oder Der coole Umgang mit einer nationalsozialistischen Opfergruppe.
Die Deutschen haben überhaupt kein Problem mit den Roma. Das Problem sind die Roma. Auch für Moderatoren eines Privatsenders, die in ihrem Morgenmagazin neulich sagten, dass Roma zum Problem würden. Der Einspieler unterlegte es dann mit Volkes Stimme. Dreckig, unflätig und gefährlich nannte man diese Menschen, die derzeit vorallem aus Bulgarien nach Deutschland kämen. Man traue sich nicht mehr auf die Straße, wisse aber trotzdem, dass eben jene Straße besonders verdreckt sei. Der übliche Antiziganismus.
Das Problem hat man nicht mit ihnen - sie sind es. Man erkennt die Problematik nicht in den Umständen der Unterkunft, den fehlenden Lebensstrukturen und der rassistischen Begegnung mit diesen Menschen. Man hängt ihnen einfach an, dass in ihnen selbst das Problem sei. Der Mensch ist das Problem, nicht die Zustände seines Lebens, nicht die Dinge, die er tut oder nicht tut. Wer so spricht, der hat gar kein Interesse mehr an Verständnis oder wenigstens Verständigung, der hat den Weg der Verstehens und der Abhilfe schon verlassen. Wenn Roma das Problem sind, dann ist das wohl als genetische Angelegenheit zu verstehen. Man könnte ja beispielsweise auch feststellen, dass die Unterkünfte dieser Menschen eine Mitschuld am Dreck und an der Gefahr tragen. Könnte man, wenn man wollte.
Ein Beispiel: In Ingolstadt wurden Roma aus Bulgarien am Rande des Nordbahnhofes untergebracht. In einem Haus, das saniert werden müsste, direkt zwischen Gleisen und Straße. Dort gab es kaum etwas Erfreuliches, nur einige Baustellen, etwas Schotter. Hohes Verkehrsaufkommen. Karge Bahnhofsperipherie. Mehr oder minder gefährlich - oder besser gesagt: nicht einladend - war dieses Pflaster schon vorher, die Roma haben daran nichts verschlechtert. Und Dreck gehörte dort immer schon zum Bild. Wer Gegenden an Bahnhöfen kennt, der weiß, dass der Dreck das Geschwisterkind der Bahn ist. Man hätte sagen können, sie lümmeln viel herum. Was hätten sie aber auch sonst tun sollen? In anderen Stadtteilen, in denen andere Gruppen unter ähnlichen Bedingungen hausen müssen, wird auch gelümmelt. Das Sichgehenlassen ist kein Charakterzug sondern ein Produkt der Lebensumstände und der Möglichkeiten, die man Menschen gibt.
Man kann leider nicht mal sagen, dass diese Stimmung gegen Roma in diesem Deutschland nun wieder möglich sei, so als ob es mal eine Zeit des Anstandes und des Verständnisses gegeben hätte. Der Antiziganismus trieb auch nach 1945 ungebremst seine Blüten. Im Süddeutschen raunzt man heute noch verlogenen und ausgebufften Typen mit So ein Zigeuner! nach.
"Wo Roma auftauchen, werden sie in aller Regel schnell zu troublemakers, die fast ausschließlich als Last und Zumutung erscheinen und insofern asozial oder genauer nicht-sozial sind, als sie nicht erkennen lassen, daß sie zu der Gesellschaft, in der sie leben, Zugang finden wollen... (wir haben) zwar keine Wahl, als diese ungebetenen und in der Tat provozierenden Gäste aufzunehmen...", schrieb der Grüne Daniel Cohn-Bendit schon Mitte der Neunzigerjahre. Wahrscheinlich fand er sich besonders qualifiziert für solche Aussagen, war er doch einige Jahre zuvor zum Dezernenten für Multikulturelles in Frankfurt abberufen worden. Überhaupt: Man tausche das Wort Roma mal gegen Juden aus - so hat es Jutta Ditfurth einst in einer Kolumne getan.
In einer (rot-)grünen Republik ist also nicht von Besserung antiziganistischer Affekte auszugehen. Wir sind immer besonders cool mit dieser Opfergruppe nationalsozialistischer Säuberungsaktionen umgegangen. Neun Monate nach des Eisbären Knut Tod, erhielt ebendieses Tier einen Gedenkstein; weitere zehn Monate später konnten die Berliner fortan des Tieres an einem Denkmal harren. Eingeweiht wurde dies Ende Oktober 2012 - einige Tage zuvor erhielten die Sinti und Roma ein Mahnmal, das an den an ihnen begangenen Völkermord erinnern sollte. Und das immerhin geschlagene 67 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Verbrechen. Unterstreicht das nicht den coolen Umgang?
Roma, die das Problem sind, muss man als terminologische Vorstufe zum Romaproblem verstehen. "Nach dem Hinzukommen der Massen des Ostens ist eine Bereinigung des Judenproblems durch Auswanderung unmöglich geworden.", hieß es im Madagaskar-Plan, noch bevor die so genannte Endlösung beschlossen war. Die Problemisierung einer Gruppe ist die Wurzel aller Verächtlichkeit. Erst überträgt man die Probleme von der Organisation des Zusammenlebens und von den Lebensumständen auf die Gruppe selbst, hat kein Problem mit ihnen, sondern sagt, sie seien das Problem, um sie dann zu einer Komposition zusammenzuführen. Das Romaproblem ist dann Schlagwort, tilgt jegliche andere Herangehensweise, negiert Lösungsansätze, weil mit Menschen, die in sich den Problemfall tragen, der ihnen vermutlich auch noch im Blut liege, nichts anzufangen ist.
Wir bleiben auch cool, wenn wir von antiziganistischen Übergriffen in Osteuropa hören. Die Medien berichten zwar, aber doch nur sehr zögerlich. Übergriffe in Ungarn und Italien liegen so viel weiter weg als Mali. Die Demokratie in Westafrika zu verteidigen, sei quasi ein Einsatz vor der Haustüre - für die Demokratie gegen rassistische Wucherungen innerhalb Europas vorzugehen, liegt als Möglichkeit hinterm Mond. Kriegsmaterial auf andere Kontinente zu schicken ist machbar - anzuklagen, die europäische Öffentlichkeit gegen den Antiziganismus aufzubringen, mit Worten, nicht mit Stahl, ist undenkbar. Ghettos und verpflichtende Registrierung per Abgabe der Fingerabdrücke, wie in Italien, sieht man vermutlich nicht mal mit gemischten Gefühlen hierzulande, sondern als gangbaren Weg, mit diesen troublemakers leben zu können.
Stattdessen lesen wir in Der Springer, so wie damals auch in Der Stürmer, vom Romaproblem, von Bettlern, Wegelagerern, faulem Gesindel. Von einem Volk, das nirgends gewollt ist, weil es ein Volk von Verbrechern ist. Das Fernsehen bringt Passanten in Stellung, die alle ein Problem mit den Roma haben, weil die Roma das Problem sind. Wie im Affekt stürzen sie sich auf den Zigeuner, auf diesen staatenlosen Gesellen, der Frauen vergewaltigt und die Straße kriminalisiert. Und Moderatoren sprechen locker und leicht von den Roma, die immer mehr zum Problem würden.
Mit ähnlicher Volksverhetzung hat der Islam hierzulande zu ringen. Die Hetze gegen Roma ist insofern noch perfider, weil sie eine relativ dezimierte Gruppe ist - in diesem Land, da man sie fröhlich als troublemakers und asozial schimpft, haben sie 500.000 Seelen gelassen. Und noch einen Unterschied zum verhetzten Islam gibt es: Die, die im Mainstream als progressiv und liberal angesehen werden, Leute wie Cohn-Bendit zum Beispiel, haben eine gesunde Abneigung gegen die oberflächliche Islamophobie. Sie haben eher einen intellektuell verbrämten anzubieten. Aber beim Antiziganismus fallen alle Schranken, gibt es keinen Beistand, kann es gar nicht oberflächlich genug zugehen. Die Roma seien nun mal kriminell, seien nun mal eine Last, seien nun mal dreckig. Das könne man drehen und wenden wie man wolle.
Arreverderci Roma! ist in dieser Republik immer Hintergrundmelodie geblieben ...