Die Wirtschaftspublizistin Ursula Weidenfeld und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rudolf Hickel trafen sich am 23.06.2014 bei Phoenix “Unter den Linden” (Moderator: Michael Hirz) zum Thema: Angriff auf Merkels Stabilitätskurs – verfällt der Euro?
An und für sich war die Dreiviertelstunde ein spitzfindiger Schlagabtausch zwischen den beiden Gästen, die jeweils auf eine Buchveröffentlichung zum Euro hinwiesen. Die Verteidigerin des Sparkurses der Kanzlerin, sah sich mit volkswirtschaftlichen Argumenten konfrontiert, denen sie kaum ökonomische Argumente entgegensetzen konnte. Prof. Hickel verwies in der Sendung darauf, dass sogar der IWF vor Monaten hinsichtlich des SPARKURSES eingeräumt hatte, dass nicht nur schlicht “falsch” gerechnet wurde (Formelfehler), sondern auch der desaströse Nachfrageverfall, beispielsweise in Griechenland, unterschätzt wurde.
Michael Hirz wies auf die jüngsten Gespräche des Wirtschaftsministers Gabriel (SPD) mit dem französischen Staatspräsidenten hin. Beide sind sich mit dem italienischen Präsidenten einig, dass der einseitige Sparkurs nicht das Allheilmittel ist und der anvisierte Schuldenabbau zeitlich gestreckt werden muss, um Investitionen in die Nachfrage, einhergehend mit Beschäftigungswirkungen, eine Chance zu geben.
Bemerkenswert war, dass die Wirtschaftsjournalistin alleine deshalb an dem rigorosen Sparkurs festhalten will, weil sie der Südschiene der EU, insbesondere auch Frankreich, die Organisation und Durchführung erfolgversprechender Nachfrage-Investitionen nicht zutraut. Damit stellte sie nicht nur der EU ein Armutszeugnis aus, das Richtige zu erkennen und zielstrebig anzupacken, sie hält offenbar den inneren Zustand der Südschiene der EU für so marode, dass sie strikt den weiteren Sparkurs einhalten will. Offen blieb, wie sie am Boden liegende Volkswirtschaften wieder beleben will?!
Auf der Strecke bleiben die Bürger. Prof. Hickel wies auf die angestiegenen Selbstmordraten, die sich ausweitende Obdachlosigkeit und auf die Tatsache hin, dass chronisch Kranke nicht mehr versorgt werden. Damit deutete er die katastrophale, seit Jahren anhaltende prekäre Situation der EU-Bürger hin. Da fehlte leider nur die Frage, für wen eigentlich die EU errichtet wurde; sicher nicht für die Bürger, lernen wir seit der Euro-/Schulden-/Finanzkrise (kriminelle Spekulationen usw.).
Und besonders in Deutschland werden gerade die SPARER enteignet, keineswegs “alternativlos”, sondern ganz gezielt, auch weil die Vertreter der Bürger in den Parlamenten allenfalls noch sich selbst mit ihrer eigenen Interessenlage vertreten, schon lange nicht die Bürger oder die wenigen Wähler!
Prof. Hickel räumte in der Sendung ein, dass der vorübergehende Austritt von Griechenland aus dem Euro bei Beginn der Krise richtig gewesen wäre; nur die damals zugespitzte Situation, auch mit Blick auf ein mögliches Auseinanderbrechen der EU, hinderte daran, das ökonomisch Richtige in Angriff zu nehmen! Eine bemerkenswerte Klarstellung!
Seit Prof. Schiller (SPD), dem ehemaligen Superminister, wurde der fachkundigen Nachwelt der Begriff der “konzertierten Aktion” präsentiert. Die Bundeskanzlerin hat anscheinend noch nie von diesem erfolgversprechenden Denkansatz gehört. Damals, in den 60er und 70er Jahren, ging es um die Globalsteuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage! Die Bundesländer hatten nach dem “Finanz- und Stabilitätsgesetz” von 1967 die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes zu beachten. Die Anfangserfolge über eine Reihe von Jahren sind unbestreitbar; Partikularinteressen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) beendeten dann die Zusammenarbeit.
Dass die riesige EU-Bürokratie bis heute, jedenfalls nicht erkennbar, die modernen und volkswirtschaftlich zukunftsweisenden Denkansätze der 60er Jahre wieder aufgegriffen hat, wundert nicht weiter. Den EU-Oligarchen geht es mehr um die Durchsetzung des EU-Einheitsstaates, um die Abschüttelung der nationalstaatlichen Demokratie. Oder anders gesagt: Der EU-Bürger soll nicht der SOUVERÄN sein, auch nicht auf dem Papier, wie beispielsweise im Grundgesetz verankert, die Demokratie soll in Wirklichkeit abgeschafft werden, dem Durchschnitts- EU-Bürger wird die Rolle des willfährigen Arbeitnehmers zugewiesen, der, sofern es für notwendig gehalten wird, auch den niedrigsten Lohn akzeptieren muss.
Auch die inzwischen im Grundgesetz verankerte “Schuldenbremse” wird inzwischen in der Wissenschaft vermehrt als eine Art “ökonomische Fehlleistung” dargestellt. Vor wenigen Jahren wagten es die “neoliberalen Lehrstuhlinhaber” nicht, den volkswirtschaftlichen Unsinn in aller Klarheit zurückzuweisen.
Das liegt unter Anderem daran, dass die Wissenschaftler der Politik hätten wirksame Mechanismen vorschlagen müssen, die bei Fehlinvestitionen, idiotischen Ausgaben auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) usw. greifen und den Unfug nachhaltig unterbinden.
Die Politik hätte sich mit wissenschaftlicher Unterstützung “Zügel” und Sanktionsinstrumente einfallen lassen müssen, um der bürokratischen und politischen Idiotie mit Nachdruck zu begegnen. Dazu gehört z.B. die erleichterte Amtsenthebung, die Haftung, auch im Sinne des Wegfalles von Pensionen oder Teilen davon, die gutachtliche Stellungnahme bei aufwändigen Vorhaben usw. usw..
Auch der “zahnlose” Bundesrechnungshof hätte dahingehend entwickelt werden können, dass er die Verantwortlichen für die Missetaten stärker herausstellt und Konsequenzen vorschlägt.
Äußerst gefährlich ist es, dass die Politiker, die die EU derzeit dominieren, von den volkswirtschaftlichen Zusammenhängen in den Nationalstaaten und der sog. Finanzwelt wenig verstehen bzw. verstehen wollen. Die “Stückwerk-Politik” (nach Prof. Erich Staudt: Planung als Stückwerktechnologie) bzw. seine Ausführungen im Handelsblatt vom 10.04.2002 zeigen die Grundproblematik auf:
“Wenn das Wasser im Rhein fällt, werden Untiefen sichtbar, die die Schifffahrt behindern. So auch in der Wirtschaft: Die abflauende Weltkonjunktur verdeutlicht Versäumnisse des Strukturwandels und macht veraltete Produktions- und Dienstleistungsmuster schmerzhaft bewusst. Es fehlt an Innovationen, um verlorene Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu kompensieren. Ursache der Innovationsschwäche ist ein an Business-Schools gelehrter Führungsstil, der mit dem Schumpeterschen Unternehmer wenig gemein hat. Da ist eine Generation von Angestellten in leitende Position geraten, die als Kinder wohl viel Monopoly gespielt haben und das für Unternehmensführung halten. Sicher kann man damit zeitweise viel Geld verdienen, und das Spiel erscheint einfacher, als sich dem aufwendigen Prozess innovativer Unternehmensentwicklung zu stellen. Doch wenn alle das tun, wird das Ergebnis kleiner als bei einem Nullsummenspiel, weil die Strukturen im Wettbewerb zurückbleiben und niemand mehr Innovationen vorantreibt.”
Sollte diese Aussage Frau Weidenfeld umgetrieben haben, als sie der Südschiene in der EU fehlende ökonomische Kompetenz bescheinigte?
Da fehlt der Wirtschaftsjournalistin Klartext und persönliche Autorität, um die Dinge beim Namen zu nennen. Ganz anders Prof. Erich Staudt in dem vorgenannten Artikel:
“Das Verbraten von Monopolyrenditen in Sozialplänen und internationalen Spekulationen steht für die Unfähigkeit, eigenes Erfahrungspotenzial weiterzuentwickeln und in betriebswirtschaftlich sinnvollen Innovationen zu nutzen. Gesamtwirtschaftlich werden riesige Verluste in Kauf genommen. Da die Portfolio- und Kennzahlenfetischisten mit Shareholder-Value kurzatmige Abschöpfungsstrategien präferieren, erscheint Entwicklung mit Hilfe neuer Techniken viel zu langwierig und aufwendig. Denn das verlangt den langfristig denkenden Unternehmertyp und nicht den Spekulanten, der vor der Vertragsverlängerung noch kurzfristige Erfolge sucht.”
Der neoliberale Zeitgeist hat es tatsächlich geschafft, nur noch in “Staatsschulden” zu denken. Übersehen wird, was Prof. Erich Staudt zu Recht anmahnte, nämlich das Überdenken der für Unternehmen und technische Innovation toxisch wirkenden Ideologie des “Shareholder-Value”, die seit der “geistig-moralischen Wende” des Bimbes-Kohl Deutschland und Europa überschwemmt hat.
Dass die “Bosse Monopoly” spielen, wie es Prof. Staudt bereits 2002 kritisch anmerkte, wird selbst heute nur ansatzweise verstanden. Die “Irrealwirtschaft” hat sich monströs entwickelt; zu Recht sprach der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler vom Monster der Finanzwirtschaft, ähnlich wie der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU).
Innovieren ist geradezu das Kontrastprogramm zum Casino-Spiel! Innovieren benötigt allerdings Mitarbeiter, die sich dem Unternehmen verbunden fühlen und auch angesichts der angemessenen Bezahlung wohlfühlen, auch weil sich darauf Familie gründen lässt.
Die Hartz IV-Gesetzgebung, ein Instrument zur Demütigung der sklavenhaft gehaltenen Arbeitslosen, zeigt die schlimme Entwicklung auf, die Prof. Erich Staudt bereits vor vielen Jahren skizziert hatte.
Welcher Arbeitnehmer will und kann sich angesichts dieser Entwicklung noch mit seinem “Unternehmen” identifizieren. Es sind allenfalls die wenigen Nutznießer, die späteren Casino-Manager, die damals mit dem “Bimbes-Kohl” die prekäre Entwicklung eingeleitet hatten.
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Skepsis der Wirtschaftsjournalistin Weidenfeld nachvollziehen.