Asunción

Sonderbar wie das Land selbst, ist auch seine Hauptstadt Asunción. Eine an der Peripherie wuchernde Millionenstadt. Auf der Plaza de los Héroes – mitten im historischen Zentrum – wartete ich vergeblich auf dieses Gefühl der Rastlosigkeit und Neugier, welches Großstädte mir eigentlich einflössen. Fliegende Händler saßen frohen Mutes im Schatten der Balkone und Markisen und versuchten Sonnenbrillen, Taschen, Sandwichs oder Kleinkunst an den Mann zu bringen. Wind strich durch die Palmen. In ihren Wartehäuschen tranken Taxifahrer tereré und schauten Fern. Es herrschte kaum Verkehr, nur einige quietschende Busse quälten sich durch die sengende Mittagshitze. Auf dem Mercado Cuatro, östlich des Zentrums, dagegen bebte förmlich das Leben. Jede noch so kleine dunkle Ecke war mit Lebensmitteln, Elektronik-Artikeln, Tieren und Krimskrams vollgestellt. Ein Stimmenwirrwarr ohne Gleichen, durchdrungen vom Hupen, Klingeln, Tierlauten, Sirenen, zischenden Kannen, klimperndem Besteck, hüpfenden Topfdeckeln, Schritten in Turnschuhen, Sandalen und Stiefeln.

Meinem längst gestillten Verlangen zum Trotz, hielt mich die Stadt.  Sie erinnerte mich an Berlin: undurchschaubar und überraschend, wild und monoton, bunt und verdrießlich, anmutend und hässlich. Hinter den herrlichsten Stadtvillen ragten – bis zu hundert Meter hoch – Bauruinen, neben Bauten im Jugendstil und Art Déco waren provisorische Parkplätze aufgeschüttet. Am Ufer des Río Paraguay bauten die Armen ihre Baracken, und einen Block weiter starb ein prächtiger Bahnhof mit rostenden Viaduktenvor. Direkt neben der unebenen Hauptstraße standen ausrangierte Waggons. Ich folgte den Gleisen, die immer wieder aus dem Asphalt hervorschauten. Und obwohl ich mich in einer Großstadt befand, grüßte man sich freundlich und die Menschen waren in ihren Gebärden alles andere als hektisch.

Unter den Gästen im Hostel befanden sich Leute aus Irland, Frankreich, Schweden und … ein junger Student aus Bolivien, der zusammen mit dem Iren eine Dokumentation über so genannte Ecovillages in Südamerika dreht. Ich war erstaunt, denn welcher Bolivianer kann sich das schon gönnen? Da er bereits auch in Berlin zu Besuchwar, unterhielten wir uns über ›meine‹ Stadt. Er zeigte sich verstimmt, als ich ihm über die Veränderungen in der Stadt berichtete, darüber wie Geld die Stadt besetzt und ihr das nimmt, was sie einst so charakteristisch gemacht hat. Zugegeben, Berlin ist nach wie vor ungemein populär, ›halb Paris redet nur von Berlin‹. Ich frage mich nur, wann der Wendepunkt erreicht ist, wenn man feststellt, dass diese Stadt sich verraten hat … Und spannend war es natürlich, wie ein üblicher Tourist die eigene Stadt sieht – das galt auch für mich, denn er wohnt in La Paz, dass wiederum auch ich bereiste.

Wir betranken uns, mit Rum-Cola, Bier, schäbigstem Rotwein. Später rauchten wir ›Bäume‹ – so die amerikanische Bezeichnung für ›’ne Tüte rauchen‹. Ich mimte den dirty old man. Ich war damit recht erfolgreich: Die jungen Hühner zeigten sich erschrocken, angewidert. Später gingen wir in eine Bar, irgendwo im Zentrum– denn es sollte sich noch herausstellen, dass ich bereits hier schon so dicht war, dass mir sämtliche Ereignisse entfielen. In der Bar tranken wir Wodka mit Säften, quacksalberten immer unverständlicher, schrieben Bilder, malten Worte, stiegen nach dem letzten Schluck in ein gelbes Taxi und brausten ans Ende der Stadt. Dort war ein ›angesagter‹ Club. Ich musste ausgehalten werden, denn so sehr ich, in der Regel, gewisse Eventualitäten bezüglich meines Durstes miteinkalkuliere – ich gehe lieber mit 100 statt 20 Kröten in die Glocksee – bin ich diesmal mit nur 20.000 Guaranis losgezogen. Das sind umgerechnet vier Dollar, vier Dollar fünfundfünfzig. Arschlecken, drinnen saß ich dann auf dem Trockenen. Wie ein Fisch im Sandkasten und die Kinder (Männer) zanken sich um die Backförmchen (Frauen). Die Menge zappelte, johlte, umarmte, kokettierte, präsentierte und küsste sich. Zwischenzeitlich trat eine brasilianische Percussion-Gruppe auf. Ich stand – die Ellbogen auf den Tresen gestützt – und spähte zur Tanzfläche. Am liebsten hätte ich sie umgehauen und – wie ein Neandertaler sein Stück Beute – auf meiner Schulter in die Grotte der Unzucht getragen. Mutter Gottes! Ich habe eine Schwäche für französische Frauen! Vielleicht erinnerten mich auch nur ihre Augen an etwas, was längst nur noch in einer schmerzlichen Erinnerung fortlebte. Wie dem auch sei, meine Bewegungen beschränkten sich auf das Blinzeln mit den Augen und das abwechselnde Gewicht verlagern von dem einen auf den anderen Fuß. Nein, hier war nichts zu holen. Irgendwer zog mich – wie ein Bauer seine renitente Kuh zum Melken – doch noch einmal auf die Tanzfläche: Auf den Brettern machte ich einige verlegene Schritte, die der allgemeinen Erheiterung dienlich waren. Dann verkrümelte ich mich. Meine Ellbogen begannen zu schmerzen. Ich entschloss zu gehen.

Hätte ich bloß auf die Uhr geschaut, wie lange wir mit dem Taxi zur Disco fuhren …

Zunächst machte ich Erfahrung mit einer neuen – und doch bekannten – Stresssituation. Ich muss zunächst sagen, dass Asunción, trotz seiner bedächtigen entspannten Atmosphäre als gefährliche Stadt bezeichnet wird. Aber, Leute, ich mach das nur für Euch! Damit ich, Phantasieloser, Perverser, etwas zu schreiben habe! Spendengelder sind willkommen!

Ich fragte zunächst am Taxistand durch, es schien nicht weit und marschierte los, gelangte aber schon bald in Ecken, deren einziges Licht von den Herzen schlafender Kinder ausging. Ich torkelte, trat Dosen und Steinchen umher als ich mehrere Schatten auf mich zukamen sah. Sie wurden größer, meine Schritte wurden langsamer, kleiner. Der Dickste von ihnen – sechs junge Männer insgesamt – stellte sich mir ostentativ lächelnd in den Weg. Sein ausgestreckter Arm stütze ihn gegen eine Mauer ab und machte es mir unmöglich weiterzugehen. Dann begannen sie zu sprechen und zu kichern. Ich fand das gar nicht witzig. Umso weniger, da ich sie kaum verstand. Ich ging in die Offensive und fragte den Dicken, wo die Plaza de los Héroes ist. Lachen. Die anderen Kerle zogen einen Ring um mich. ›Fünf Blöcke? Nur Fünf?‹, fragte ich erstaunt. Sie scherzten. Das Licht der Innenstadt war zu weit weg. Ich wägte ab, was das Beste wäre, dem Dicken ins Maul zu hauen und die Irritation zu nutzen, um loszulaufen, oder die Sache mit Worten zu lösen. Er sagte, ich solle lieber ein Taxi nehmen, woraufhin ich entgegnete, dass er mich dann aber sponsern müsse. Er schmunzelte. Ich sei völlig ausgebrannt und könne mir noch nicht mal ‘nen Bus leisten. Wie viel ich hätte? Ich kramte. Weniger als 1000 Guaranis. BAP stimmten an. Was ich höre, wollte er wissen. Ach ja … BAP mit ›verdamp’ lang her‹. Ich versuchte ihm zu erklären worum’s in dem Song geht. Natürlich, niemand verstand. Ich bot ihm die Kopfhörer an: ›Hier, hör mal!‹. Er hörte nichts. Ach ja … hm … die sind kaputt, funktionieren nicht mehr ganz. Dann hatten wir uns nichts mehr zu sagen. Zu mehr waren meine Spanischkenntnise nicht fähig. Der Langgewachsene fummelte plötzlich in seiner Jeanstasche, die anderen witzelten wieder. Ich war unsicher. Dann prasselten glänzende Münzen in meine Hand. Damit solle ich mir ‘n Taxi nehmen. Puh.

Ich habe die Situation also falsch eingeschätzt. Vielleicht war ich ihnen auch nichts wert. Gutgelaunt folgte ich meinem Weg. Und fragte mich durch, Block um Block. Gegen halb sieben in der Früh kam ich endlich an. Die Französin vögelte in der Küche. Als ich wieder aufwachte, mit einer herrlich erfrischenden Leichtigkeit im Kopf, mit zitternden Beinen, dreckigen Schuhen und einer halben Birne im Bett, sagte man mir, dass ich die Disco gegen drei Uhr verlassen hätte.


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