Asylpolitik belastet Kommunen. Bundesregierung hilft nur halbherzig

Bis Anfang Dezember wollen sich Bund und Länder darauf einigen, wie sie künftig mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen umgehen, die in Deutschland Asyl beantragen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) gab vor einiger Zeit bekannt, dass inhaltliche Vorschläge in verschiedenen Arbeitsgruppen vorbereitet werden. Dabei werde es in erster Linie um die Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen gehen. Vor allem die Kommunen klagen darüber, dass sie durch den zunehmenden Flüchtlingsstrom überfordert seien.


Die Journalistin Merlind Theile bemerkt in Die Zeit (16.10.2014), dass in der deutschen Flüchtlingspolitik immer noch die alten Abwehrreflexe wirken. Die Republik habe sich seit den 1990er Jahren vor allem abgeschottet gegenüber Bedürftigen aus Krisenländern. Durch den Krieg in Jugoslawien sei damals die Zahl der Asylbewerber auf 440.000 Menschen pro Jahr gestiegen und der Bundestag beschloss daraufhin eine Verschärfung des Asylrechts. Seitdem wurden alle abgewiesen, die aus einem sicheren Herkunftsland kamen oder über einen sicheren Drittstaat einreisten.


Daraufhin sank die Zahl der Asylanträge rapide ab auf 21.000 im Jahr 2006. Flüchtlingsunterkünfte wurden im ganzen Land abgerissen, weil man glaubte, das „Problem“ habe sich für alle Zeiten erledigt. Aber die Krisen und Kriege nahmen zu und mit ihnen der Flüchtlingsstrom vor allem aus dem Nahen Osten und Afrika. Im Juli zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 19500 Asylanträge, was einer Zunahme von 75 Prozent gegenüber dem Juli des letzten Jahres entspricht. Das Bundesinnenministerium rechnet damit, dass bis Jahresende 200.000 Flüchtlinge vor allem aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, Nigeria oder aus den Balkanstaaten in Deutschland Asylanträge stellen werden.


Während Kommunen und Landkreise mit der neuen Situation überfordert zu sein scheinen, reagiert die hohe Politik in Deutschland wie bisher. Im September wurde die Drittstaatenregelung ausgeweitet. Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien bekamen das Etikett des sicheren Herkunftslandes aufgedrückt und das Bundesinnenministerium erhofft sich dadurch einen Rückgang der Asylbewerber aus diesen Ländern. Der sächsische Innenminister forderte Italien auf, das Programm „Mare Nostrum“ aufzugeben, mit dem Flüchtlinge vor der afrikanischen Küste vor dem Ertrinken gerettet werden sollen. Das Bundeskabinett bringt eine Gesetzesinitiative auf den Weg, die uns vor der sogenannten Armutseinwanderung aus Südosteuropa schützen soll und angeblichen Sozialmissbrauch unter Strafe stellt.


Aber die Abschottung funktioniert heute nicht mehr. Andere europäische Länder wie Italien schicken Mittelmeerflüchtlinge immer häufiger nach Deutschland weiter, weil sie nicht mehr bereit sind, anstelle von Deutschland die Rolle des sicheren Aufnahmelandes wahrzunehmen.


Ãœberforderung ist hausgemacht


Die neue Situation verdeutlicht aber auch, dass die Überforderung der deutschen Landkreise und Kommunen hausgemacht ist. Überall im Land wurden in den letzten Jahren Flüchtlingsheime abgerissen. Nach Angaben des bayrischen Flüchtlingsrates gab es 2006 dort noch 255 Gemeinschaftsunterkünfte, heute sind es nur noch 140. In Köln gab es 2003 noch 56 Wohnheime für Flüchtlinge, im letzten Jahr gab es dagegen nur noch 31. Im Hochtaunuskreis bei Frankfurt sind von acht Heimen nur zwei geblieben. Hinzu kommt der Personalmangel: Im BAMF wurden jahrelang Stellen gestrichen, bis es im Jahr 2008 nur noch 540 Mitarbeiter hatte. Heute arbeiten wieder rund 200 Menschen mehr dort, doch immer noch sind 130.000 Asylanträge nicht bearbeitet.


Gerd Landsberg, Vorsitzender des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, forderte den Bund auf, die Länder beim Bau von zusätzlichen Erstaufnahmeeinrichtungen zu unterstützen. So solle verhindert werden, dass die Flüchtlinge zu schnell an die Kommunen weitergereicht werden. Flüchtlinge sollen eigentlich nur drei Monate in Einrichtungen der Erstaufnahme verweilen, doch weil die wenigen Sachbearbeiter mit der Sichtung der Anträge nicht hinterher kommen, bleiben die Flüchtlinge teilweise bis zu neun Monaten in beengten und überfüllten Einrichtungen – mitunter in Turnhallen, Zelten oder stillgelegte Möbelhäusern. Danach werden sie an die Kommunen weitergereicht.


Wie überfordert Kommunen und Landkreise sind, zeigt das Beispiel des Landkreises Bautzen in Sachsen. Knapp acht Prozent der Flüchtlinge, die in Sachsen ankommen, müssen im Landkreis Bautzen untergebracht werden. 2008 waren das 284 Menschen. In diesem Jahr sind es rund 1400. Das bringt die Behörden an ihre Grenzen. So muss das Bauamt plötzlich Hunderte Gebäude prüfen und klären, ob sie als Flüchtlingsheim taugen. Das Gesundheitsamt ist plötzlich für die medizinische Betreuung von erheblich mehr Menschen zuständig und in der Ausländerbehörde betreuen lediglich elf Mitarbeiter über 1000 Flüchtlinge.


Im Süden Brandenburgs wurden ähnliche Probleme deutlich. So kam es Anfang August in Forst zu einem Übergriff von tschetschenischen Flüchtlingen auf ihre Heimnachbarn aus Eritrea. Die Situation war so angespannt, dass die Flüchtlinge aus Eritrea nicht mehr im selben Heim untergebracht bleiben konnten. Weil es aber nicht genügend Flüchtlingsunterkünfte gibt, konnten sie nicht einfach in ein anderes Heim ausweichen. Retter in der Not waren die Organisatoren des Lausitzer Klimacamps, welche die Eritreer für die Zeit des Camps aufnahmen.


Kommunen erhalten nur Pauschalen


Für die Kommunen bedeutet die steigende Zahl an Flüchtlingen auch ein finanzielles Problem. Von den Ländern bekommen sie meist nur Pauschalen erstattet, die für die Unterbringung der Flüchtlinge kaum ausreichen. So teilte beispielsweise der Sozialausschuss von Cottbus mit, dass die Stadt knapp mehr als 9000 Euro pro Flüchtling im Jahr erstattet bekommt. Hinzu kommen noch einmal knapp 7000 Euro im Monat für den Wachschutz. Die Pauschalen würden aber nur vier Jahre lang gezahlt und weil die Verfahren oft länger dauern, entstehe den Kommunen ein Defizit. Problematisch seien die hohen Krankenkosten, so dass die Pauschale des Landes nicht ausreiche. Hinzu kämen aber noch Personal- und Verwaltungskosten, die mit der Aufnahme der Flüchtlinge verbunden sind. Das Defizit belief sich im letzten Jahr auf 200.000€, stieg in diesem Jahr um 50 Prozent an und für 2015 wird mit einem Minus von 650.000€ gerechnet.


Privatisierung soll helfen


Um Kosten zu sparen, privatisieren Kommunen oftmals den Betrieb der Heime. Einer der privaten Betreiber ist das Unternehmen European Homecare. Heute betreibt es allein in Deutschland 27 Einrichtungen für Flüchtlinge und Asylbewerber, z.B. im Essener Opti-Park. Ein Mitarbeiter des hessischen Flüchtlingsrates bezeichnete das Unternehmen als „Aldi unter den Privatanbietern“. Kalkulieren andere Unternehmen mit 17 bis 20 Euro pro Flüchtling und Tag, habe European Homecare schon Menschen für 12,90 Euro am Tag untergebracht. Das sei aber nur rentabel, schreibt Die Zeit, wenn man an allem spare, auch am Personal. Die Folge sei, dass das eingesetzte Personal schlecht ausgebildet ist – teilweise nur eine Woche lang. In der Flüchtlingsunterkunft Burbach (NRW) wurden Flüchtlinge zwei Wochen lang durch das Wachpersonal von European Homecare misshandelt und gefoltert, teilte die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL mit, ohne dass jemand eingeschritten sei. „Die staatlichen Stellen vergeben Aufträge zum Betreiben von Unterkünften an den billigsten Anbieter“, schreibt PRO ASYL in einer Presseerklärung. Ob dieser dann qualifiziertes und interkulturell geschultes Personal einstellt oder gewaltbereite Schläger, werde nicht kontrolliert.


Nun hat das Bundeskabinett angekündigt, die Kommunen entlasten zu wollen. Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) gab bekannt, betroffene Kommunen würden künftig finanziell unterstützt. So solle das Programm Soziale Stadt um 10 Millionen Euro aufgestockt werden und den Kommunen sollen 10 Millionen Euro für die ärztliche Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin wurde angekündigt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz verändert werde. Dadurch sollen die Kommunen im kommenden Jahr um 31 Millionen Euro entlastet werden und in den darauf folgenden Jahren um jeweils 43 Millionen Euro.


Diese Vorschläge greifen allerdings zu kurz, meint PRO ASYL. Konsequent wäre die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes. Dann wären die Asylbewerber in das Regelversorgungssystem (SGB II, XII) integriert und die Kommunen müssten dann nur noch einen Teil der Kosten für die Unterkünfte tragen. So würden die Kommunen wirklich entlastet.


zuerst veröffentlicht: Unsere Zeit, Nr. 46/2014


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