Ärzteausbildung revisited oder leckt's mich am 15a

Von Medicus58

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GTL | 14.11.2013 | Kommentare (0)

Ärzteausbildung revisited oder leckt’s mich am 15a

Wenn Sie sich nach der deftigen Überschrift eine zum Schenkelklopfen motivierenede Polemik erwarten, liegen Sie falsch. Die Sache der politisch vorgeschriebenen Ärzteausbildung ist zwar viel zu ernst, um sie noch ernst zu nehmen zu können, bei ihren Konsequenzen sollten sich potentielle Patienten, also wir alle, eher gegenseitig auf die Schultern als auf die Schenkel klopfen.

Wie so ziemlich alles in Österreich, was sich Bundes- und Landespolitik gegenseitig auf’s Auge drücken, fand auch der Wunsch des Ministeriums nach einer Reform der Ärzteausbildung, die postpromotionell schließlich überwiegend in den Spitälern der Länder erfolgt, Eingang in die Vertragsverhandlungen im Zusammenhang mit Artikel 15a unserer Bundesverfassung:

Artikel 15a. (1) Bund und Länder können untereinander Vereinbarungen über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches schließen. Der Abschluss solcher Vereinbarungen namens des Bundes obliegt je nach dem Gegenstand der Bundesregierung oder den Bundesministern. 

Kernstück der zu Papier gebrachten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein angehender Arzt mit ius practicandi haben sollte, sind die Rasterzeugnisse, die (ich berichtetet darüber unter Die Uni brennt und im Spital raucht’s auch http://wp.me/p1kfuX-fK ) auf Wunsch der damaligen Verhandlungspartner, dem OÖ Ärztekammerpräsident Niedermoser (http://sprechstunde.meinblog.at/?blogId=33516  und Frau Dr. Türk vom Bundesministerium für Gesundheit „modularisiert“ werden sollen. 
Im Klartext heißt dass, das nicht mehr jeder Arzt in seiner Ausbildung mehr oder weniger alle Teilbereiche der Medizin auch praktisch erlernen soll, sondern eben nur einige „Module“.

Kritikern, die hinterfragen, ob zukünftig jeder Arzt seinen Chirurgen vor Narkoseeinleitung um den Nachweis eines einschlägigen Moduls fragen sollte, hält man entgegen, dass die heutigen Medizincurricula der Medunis ohnehin schon breitest ausgebildete Dr. med. univs ausspucken.
Auch wenn weiterhin die Modalitäten des abschließenden Jahres (KPJ = klinisch praktisches Jahr; siehe auch: KPJ und so weiter: Das Chaos der Ärzteausbildung http://wp.me/p1kfuX-GQ) von jeder Uni etwas anders definiert wurden und mit den Krankenhausträgern die Gespräche noch nicht so richtig angefangen haben, im Sommer 2014 muss es los gehen.
Bis 2014 muss laut Bundesminister Stöger, egal ob es ihn und sein Ministerium dann noch geben wird, die Verordnung über die neuen Rasterzeugnisse fertig sein.
Ob parallele Vorstöße ärztliche Tätigkeiten auf die Pflege zu verschieben (siehe:
Was sich der Stöger hier wieder erlaubt hat ... http://wp.me/p1kfuX-GM) damit im Zusammenhang steht, dass sich die Gesundheitspolitik doch nicht so ganz sicher ist, ob sie bald ausreichend und ausreichend ausgebildete Ärzte haben wird, wurde schon diskutiert.

Natürlich ist es immer ein schier unlösbares Problem festzulegen, was den wer in einem gefahrengeneigten Beruf können muss, ehe er auf die Menschheit losgelassen wird.
Jeder wird sich gerne von einem Arzt behandeln lassen, der das spezielle Problem schon mehrfach erfolgreich gelöst hat („Ich gehe zum Spezialisten“), andererseits mag sich dieser Vorteil bei Kollegen, die in ihren frühen 80ern noch ordinieren, irgendwan doch ins Gegenteil verwandelt haben …

Und jetzt zum heutigen Thema.

Patentlösung hat wohl keiner für den Spagat zwischen wünschenswerter und möglicher Breite und Tiefe ärztlicher Ausbildung, aber was mir so sauer aufstößt ist die immunisierende Schutzbehauptung der Protagonisten zwischen Ärztekammer und Ministerium, die scheinbar den steinigen, doch goldenen Weg aus dem Problem weist.
Wenn vor Ihrem geistigen Auge nun die kleine Dorothy im Zauberer von Oz die yellow-brick-road entlangtanzt, flankiert vom feigen Löwen, dem herzlosen Dosenmann und der hirnlosen Vogelscheuche, dann haben sie das Bild begriffen.

Als jeden Widerspruch eliminierend, hört man, egal ob man nach den Inhalten des KPJ, zukünftigen der common trunk Ausbildung aller Fächer oder der Basisausbildung in den einzelnen Fächern fragt immer:

Ausgebildet müssen die 15 wichtigsten Diagnosen nach WHO werden!

Das sitzt. Die Autorität der Weltgesundheitsorganisation zu hinterfragen, wo kommen wir da hin. Da hätte man ja auch Moses fragen können, ob Gott, er oder der Heilige Geist die 10 Gebote in den Felsen geritzt haben.

Also, folgt man nun diesem weisen Rat und dann hätte die letzte Ärztegeneration nach The Lancet, Vol 349, Issue 9064: 1498 – 1504 vom 24. Mai 1997 und nach den Erkenntnissen von Murray und Lopez die Behandlung folgender Krankheiten lernen sollen:

1. Koronare Herzerkrankung
2. Unipolare schwere Depression
3. Versorgung von Verkehrsunfällen
4. Hirndurchblutungsstörungen
5. chronische Atemwegserkrankungen
6. Infektion der tiefen Atemwege
7. Tuberkulose
8. Durchfallerkrankungen und
9. HIV

Der Analyse lagen Daten aus 47 Ländern zwischen 1950 und 1990 und Prognosen über die Lebenserwartung und die Anzahl der Jahre, die mit den Krankheiten verbracht werden (years of life lived with disability; YLDs) zugrunde.
Interessant, dass dort die Malaria NICHT erwähnt wird, aber immerhin die Tuberkulose, von der aber die WHO aktuell gerade jubelt, wie sehr sie weltweit im Rückzug ist (http://www.who.int/gho/tb/en/index.html)
Diabetes schien übrigens nicht so wichtig, obwohl er schließlich einen wesentlicher Trigger für die Krankheiten 1.) und 4.) und mit Einschränkungen auch von 5.), 6.) und 8.) darstellt. Ich wollte das nur als Beispiel bringen, wie problematisch so Rankings sind, auch wenn sie einem angesehen wissenschaftlichen Journal entnommen werden.

Aber schauen wir mal zur WHO und lassen die Infektionserkrankungen (Noncommunicable diseases (NCD) weg, da sich hier wohl größere Unterschiede zwischen armen und reichen Gesellschaften, Industrie- und Entwicklungsländern oder verschiedenen Klimazonen finden werden.
Ein wenig überraschend besteht für die Mortalität an NCDs, die 2008 für 63% aller weltweiten Todesfälle (http://www.who.int/gho/ncd/en/index.html) ursächlich waren, zwar Unterschiede zwischen den genannten Gruppen, die wichtigsten Erkrankungen sind aber hier wie dort:
1.) Koronare Herzerkrankung
2.) Schlaganfall
3.) Krebs
4.) chronische Atemwegserkrankung und
5.) (endlich) Diabetes

Aber wir sind ja in Österreich (
http://www.who.int/gho/mortality_burden_disease/global_burden_disease_death_estimates_sex_2008.xls) und da kommt die WHO für 2008 auf folgendes Ranking:

1.) Koronare Herzerkrankung
2.) Schlaganfall
3.) Verdauungsbeschwerden (Ulkus, Leberzirrhose, Blinddarm)
4.) Bluthochdruck und Herz
5.) Unfallverletzungen
6.) Dick- und Enddarmkrebs
7.) Chronisch obstruktive Atemwegserkrankung
8.) Brustkrebs
9.) Bauchspeicheldrüsenkrebs
10.) Entzündliche Herzerkrankungen
11.) Untere Atemwegserkrankungen
12.) Prostatakarzinom
13.) Lymphome
14.) Alzheimer
15.) Harnwegsinfekte

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das zwar vermutlich die „wichtigsten“ Diagnosen sind, die uns Entlassungsbriefe und Totenscheine attestieren aber sicher nicht das Ranking der häufigsten Beschwerden, die ein Patient beim Erstbesuch seinem Arzt präsentiert. Es zeigt uns aber auch gleich die größte Fußangel eines solchen Ansatzes. 
Aus der Tatsache, dass sich ein Arzt mit diesen Enddiagnosen „auskennt“, geht noch nicht zwingend hervor, dass er von den ihm präsentierten Symptomen auch immer zu diesen Diagnosen findet.

Ich sehe förmlich schon das besserwissende Lächeln der Verantwortlichen. Dieses Lächeln hatten sie auch, als ich darauf hingewiesen habe, dass wir unsere Ärzte in Malaria- und Leishmaniasendiagnostik auszubilden hätten, wenn wir uns an die 15 wichtigsten Diagnosen der WHO halten würden. „Natürlich wolle man sich an die für Österreich relevanten halten“. Dieses Lächeln kommt vermutlich auch jetzt, da man natürlich nicht DIESE Liste der WHO meinte …

Egal, wenn Sie zukünftig Rückenschmerz plagt, gehen sie am besten gleich zum privat zu bezahlenden Osteopathen, irgendwann kommt auch der auf die ursächlich für die Schmerzen verantwortlichen Metastasen ihres Prostatakarzinoms.
Die eigenartig verfärbten Fußnägel können Sie als aufmerksamer Beobachter des Werbefernsehens gleich selbst als Fußpilz identifizieren. Sollte sich der „Ölfleck“ auf ihrem Nagel doch als Manifestation einer Schuppenflechte herausstellen, wird Ihnen das Ihr Hausarzt auch nicht sagen können, denn das Krankheitsbild suchte er im WHO Ranking vergeblich.
Nochmals, es gibt vermutlich keinen einzigen „richtigen“ Katalog an Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten für „den Arzt“, aber bei aller Hochachtung vor den Segnungen statistisch basierter Evidenz, der nächste Nobelpreis wird vermutlich für die Erkenntnis verliehen werden, dass man in manchen Szenarien wieder die Leute fragen sollte, die eine Tätigkeit auch noch selbst ausüben.