Argentinien: Trotze Deinen Gläubigern und geh Deinen Weg !

Erstellt am 16. November 2010 von Lupocattivo

von Walden Bello Quelle:voltairenet

Der Tod von Néstor Kirchner war ein großer Verlust, nicht nur für Argentinien, sondern für die Region und für die Welt. Im Mai 2003 nahm Kirchner die Zügel eines Landes in die Hand, das durch seine schwerste Wirtschaftskrise ging und von massiven Schulden erdrückt wurde.
Seine kühne und erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Internationalen Währungsfonds haben der Welt gezeigt, dass ein Land  dem IWF trotzen kann und weiterleben, um darüber zu erzählen, und sie hat dazu beigetragen, den sich daraus ergebenden Verlust des Einflusses des IWF in anderen Ländern Lateinamerikas und darüber hinaus zu beschleunigen.

Der unerwartete Tod am 27. Oktober 2010 von Nestor Kirchner [Anm: von dem ich in westlichen Medien nichts gelesen hatte, wohl da er "persona non grata" war] beraubt nicht nur Argentinien eines bemerkenswerten, wenn auch umstrittenen Führers. Darüber hinaus fehlt mit ihm eine beispielhafte Figur im globalen Süden, in der Auseinandersetzung mit den internationalen Finanzinstitutionen.

Kirchner trotzte den Gläubigern. Noch wichtiger ist, er kam damit durch.

Der Zusammenbruch

Die volle Bedeutung von Kirchners Aktion muss man im Kontext der Ökonomie sehen , die er mit seiner Wahl zum Präsidenten Argentiniens im Jahr 2003 erbte. Das Land war bankrott, und konnte seine 100.000.000.000 $ Schulden nicht mehr bedienen. Die Wirtschaft war in einer Depression mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von über 16 Prozent in diesem Jahr .  Die Arbeitslosigkeit lag bei 21,5 Prozent der Erwerbstätigen und 53 Prozent der Argentinier waren unterhalb der Armutsgrenze gedrängt worden. Das einst reichste Land in Lateinamerika in Bezug auf das Pro-Kopf-Einkommen war hinter Peru und Teile Mittelamerikas abgestürzt.

Argentiniens Krise war ausgelöst worden durch sein treues Festhalten am neoliberalen Modell. Die Liberalisierung der Finanzmärkte, die unmittelbare Ursache für den Zusammenbruch, war Bestandteil eines umfassenderen Programms für radikale Umstrukturierung der Wirtschaft.
Argentinien war das Aushängeschild der Globalisierung, Latin-Stil.
Es brach alle Handelsschranken schneller ab als die meisten anderen Länder in Lateinamerika und „liberalisierte“ sein Kapital-Zugang radikaler.
Es folgte ein umfassendes Privatisierungsprogramm mit dem Verkauf von 400 staatlichen Unternehmen – darunter Fluggesellschaften, Ölgesellschaften, Stahl, Versicherungen, Telekommunikation, Post und Petrochemie – ein Komplexe ,der verantwortlich war für etwa sieben Prozent des nationalen jährlichen Bruttoinlandsprodukts.
Als wichtigstes Zeichen des Glaubens an den Neoliberalismus nahm Buenos Aires ein „Currency Board“ an  und verzichtete damit freiwillig auf eine sinnvolle Kontrolle über die internen Auswirkungen der volatilen Weltwirtschaft.
Dieses System band die Umlauf-Menge der Pesos an die Menge von hereinfliessenden Dollars.
Diese Politik übergab die Kontrolle über Argentiniens Geldpolitik an Alan Greenspan, den Chef der US-Notenbank, wie der Washington Post Schriftsteller Paul Blustein bemerkte,  an den Oberaufseher des weltweiten Dollar-“Bedarfs“.
Dies kam effektiv der Dollarisierung der Landeswährung gleich.

Das US-Finanzministerium und dessen Stellvertreter, der Internationalen Währungsfonds (IWF), hatten entweder zu all diesen Maßnahmen gedrängt oder sie genehmigt.
In der Tat, auch bei der Liberalisierung der Finanzmärkte im Gefolge der asiatischen Finanzkrise von 1997-98 genannt, pries der damalige US-Finanzminister Larry Summers Argentiniens Ausverkauf seines Bankensektors als Modell für die Dritte Welt:

Heute sind volle 50 Prozent des Bankensektors, 70 Prozent der privaten Banken, in Argentinien ausländisch beherrscht, gegenüber 30 Prozent im Jahr 1994.  Das Ergebnis ist ein tiefer, effizienterer Markt, und externe Investoren werden mit einer größeren Beteiligung im Markt bleiben. „

Als der Dollar stieg im Wert, stieg auch der Peso, was argentinische Waren sowohl global als auch lokal nicht mehr wettbewerbsfähig machte. Höhere Zollschranken gegenüber den Einfuhren war keine Option wegen des Engagement der Technokraten für die neoliberale Lehre des Freihandels. Stattdessen weitete Argentinien die Kreditaufnahme stark aus, um die gefährliche Ausweitung des Handelsdefizits zu finanzieren und schraubte sich so in die Schuldenfalle. Je mehr das Land sich lieh, desto höher stiegen die Zinssätze und die internationalen Gläubiger waren zunehmend alarmiert.Das Kapital begann, das Land zu verlassen. Die ausländische Kontrolle des Bankensystems erleichterte den Abfluss von dringend benötigtem Bankkapital, das immer weniger verliehen wurde, weder an die Regierung noch an die lokalen Unternehmen.

Unterstützt durch den IWF, hielt die neoliberale Regierung dennoch weiterhin das Land in der Zwangsjacke, die das Peso-Dollar Currency Board arrangiert hatte..
Wie George Soros bemerkte: Argentinien „hat praktisch alles auf dem Altar der Aufrechterhaltung des Currency-Board-Beschlüsse und der internationalen Verpflichtungen geopfert.[Anm.: Dies vom Rothschild-General Soros ist natürlich zynisch, denn Rothschilds Mannen hatten Argentinien diesen Weg aufgezwungen)

Die Krise entfaltete sich mit erschreckender Geschwindigkeit Ende 2001 und zwang Argentinien, IWF-Unterstützung anzufragen, um die steigenden Schulden zu bedienen.
Im Gegensatz zur früheren Gewährung von Darlehen, verweigerte sich der IWF diesmal seinem Schüler , womit die Regierung vor 100.000.000.000 $ Zahlungsausfällen stand.  Unternehmen brachen zusammen, die Menschen verloren ihre Arbeitsplätze, Kapital verließ das Land  und Aufstände und andere Formen von bürgerlichen Unruhen stürzten eine Regierung nach der anderen.

Kirchners "Spiel"

Als Kirchner 2003 die Präsidentschaftswahlen gewann, erbte er ein verwüstetes Land.

Er hatte die Wahl zwischen Schuldner oder Auferstehung, indem er entweder den Interessen der Gläubiger oder der wirtschaftlichen Erholung Priorität einräumte.
Er machte das Angebot 70-75 Prozent abzuschreiben, bei einer Rückzahlung von nur 25-30 Cent auf jeden Dollar. Die Anleihegläubiger schrien auf und verlangten, dass der IWF Kirchner zur Disziplin rufe. Kirchner wiederholte sein Angebot und warnte die Anleihegläubiger, dass dies ein einmaliges Angebot sei, dass sie zu akzeptieren hätten oder sie würden jegliche Rechte auf Rückzahlung verlieren.
Er erklärte den Gläubigern, dass er seine von Armut erschütterten Argentinier nicht über noch mehr Steuern für die Schulden bezahlen lassen werde  und lud sie in sein Land den Slums zu besuchen, damit sie "Armut aus erster Hand" kennenlernen könnten. Angesichts seiner Entschlossenheit war der IWF hilflos und eine Mehrheit der Anleihegläubiger akzeptierte -wenn auch ärgerlich- seine Bedingungen.

Tatsächlich spielte Kirchner ein hartes Ballspiel nicht nur mit den Gläubigern sondern auch mit dem IWF. Er erklärte dem Fond Anfang 2004, dass Argentinien die mit $ 3300000000 fälligen Rate des IWF nicht zurückzahlen würde, falls nicht ein ähnlicher Betrag als Kreditvergabe an Buenos Aires genehmigt würde. Der IWF blinzelte und kam mit dem Geld. Im Dezember 2005 zahlte Kirchner die Schulden des Landes gegenüber dem IWF in voller Höhe und warf den IWF aus Argentinien hinaus.

Seit über zwei Jahrzehnten, seit der Dritten Welt Schuldenkrise in den frühen 1980er Jahren hatten die Regierungen der Entwicklungsländer überlegt, sich den Gläubigern zu widersetzen. Es hatte ein paarmal nahezu unbemerkt Zahlungsverzug gegeben, aber Kirchner war der erste, der öffentlich den Kreditgebern mit einem einseitigen Schnitt drohte und der das Ganze auch zu Ende brachte.

Stratfor, das politische Risiko-Analyse-Unternehmen wies auf die Folgen seines Drahtseilakts hin:

"Wenn Argentinien sich erfolgreich von seinem privaten und multilateralen Schulden frei macht -in dem Sinne,dass es nicht zusammenbricht, wenn es nach Abweisung aller Verbindlichkeiten nicht von allen internationalen Märkten abgeschnitten wird  dann könnten andere Länder bald den gleichen Weg gehen.
Dies könnte das Ende bedeuten für das wenige, das an institutioneller und geopolitischer Bedeutung des IWF noch geblieben ist. "

Und in der Tat hat Kirchner's Handeln zur Erosion der Glaubwürdigkeit und der Macht des Fonds in der Mitte dieses Jahrzehnts beigetragen.

Die Erholung

Argentinien ist nicht zusammengebrochen. Stattdessen wuchs es um beachtliche 10 Prozent pro Jahr über die nächsten vier Jahre. Das war kein Wunder.
Eine zentrale Ursache für die hohe Wachstumsrate waren die finanziellen Mittel, welche die Regierung in der Wirtschaft reinvestierte anstatt sie als Schuldendienst außer Landes zu schicken. Kirchners historische Schulden-Initiative wurde von anderen Aktionen begleitet um die Fesseln des Neoliberalismus abzuwerfen: die Akzeptanz einer kontrollierten Schwankung des Argentinischen Peso, heimische Preiskontrollen, Export-Steuern, eine starke Erhöhung der öffentlichen Ausgaben und durch Kappung der Steuern auf Dienstleistungen.

Und Kirchner beschränkte seine Reformen nicht nur auf den Inlands-Bereich.
Er betrieb hochkarätige Initiativen mit anderen fortschrittlichen Führern in Lateinamerika wie den Niedergang des von Washington gesponserten Free Trade of the Americas und trieb Bemühungen an für eine größere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit.
Sinnbild für diese Allianz war Venezuelas $ 2400000000 Kauf von Argentinien-Anleihen, die es Argentinien möglich machten, alle Schulden des Landes gegenüber dem IWF auszuzahlen.

Zusammen mit Hugo Chavez in Venezuela, Lula in Brasilien, Evo Morales aus Bolivien und Rafael Correa in Ecuador, war Kirchner einer von mehreren bemerkenswerten Führern, die die Krise des Neoliberalismus in Lateinamerika hervorgebracht hat.

Mark Weisbrot, der Kirchner's kontinentale Bedeutung erkannte, schreibt, dass Kirchner's Aktionen "ihm in der Regel in Washington und in internationalen Wirtschaftskreisen nicht viele Freunde geschaffen haben , aber die Geschichte wird ihn nicht nur als großen Präsidenten anerkennen, sondern auch als Unabhängigkeits-Helden Lateinamerikas"