Armut und strenge Armut

Das Thema Armutsmessung ist komplex. Beispielsweise, weil große Haushalte mit kleinen verglichen werden müssen, also beispielsweise die Familie mit drei Kindern mit einem Alleinstehenden. Wie bereits an anderer Stelle beschrieben tut man das meistens mit Hilfe der sogenannten Äquivalenzskalen. Bei der neuen OECD-Skala zählt jeder zusätliche Erwachsene nur 50 Prozent eines Alleinstehenden, jedes Kind 30 Prozent. Und wie ebenfalls beschrieben bin ich der Meinung, dass dadurch die Kinderarmut massiv unterschätzt wird. Noch eine weitere Schwierigkeit ist aber die Definition einer Armutsschwelle. In der Berichterstattung wird Armut üblicherweise mit dem gleichgesetzt, was Statistiker als Armutsgefährdungsquote bezeichnen. Das ist der Prozentsatz aller Menschen, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens erzielen.

Armut im engeren Sinne beginnt aber eigentlich erst bei einem Einkommen das nur halb so hoch liegt wie der Median. Teilweise wird auch noch die strenge Armut unterschieden, sie beginnt bei 40 Prozent des Medians.

Weil man diese Daten kaum noch findet, habe ich mal beim Statistischen Bundesamt nachgefragt. Leider werden die diese Daten nur auf Basis von EU-SILC erhoben, in meinen Augen eine der schlechteren Datenquellen zur Amut. Bessere wären Daten auf Basis des Mikrozensus, aber die gibt es offenbar nicht.

Bei den Daten für die Armut müssen wir ebenfalls zwei Fälle unterscheiden, nämlich vor und nach Sozialleistungen. Ziel des Sozialstaats ist es ja, die Armut zu bekämpfen. Tatsächlich lag die Armut (50 Prozent des Medians) nach Sozialleistungen im Jahr 2017 mit 9,4 Prozent nur rund halb so hoch wie vor Sozialleistungen (18,2 Prozent). Noch drastischer ist der Unterschied bei der strengen Armut (40 Prozent des Medians). Sie lag vor Sozialleistungen bei 13,8 Prozent, nach Sozialleistungen dagegen nur noch bei 4,4 Prozent. Bei der Armutsgefährdung ist der Effekt wiederum deutlich geringer, hier sinkt die Quote von 24,1 auf 16,1 Prozent.

Hat die Armutsbekämpfung seit 2013 an Kraft verloren?

Bei Betrachtung der strengen Armut fällt auf, dass die Quote vor Sozialleistungen im Jahr 2017 leicht niedriger lag als 2012. Der Verlauf der Quote für die strenge Armut nach Sozialleistungen ist prinzipiell ähnlich, 2013 auf 2014 gab es einen deutlichen Anstieg, seitdem fällt die Quote wieder. Allerdings liegt sie bei der Armut nach Sozialleistungen mit 4,4 Prozent noch immer 0,2 Prozentpunkte höher als 2013, während sie vor Sozialleistungen mit 13,8 Prozent rund 0,3 Prozentpunkte niedriger liegt. Gelingt es mittlerweile schlechter, die Armut zu bekämpfen? Schwer zu sagen, aber es gibt Hinweise darauf. Betrachtet man die Armutsquote (50 Prozent des Medians) sind zwar beide Kurven gesunken, die Armut vor Sozialleistungen aber mit 0,4 Prozentpunkten um 0,2 Prozentpunkte stärker. Bei der Armutsgefährdung wiederum sank die Quote vor Sozialtransfers um 0,2 Prozentpunkte, die nach Transfers blieb unverändert bei 16,1 Prozent. Aber natürlich müsste man hier noch etwas nachforschen, bevor man ein Urteil fällt. Denkbar wäre aber immerhin, dass Sozialleistungen wie die nach dem SGB II seit 2013 langsamer erhöht wurden als das Nettoäquivalenzeinkommen stieg.

Ändert die andere Betrachtung etwas am Gesamtbild?

Am Gesamtbild ändert sich aber wenig, wenn man die Armut oder die strenge Armut betrachtet. Die Werte fallen dann natürlich deutlich niedriger aus. Anders als in manchen Zeitungen zu lesen sind in Deutschland nicht 16,1 Prozent der Bevölkerung arm, sondern 9,4 Prozent. 16,1 Prozent sind arm oder armutsgefährdet.

Allerdings sind solche Grenzen natürlich ohnehin immer angreifbar. Spannender ist der Blick auf die Entwicklung. Hier kann man feststellen, dass die Entwicklung für alle drei Betrachtungen ähnlich ist, wenngleich die strenge Armut leicht gestiegen ist, die Armut leicht gesunken ist und die Armutsgefährdung stagniert.

Bei der Armut vor Sozialleistungen ist der Verlauf ebenfalls ähnlich, hier sind die Quoten sogar für alle drei Gruppen gesunken, selbst für die strenge Armut, die nach Sozialleistungen gestiegen ist.Das wirft die Frage auf, ob statt weiterer Rentenerhöhungen, die nur jenen nutzen die das Glück eines langen Lebens haben und von denen viele profitieren, die gar nicht arm sind, nicht zielgerichtete Maßnahmen für die unteren Einkommensschichten besser wären. Beispielsweise die Entlastung von Steuern und Abgaben bei Geringverdienern oder direkt eine Erhöhung von Sozialleistungen.


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