte Widerstand" und „Der unglaubliche Hulk". Zu Wort kommen unter anderem Howard Scott Warshaw, der Entwickler des verfluchten E.T.-Spiels, Nolan Bushnell, einer der Gründer von Atari sowie der Schriftsteller und Drehbuchautor Ernest Cline.

„Atari: Game Over" zeigt uns, wie der Ort, an dem die Videospiele vergraben sein sollen, lokalisiert wurde, wirft einen Blick auf die unbedarften und ausschweifenden Arbeitsbedingungen bei Atari Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre und berichtet, wie es zur Entstehung des Spiels „E.T. the Extra-Terrestrial" kam. Atari hatte sich die Rechte an einer Videospielvermarktung des Filmhits von Steven Spielberg für geschätzte 22 Millionen Dollar gesichert. Um den großen Reibach zu machen, sollte das Spiel zum Weihnachtsgeschäft 1982 fertig sein. Damit blieben dem Entwickler Howard Scott Warshaw gerade einmal 5 Wochen für eine Arbeit, die normalerweise bis zu einem halben Jahr in Anspruch nahm. Das Spiel war rechtzeitig fertig, aber es kam nicht gut an. Es war zu schwer zu spielen und entwickelte bald ein sehr schlechtes Image. Nur 20% der produzierten Kassetten konnten verkauft werden. Die übrigen 80% sollen in die Wüste geschickt worden sein.

Der Beginn der Ausgrabungen 2014 war öffentlich und zog eine ganze Reihe Zuschauer an, die nostalgische Kommentare in die Kamera abgeben durften. Dann war es endlich soweit: das erste „E.T."-Spiel kam ans Licht. Damit schien der Beweis für Ataris wütende Panikreaktion erbracht. Doch wie es mit Legenden nun einmal so ist, enthalten sie zumeist nur einen Kern Wahrheit. Es wurden bei den Ausgrabungen nicht Millionen von „E.T."-Spielen gefunden und auch nicht nur Kassetten dieses Spiels, sondern insgesamt etwa 728.000 Exemplare verschiedenster Atari-Spiele. Offenbar wurde hier ein Lagerbestand entsorgt, aber nicht Ataris gesamter Vorrat an Exemplaren von „E.T. the Extra-Terrestrial".

Viele der Mitwirkenden betonen im Laufe der Dokumentation, dass „E.T. the Extra-Terrestrial" eigentlich kein schlechtes Spiel war, vor allem nicht angesichts der so kurzen Zeit, die für die Entwicklung zur Verfügung stand. Ataris Niedergang wird mit der Hybris des Unternehmens erklärt, das zu viele Konsolen und Spiele produzierte, als der Markt schon übersättigt war, und zudem der stärker werdenden Konkurrenz nichts entgegenzusetzen hatte.

Das erfahren wir nicht in Atari: Game Over

Die Dokumentation bemüht sich nicht wirklich, die Frage zu beantworten, ob die Legende jetzt als wahr oder falsch gelten kann. Schon gar nicht wird auf die Frage eingegangen, was nun mit all den anderen Millionen Kassetten von „E.T. the Extra-Terrestrial" geschehen ist, die ganz offensichtlich nicht im Wüstensand von Alamogordo verrotten. Man scheint sich damit zufrieden zu geben, überhaupt etwas gefunden zu haben.

„Atari: Game Over" oder Die Männer, die auf einen Müllberg stiegen und von einem Maulwurfshügel herunterkamen.

Das Spiel „E.T. the Extra-Terrestrial" wird von den Mitwirkenden immer wieder verteidigt, was durchaus legitim ist, nur leider findet keine echte Auseinandersetzung mit den Kritikpunkten, die das schlechte Image heraufbeschworen haben, statt. Man hat den Entwickler doch dabei, warum befragt man ihn nicht expliziter dazu? Bei der Erklärung für Ataris Untergang beschränkt man sich auch auf Ansätze mit viel zu wenig knallharten Fakten.

Eine kurze Kritik zu Atari: Game Over

Diese Dokumentation setzt in erster Linie auf den Nostalgiefaktor. Das Fazit, auf das die 66 Minuten hinauslaufen, könnte in etwa zusammengefasst werden mit:

Es war damals eine super Zeit und es ist total schade und ungerecht, dass sie so zu Ende gegangen ist. Jetzt lasst uns noch ein paar Steven-Spielberg-Filme zusammen angucken. Zak Penn als Regisseur und Erzähler bemüht sich an vielen Stellen leider zu krampfhaft, witzig zu sein. Auch das Mitwirken von Ernest Cline hätte man sich vielleicht besser gespart. Seine Auftritte driften immer wieder ins Alberne ab und dienen eigentlich nur seiner Selbstdarstellung. Eine Doku darf durchaus lockere Seiten haben, besonders, wenn ein vergleichsweise harmloses Thema im Mittelpunkt steht, aber das muss überzeugender, unaufdringlicher rüberkommen als hier.

Ich kannte, auch wenn ich Videospiele nur in Maßen zum Zeitvertreib nutze, die Geschichte von Ataris „E.T."-Drama schon zuvor. Diese Doku hat mir nicht die neuen und überraschenden Einblicke geboten, die wünschenswert gewesen wären. Dafür bleibt „Atari: Game Over" einfach zu oberflächlich. Es dürften sich wohl in erster Linie solche Zuschauer angesprochen fühlen, die 1983 schon mit Atari gezockt haben und auch ganz gerne in die Wüste gefahren wären, um das nostalgische Baggern und Buddeln mitzuerleben. Ich wurde 1983 geboren und würde ja lieber eine antike Stadt oder eine bisher unentdeckte Dinosaurierart ausgraben. Vorzugsweise in meinem Garten.

Atari: Game Over. Die Fakten

  • Produktionsjahr: 2014
  • Laufzeit: 66 min
  • Drehbuch & Regie: Zac Penn

Die Doku wird bei Netflix angeboten - in Originalsprache mit deutschen Untertiteln, in denen das Wort „Phase" konsequent falsch geschrieben ist.