Was weißt Du über Guatemala? Also bis auf die Tatsache, dass es südlich von Mexiko liegt und hier Spanisch gesprochen wird. Vielleicht noch, dass vor der Ankunft der Spanier hier die Maya ihr Reich aufgebaut hatten. Genau, die Maya mit diesem seltsamen Kalender, der unzählige Menschen vor fünf Jahren beunruhigte, weil sie annahmen, dass am 21.12.2012 das Ende der Welt gekommen wäre. Wie dem auch sei, Guatemala ist eines der Länder Lateinamerikas, über das wir hier in Europa im Allgemeinen nicht besonders viel wissen. Weder über dessen Geschichte, Kultur, noch über die Literatur, die aus diesem Land kommt.
Reihe Weltlese – Lesereisen ins Unbekannte
Da ist es gut, dass es Menschen wie Ilja Trojanow gibt. Für die Edition Büchergilde macht sich der Autor auf die Suche nach Autoren aus aller Welt, die hierzulande noch Unbekannte sind, die es aber auf keinen Fall bleiben sollten. Einer davon ist der 1982 geborene und 2015 mit dem BAM Letras Prize for Fiction ausgezeichneten Guatemalteke Arnoldo Gálvez Suárez. Die Rache der Mercedes Lima ist sein zweiter Roman. Daneben sind bereits zwei Bücher mit Kurzprosa von ihm erschienen. Der Originaltitel lautet Puente adentro, also „innere Brücke“. Der Klappentext umschreibt das Buch als spannenden „Krimi, abgründige Liebesgeschichte und finsteres Polit-Drama“. Und tatsächlich weiß man nicht immer, was für eine Art Buch man da gerade in Händen hält.
Jahrzehnte des Bürgerkrieges
Guatemala befand sich 36 Jahre im Bürgerkrieg. Von 1960 bis 1996 starben bis zu 250.000 Menschen, was sechs Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht, und rund 100.000 Guatemalteken flohen vor allem in die Nachbarländer. Fast jeder Einwohner des Landes hat einen Verwandten, einen Freund oder Bekannten, der dem Krieg zum Opfer gefallen ist. Um dieses Trauma dreht sich auch Gálvez Suárez‘ Roman.
Im Zentrum der Geschichte steht Alberto, Sohn des Geschichtsprofessors Daniel Rodriguez Mena, der Ende der 1980er Jahre ermordet wurde. Wie so viele Morde dieser Zeit, wurde auch der Tod des Professors nie wirklich aufgeklärt. Alberto vermutet, dass es sich damals um einen politischen Mord gehandelt haben könnte. In der Familie wurde über die Umstände nie wirklich gesprochen. In einem Supermarkt trifft er dann zufällig auf eine Person aus besagter Zeit – Mercedes Lima. Die Frau war damals Studentin bei Albertos Vater und hatte kurze Zeit bei der Familie gewohnt. Alberto beginnt, die Frau zu beobachten, sie heimlich zu fotografieren. Schließlich von ihr entdeckt, geht er auf sie zu, um mit ihr über das, was geschehen ist, als er noch Kind, zu sprechen.
Der Leser beginnt selbst, Vermutungen anzustellen, scheint gebannt von einem vermeintlichen Kriminalroman. Doch das Buch offenbart viel mehr. Es zeichnet, während Licht ins Dunkel gebracht wird, das Bild einer ganzen Gesellschaft. Mehr als dreißig Jahre Krieg sind nicht ohne Spuren an den Menschen vorbeigegangen. Gewalt ist stets präsent – auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Neben diesem Handlungsstrang erzählt Gálvez Suárez von den letzten Wochen vor dem Tod von Albertos Vater aus dessen Sicht.
Fesselnd und überraschend
Die Rache der Mercedes Lima schafft es, den Leser von Anfang an tief in das Geschehen zu ziehen, ihn zu fesseln und immer wieder mit neuen Wendungen zu überraschen. Suárez hat dem Roman das Zitat von Octavio Paz vorangestellt: „Von einem Ufer zum anderen erstreckt sich immer ein Körper.“ Dieser Körper ist Mercedes Lima. Sie ist die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Licht und Dunkel, Vater und Sohn. Schade, dass es dieses Bild der Brücke nicht in den Titel der ansonsten einwandfreien Übersetzung von Lutz Kliche geschafft hat, denn auch das Buch ist eine Brücke – zwischen den deutschsprachigen Lesern und diesem Land – südlich von Mexiko.
Arnoldo Gálvez Suárez
Die Rache der Mercedes Lima
edition büchergilde, Frankfurt 2017
EUR 25,-