Die Bundesregierung hat leider kein Geld mehr übrig. Jedenfalls kein Geld für eine Hartz-IV-Sätze, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen. Und auch kein Geld für die Bekämpfung von Hunger und Armut auf der Welt, und für die Erfüllung der übrigen Milleniumsziele der UNO. Dafür sei kein Geld da, heißt es lapidar aus dem Kanzleramt. Klar, denn das Geld wurde ja viel dringender benötigt: für Günstlingswirtschaft und Klientelinteressen, für Bankenrettungen und Staatsgarantien, für Subventionierungen und Gewinngarantien, von der Atomindustrie über die Pharmakonzerne bis hin zu Hoteliers. Nun ist die Kasse eben leer – so wie es die Neoliberalen immer gewollt haben. Bei den Ärmsten der Welt wird nun gespart.
Vor 10 Jahren hatten sich alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verbindlich auf die sogenannten Milleenniumsziele zur Verringerung der globalen Armut geeingt, die bis 2015 erreicht werden sollten. Der jetzige Zwischengipfel war eine einzige Enttäuschung. Die meisten versprochenen Ziele werden so nicht erreicht werden können. So werden die Halbierung Zahl der Menschen, die von unter 1,25 Dollar am Tag leben, die Halbierung der Zahl der Hungernden, die Reduzierung der Sterblichkeit von Müttern, die Grundschulbildung, die Bekämpfung von AIDS und anderen Krankheiten, der Zugang zu Sanitäranlagen, die Gleichberechtigung und die Höhe der Entwicklungshilfe der Industrieländer wohl kaum erreicht werden. Teilerfolge sieht man lediglich bei der Reduzierung der Kindersterblichkeit und dem Zugang zu sauberem Wasser (Schweizer Fernsehen: Acht UNO-Ziele sollen bis 2015 umgesetzt sein, via Erlkönig). Das ist der sehr ernüchternde Stand bisher. Und die Zukunft bietet wenig Hoffnung auf Besserung. In der Abschlusserklärung des Millenniumsgipfels 2010 gab es keine konkreten Verpflichtungen oder finanziellen Zusagen.
Besonders negativ tat sich dabei Deutschland hervor: Entwicklungsminister Dirk Niebel und Bundeskanzlerin Merkel wollen, wen wunderts es noch, die Entwicklungshilfe noch weiter an den Interessen der deutschen Privatwirtschaft, sowie stärker bilateralausrichten. Immerhin ein Fortschritt, dass Niebel sie nicht mehr ganz abschaffen will. In der Art, wie Niebel die Entwicklungszusammenarbeit bisher umgestaltet nützt sie jedoch immer mehr vor allem einzelnen deutschen Konzernen. Ein Fortschritt bei den weltweit wichtigsten entwicklungspolitischen Zielen ist so kaum zu erreichen. Hier spielt Deutschland im Gegenteil eine negative Rolle. Finanzielle Zusagen Deutschlands gab es auf dem Gipfel keine.
Selbst die im Jahr 2000 zugesagten 0,7 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe für das Jahr 2015 seien ein “sehr ambintioniertes Ziel”, so Kanzlerin Merkel. In der Sprache der Diplomaten ist klar, was das heißt: nicht erreichbar. Für dieses Jahr würde man 0,4% ausgeben. Das sind deutlich weniger als die 0,51%, auf die sich Deutschland für 2010 verbindlich verpflichtet hatte. Doch noch nicht mal die angeblichen 0,4% stimmen: In Wahrheit gibt Schwarz-Gelb sogar nur 0,35% aus – und für die Zukunft plant man noch ein paar buchhalterische Tricks, wie eine Anrechnung des steuerlich absetzbaren Anteils der Privatspenden an gemeinnützige Entwicklungsorganisationen. Angela Merkel versuchte sich als Rechtfertigung in Varianten von “nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität kommt es an” und “Hilfe zur Selbsthilfe”. Es ginge um Ergebnisorientierung, nicht um die reine Summe, darum, die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe zu erhöhen. Das ist natürlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten: Selbst wenn es, nur einmal angenommen, der Bundesregierung darum ginge, die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu erhöhen (zugegeben: wer das glaubt, glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist), so könnte sie natürlich mit mehr Geld noch mehr bewirken.
Was Merkel aber wirklich will, zeigt sie ziemlich unverblümt: einen Rückzug Deutschland aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, ein Verlangsamen der Fortschritte der UN, im Kern ein Ende weltweiter Solidarität.Gab es seitens von Entwicklungsorganisationen starke Kritik (etwa VENRO, Oxfam, Misereor, Welthungerhilfe, eed und Brot für die Welt) so war auf dem Gipfel leider zu bemerken, wie einige andere Länder dem schlechten Vorbild Deutschlands folgten. Die Entwicklungsländer müssten mehr Eigenverantwortung zeigen, heißt es dann von ihr im neoliberalen Neusprech. Was nicht mehr bedeutet als: weniger Unterstützung durch die Industriestaaten. Jeder ist sich selbst der nächste, wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht, usw. Man kann es nicht mehr hören. Gerade angesichts des massiven Versagens Deutschlands, dem Brechen seiner Zusagen und nicht zu vergessen der fortgesetzten und von Deutschland maßgeblich vorangetriebenen ungerechten Struktur des Welthandels ist diese Haltung an Zynismus wohl kaum zu überbieten. Wie sollen sich die Entwicklungsländer selber helfen, wenn die Industriestaaten weiterhin ihre Produkte hochsubventionieren, ihre Märkte vor den Entwicklungsländern abschotten und im Gegenzug von den Entwicklungsländern Liberalisierungen, Privatisierungen und Sozialabbau fordern? Und erfordern es nicht schon die Grundzüge aller ethischen Vorstellungen, dass die wohlhabendsten Länder wenigstens die extremste Not lindern helfen?
Nein, die schwarz-gelbe Bundesregierung sieht dies offenbar nicht so: Selbst seine Beiträge, um die weitere Ausbreitung von Aids, Malaria und Tuberkulose bis spätestens 2015 zu stoppen, wird Deutschland von 600 auf 200 Millionen Euro kürzen. Die hässliche, unmenschliche Fratze des Neoliberalismus zeigt sich am deutlichsten daran, wie er mit den allerärmsten, den Schwachen und Kranken umgeht. Die Bundeskanzlerin hätte schlicht sagen müssen: “Dass ihr nicht verhungert, das ist uns zu teuer. Wir brauchen das Geld für unsere Banken und Konzerne!”, dann wäre sie wenigstens ehrlich gewesen. Ihre plumpen Versuche, sich aus der weltweiten Verantwortung zu ziehen und dies mit Allgemeinplätzen zu verschleiern, sind ohnehin zu offensichtlich.
Statt für die Bekämpfung der weltweiten Armut und Ungerechtigekeit nun verwendete die schwarz-gelbe Bundesregierung für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Energie für eine andere Frage: einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat. So zeigt sie sich hier sogar ungewohnt freigebig und verteilt großzügig Geschenke an Länder, die Deutschland dabei unterstützen. Man kann offenbar nur dann die Großzügigkeit Deutschlands erwarten, nicht verhungern oder verdursten zu müssen, wenn man sich seinem Führungsanspruch unterordnet. Hilfe gibt es nur, wenn sie in erster Linie einem selber hilft.