Armuts- und Reichtumsbericht

armutsbericht_deckblattWenn man sich der Mühe unter­zieht, die kom­plet­ten 549 Seiten des “Armuts- und Reichtumsberichts” und nicht nur den zusam­men­ge­stri­che­nen Einleitungstext liest, kommt man zu der Erkenntnis, dass er viele Dinge auf­zeigt, denen selbst ein Gesellschaftskritiker zustim­men kann. Es scheint, als hätte hier der “kor­ri­gie­rende” Rotstift nicht alle bri­san­ten Aussagen erreicht.

Es steht viel Kluges in dem Bericht. Weniger klug war sicher­lich, dass der ver­öf­fent­lichte “4. Armuts- und Reichstumsbericht” der Bundesregierung von Regierungspolitikern (im Gegensatz zum Entwurf, wie er der Öffent­lich­keit bekannt wurde) an man­chen Stellen beschö­ni­gend “kor­ri­giert” wurde. Und doch war selbst das poli­tisch nicht so unklug, wie es auf den ers­ten Blick scheint. Denn wenn gewünscht war, Medien und Öffent­lich­keit davon abzu­hal­ten, sich mit den Inhalten des Berichtes zu befas­sen, dann ist das her­vor­ra­gend gelun­gen. Denn natür­lich kann man sich wun­der­bar (und berech­tigt) dar­über auf­re­gen, dass aus dem Satz im Entwurf: “Während die Lohnentwicklung im obe­ren Bereich posi­tiv stei­gend war, sind die unte­ren Löhne in den ver­gan­ge­nen zehn Jahren preis­be­rei­nigt gesun­ken” das Gegenteil wurde. Denn die sin­ken­den Reallöhne in den unte­ren Einkommensgruppen sind nun “Ausdruck struk­tu­rel­ler Verbesserungen”.

Hieß es in der ers­ten Fassung noch: “Die Einkommensspreizung hat zuge­nom­men.” so steht in der Endfassung das genaue Gegenteil: “…dass die Einkommensspreizung seit 2007 rück­läu­fig ist.”

Im Bericht selbst wird dann jedoch aus der Tatsache, dass das Vermögen in Deutschland mehr als ungleich ver­teilt ist, nir­gendwo ein Hehl gemacht. Selbst die Versuche, unlieb­same Wahrheiten in – nen­nen wir es: unüber­sicht­li­chen – Diagrammen zu ver­ste­cken, gelin­gen nur auf den ers­ten und flüch­ti­gen Blick.

verteilung_des_privatvermögens

Im Bericht selbst ist dazu aus­ge­führt: “…ver­fü­gen die Haushalte in der unte­ren Verteilung nur über gut ein Prozent des gesam­ten Nettovermögens, wäh­rend die ver­mö­gens­stärks­ten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesam­ten Nettovermögens auf sich ver­ei­nen.”

Eine andere Frage ist die Bewertung, die auch die Autoren des Berichts vor­neh­men, wenn sie ihre Studie vor­stel­len. Denn wenn sie schrei­ben, dass die vor­lie­gen­den Daten eine posi­tive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auf­zei­gen, dann ist natür­lich zu fra­gen: Auf wes­sen Kosten? Zwischen den offi­zi­el­len Zahlen der Arbeitslosenstatistiken und dem pre­kä­ren Leben derer, die sich mit Minijobs und in unter­ta­rif­li­chen Arbeitsverträgen durch­schla­gen müs­sen gibt es einen Zusammenhang. Das sieht sogar die Studie. “Knapp ein Viertel der abhän­gig Beschäftigten bezie­hen dabei einen rela­tiv nied­ri­gen Bruttostundenlohn, der unter­halb von zwei Dritteln des mitt­le­ren Stundenlohnes liegt. Dieser Anteil ist…von gut 20 Prozent (2000) auf rund 24 Prozent (2007) ange­stie­gen…”

Ich habe mir vor allem auch die bil­dungs­po­li­ti­schen Aussagen des Armutsberichts ange­schaut. Und vie­les ist rich­tig dar­ge­legt. So stellt der Bericht fest, dass der Aufstieg in der Gesellschaft immer schwie­ri­ger wird; ja, dass der Aufstieg aus den unte­ren Schichten der Gesellschaft inzwi­schen so gut wie unmög­lich ist.

Als ein­zig mög­li­chen Weg her­aus aus die­ser gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Misere wird was wohl genannt? Richtig: Bildung. Eine Bildung, die so früh als nur mög­lich begin­nen sollte und vor allem Kinder allein­ste­hen­der Mütter errei­chen muss, denn diese sind vor­ran­gig sozial gefähr­det.

“Das deut­sche Bildungssystem steht wei­ter­hin vor der Aufgabe, die soziale Durchlässigkeit zu erhö­hen und Bildungsaufstiege zu ermög­li­chen.” Wer kann dem wider­spre­chen?

Hier macht der Bericht tat­säch­lich auch auf­grund sei­ner Ergebnisse und Auswertungen kon­krete Vorschläge; stellt aller­dings auch fest, dass Deutschland im Vergleich zu ande­ren OPEC-Ländern“weit unter­durch­schnitt­lich” wenig Geld für die Bildung bereit­stellt.

bildungsausgaben

Der Bericht for­dert zum Beispiel, bis zum Jahr 2015 min­des­tens 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Bildung und Forschung ein­zu­set­zen. Auch eine bes­sere Ausbildung von ErzieherInnen wird gefor­dert. Denn eines ver­schweigt der Bericht nicht: dass näm­lich Bildung bereits früh begin­nen muss. “Bereits der Besuch einer Kinderkrippe erweist sich ins­be­son­dere für benach­tei­ligte Kinder als Chance für den spä­te­ren Bildungsweg: Kinder, die in einer Krippe waren, haben im Durchschnitt gegen­über Kindern, wel­che nur im Kindergarten waren, eine höhere Wahrscheinlichkeit, spä­ter aufs Gymnasum zu gehen.” Diese Chance erhöht sich bei Kindern aus sog. “bil­dungs­fer­nen Elternhäusern” um 80 Prozent!

Vor allem – so die Berichterstatter – müs­sen allein­er­zie­hende Mütter und Familien mit gerin­gem Einkommen unter­stützt wer­den. Derzeit ist es genau anders herum. Nur Kinder wohl­ha­ben­der und nicht-bildungsferner Familien könn­ten an z.B. außer­schu­li­schen Aktivitäten teil­neh­men. “Nur ein Fünftel der Kinder, deren Mutter kei­nen Berufsabschluss besitzt, nimmt außer­häus­li­che Angebote wahr. Von den­je­ni­gen, deren Mutter über einen Berufsabschluss ver­fügt, tun dies hin­ge­gen über die Hälfte.” Hier sei der Staat gefor­dert, Chancengleichheit her­zu­stel­len.

Vor allem die Sprachförderung wird als Schlüssel für einen Erfolg in Schule und Beruf benannt. Dies betrifft glei­cher­ma­ßen “Kinder mit und ohne Migrationshintergrund”. Wobei vor allem der zwei­ten Gruppe ein erhöh­tes Interesse ent­ge­gen­ge­bracht wer­den müsse, denn “im Jahre 2010 [hat­ten] rund 28 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 25 Jahren in Deutschland einen Migrationshintergrund (5,6 Mio), wäh­rend es bei den unter Fünfjähringen bereits rund 35 Prozent waren.” Dabei über­neh­men Krippen und Kindergärten eine wich­tige Funktion zur Ausbildung von Sprachkompotenz.

Doch gerade diese Gruppe an Aufwachsenden ist die, die am sel­tens­ten in den Kindergärten und -krip­pen anzu­tref­fen sei:

kinderbetreuung

“Kinder mit Migrationshintergrund neh­men nicht nur sel­te­ner die Bildungsangebote einer Kindertagesstätte wahr, sie ver­tei­len sich dar­über hin­aus nicht ent­spre­chend ihres Anteils an der Bevölkerung gleich­mä­ßig auf die Einrichtungen. Jedes dritte Kind in Westdeutschland mit nicht deut­scher Familiensprache wird in einem Umfeld betreut, in dem Deutsch spre­chende gleich­alt­rige Kinder in der Minderheit sind.”

Auch bei der Einschulung gibt es Unterschiede zwi­schen den Kindern, die sich dann spä­ter durch die gesamte Biographie zie­hen: “Kinder aus Familien mit nied­ri­gem sozio­öko­no­mi­schen Status wer­den im Durchschnitt spä­ter ein­ge­schult als Kinder aus Familien mit hohem…” Das jedoch – so der Bericht – liegt nicht daran, dass es an Geld für die Einschulung fehlt, son­dern daran, dass bei den Kindern wäh­rend der Einschulungsuntersuchung bis zu drei­mal häu­fi­ger Entwicklungsverzögerungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie psy­cho­mo­to­ri­sche Störungen fest­ge­stellt wer­den.

Insofern wird im Armutsbericht nicht so son­der­lich viel Neues berich­tet. Es wird aber Vieles mit vie­len Zahlen und Statistiken und Diagrammen ver­mit­telt und bewie­sen. Und auf­ge­zeigt, dass es im deut­schen Bildungssystem an allen Ecken und Kanten brö­ckelt.

Der Bericht ist nicht halb so schlecht wie der (mediale) Ruf, der ihm vor­aus­eilte. Doch was die Politik aus den Anregungen macht, die der Armuts- und Reichtumsbericht macht… das steht auf einem ganz ande­ren Blatt. Viel wird es wohl nicht wer­den. Denn wer ver­sucht, Realitäten durch Streichungen zu ver­än­dern wird kaum die kon­struk­ti­ven Ansätze des Berichts wahr­neh­men. Geschweige denn: beach­ten und umset­zen.

Nic


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