Argentinien im Würgegriff von Hedgefonds

Von Aristo
Die Crew sitzt in einem afrikanischen Hafenbecken fest. An Bord des argentinischen Schulschiffs „Libertad“ (Freiheit) wird das Trinkwasser knapp, das Essen verschimmelt bei 38 Grad im Schatten. Der Gesundheitszustand der Mannschaft verschlechtert sich zunehmend. Die Crew ist in Geiselhaft geraten. Aber nicht somalische Piraten sind die Geiselnehmer, sondern ein US-amerikanischer Investor, dessen Hedgefonds „NML Capital“ die souveräne Regierung des südamerikanischen Staates erpresst.
Im Hafenbecken der ghanaischen Stadt Tema wacht die korrupte Hafenbehörde peinlich genau darüber, dass die „Libertad“ die Mole nicht verlässt.
Sie handelt im Auftrag eines promi- nenten Gläubigers: Paul Singer, dessen 1977 gegründeter Fonds Elliott Capi- tal Management, zu dem NML gehört, rund 20 Milliarden US-Dollar verwal- tet und eine durchschnittliche Rendite von 14 Prozent erwirtschaftet hat, nutzt alle Register skrupelloser Geldeintreiber. Er lässt weltweit Auslandskonten, Grundstücke, Botschaftsgelände, Appartements, Häuser und Büromöbel aufspüren und beschlagnahmen, die dem Staat Argentinien gehören. Schon sitzt ein zweites Schiff aus argentinischem Staatsbesitz in einem südafrikanischen Hafen fest, und Paul Singer verkündet vor der Presse, er würde auch vor der Beschlagnahmung der argentinischen Air Force One nicht zurückschrecken. Selbst der argentinische Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse wurde von Singers Anwälten belagert.
Vor einem Gericht in New York hat er im Dezember 2012 bereits einen spektakulären Prozess gegen die Regierung von Cristina Fernández Kirchner gewonnen. Argentinien wird in dem Urteil ultimativ aufgefordert, Forderungen des Klägers in Milliardenhöhe umgehend zu begleichen. Nicht gerade ein salomonisches Urteil: Das vitale Überlebensinteresse von 42 Millionen Argentiniern wird hinter das Profitinteresse einiger superreicher Investoren gerückt. Es geht um mehr als nur Paul Singer gegen Argentinien. Haben einzelne Investoren das Recht, Einkommenseinbußen, die aus den Entscheidungen souveräner politischer Institutionen hervorgehen, einzuklagen? Während der sonst so beschaulichen Weihnachtszeit tobten in Argentinien Plünderungen, Streiks und Demonstrationen, welche die rigide Austeritätspolitik und das Schuldenmanagement der Regierung unter dem Diktat der Ratingagenturen und internationaler Kreditgeber ausgelöst haben.
Alte Rechnungen
Es geht um alte Staatsschulden aus der Zeit der argentinischen Finanzkrise vor 12 Jahren. Das Land stand damals am Abgrund. Schwere Unruhen erschüt- terten die Hauptstadt Buenos Aires. Argentinien, der Musterschüler des Internationalen Währungsfonds, hatte mit dem Projekt, den Wert der heimischen Währung an den US-Dollar zu koppeln, Schiffbruch erlitten. Regierungen wechselten im 14 Tage-Rhythmus, die Banken montierten dicke Stahlplatten vor den Portalen mit der Aufschrift „banking holidays“ und auf dem Wo- chenmärkten wurde die Tauschwirtschaft eingeführt.
Neureiche Investmentbanker und Devisenspekulanten reisten wie Aasgeier nach Argentinien, um dort notleidenden Mittelschicht-Familien antiquarisches Tafelsilber, Porzellan und Geschmeide aus der großen Zeit des Landes, als Argentinien noch zu den fünf reichsten Staaten der Erde zählte, zu Spottpreisen abzukaufen. Damals traf die erste stabile peronistische Regierung nach den politischen Wirren der Finanzkrise die ein- zig richtige Entscheidung. Sie warf die „Experten“ des IWF aus dem Land und verkündete ein einseitiges Schuldenmoratorium: Bis auf weiteres werde Argentinien alte Forderungen nicht bedienen. Das war ein Tabubruch, den die Rating- Agenturen mit einem eindeutigen „D“ wie „default (gescheitert) goutierten. Ursprünglich als „Staatsbankrott“ gebrandmarkt, entwickelte sich der argentinische Weg nach und nach zu einem geordneten Verfahren staatlicher Insolvenz.
No pagaran!
Der argentinische Weg

In der Folgezeit erholte sich Argentinien rasch von der Finanzkrise der Jahre 2000/2001. Der überstürzte Zusammenbruch des Bruttoinlandproduktes mit zweistelligen Schrumpfungsraten kam zum Stillstand. Ein stetiger Aufschwung, getragen von steigenden Exportpreisen für Agrarrohstoffe und einer stabilen Binnenkonjunktur, überstand selbst die Wirren der gegenwärtigen Finanzkrisen seit 2008. Die peronistische Wirtschaftspolitik erhielt sogar Lob vom „Erzfeind“ IWF. Argentinien kehrte an den offiziellen Kapitalmarkt zurück und konnte mit Hilfe internationaler Garantien neue Kredite aufnehmen. Mit verschiedensten privaten und öffentlichen ausländischen Kreditgebern wurden im Pariser und Londoner Club Moratorien, Umschuldungen, Haircuts und konkrete Rückzahlungsziele vereinbart.
Diese Abkommen, insbesondere die Vereinbarungen des Pariser Clubs, der offizielle staatliche Gläubiger repräsentiert, und des Londoner Clubs, dem etwa 1.000 private Geschäftsbanken angehören, die schon seit der mexikanischen Schuldenkrise von 1982 die Modalitäten für notleidende Staatsschulden managten, haben zwar im Internationalen Privatrecht keine juristisch verbindliche Konsequenz, sie sind aber in Ermangelung einer finalen völkerrechtlichen Instanz internationales Quasi-Recht. Solche Clubs und Foren sind heute ein unverzichtbarer Baustein der internationalen Finanzmarktregulierung. Ihre Erfahrungen und Gewohnheitsrechte konnten auch in der aktuellen Schuldenkrise genutzt werden.
Offizielle Geschäftsbanken und viele private Gläubiger, die auf den alten argentinischen Staatsanleihen sitzen geblieben sind, haben ihre Forderungen in einer Höhe von fast 100 Milliarden US- Dollar in der Bilanz längst abgeschrieben und sich von den Papieren getrennt. Die argentinische Finanzwelt wäre also in Ordnung – wenn da nicht die Hedgefonds wären.
Das zweite Leben der argentinischen Bonds
Hedgefonds und waghalsige Spekulanten treiben mit den alten Argentinienpapieren wie mit abgelegten Kleidern eine Art von Second Hand-Geschäft. Die Anleihen selbst, sowie zahlreiche derivative Produkte, die sich auf Argentinienanleihen beziehen, sind nämlich nicht vom Finanzmarkt verschwunden. Sie werden nach wie vor an vielen Börsen gehandelt. So kann man auf der Webseite der Stuttgarter Börse das zum Teil lebhafte Auf und Ab alter Argentinienanleihen beobachten. Je nach Nachrichtenlage und spekulativen Gerüchten schwanken die Titel zwischen 15 und
35 Prozent ihres Nominalwertes, eine Bandbreite, die wir auch bei griechischen Staatsanleihen vorfinden.
Wer etwa im November 2012 eine zehnjährige D-Mark-Anleihe Argentiniens aus dem Jahr 1996 erwarb (die eigentlich 2006 fällig gewesen wäre und nun zum 1. Januar 2050 fiktiv gelistet ist), musste Anfang Dezember 2012 rund 150 Euro (15% des Nominalwertes) bezahlen. In der Folge der Nachrichten um die dreisten Inkassotricks des amerikanischen Hedgefonds NML stieg der Kurs explosionsartig an und notierte vor Weihnachten mit 320 Euro (32 %) – ein Gewinn von mehr als 100 Prozent in weniger als drei Wochen!
Dies ist das räuberische Umfeld für Finanzhaie vom Schlage eines Paul Singer. Sein Hedgefonds gehörte nie zu den Geschädigten der Argentinienkrise von 2000/2001. In Ermangelung lukrativer Anlagen auf den überkauften Rohstoffmärkten wechselte der Fonds seit geraumer Zeit sein Anlageportfolio. Er kaufte in gigantischem Umfang alle Schrottanleihen von den Gläubigern Argentiniens, die er bekommen konnte. Als er am Ende einen Nominalwert zusammengerafft hatte, dessen Höhe die Kosten einer Klage durch eine der auf Finanzmarktklagen spezialisierten Anwaltskanzleien an der amerikanischen Ostküste rechtfertigte, zog Paul Singer gegen den Staat Argentinien zu Felde.
Als Gerichtsort wählte er den finanzmarktfreundlichen Standort Big Apple. Dort hat sich schon mancher Bezirksrichter zum Erfüllungsgehilfen vermögender Gläubiger hochgearbeitet. Unterstützt wird das juristische Ränkespiel durch einen Modus im Case Law, dem angelsächsischen Richterrecht. Danach ist es einem Gläubiger mit staatsanwaltlicher Unterstützung sogar möglich, Besitztümer des Schuldners bis zur gerichtlichen Klärung der Sachlage zu konfiszieren und einzufrieren (Mareva injunction, 1975).
Offshore residieren, Onshore klagen
NML Capital schert sich überhaupt nicht um die Ergebnisse der zähen Verhandlungen Argentiniens mit privaten und öffentlichen Gläubigern, die Argentinien in den vergangenen Jahren Ruhe an der Zinsfront beschert und eine geordnete Staaten-Insolvenz als Instrument der Finanzmarktregulierung hoffähig gemacht hatten. Diese Ignoranz entspricht durchaus der Philosophie von Hedgefonds. Sie meiden Regulierung wie der Teufel das Weihwasser. Sie tummeln sich vorzugsweise in rechtsfreien Räumen und keh- ren immer nur dann unter den Schutzschild des Gesetzes zurück, wenn es den Profitinteressen nutzen könnte.
So residiert NML Capital im Offshore- Finanzzentrum Zypern, um dessen Staatsschulden es momentan auch nicht zum Besten steht. Neben dem Firmenschild in Limassol finden sich diverse Adressen russischer, rumänischer und karibischer Herkunft, Steuerkanzleien, Trusts und Briefkastenfirmen mit windigen Bezeichnungen wie die Cyprus Incorporation, Kimberlite Management, Fiduciara, World Systems Market oder ACP Capital Limited.
Den mühsam erreichen Schuldenschnitt für Argentinien, dem in den vergangenen Jahren immerhin 91 Prozent aller Gläubigerbanken zugestimmt hatten, ignorieren einige Hedgefonds beharrlich. Schlimmer noch. Wenn es nach dem in New York gefällten Urteil ginge, dürfte keines der fast 1.000 Kreditinstitute, die dem Schuldenschnitt zugestimmt hatten, eine Zinszahlung oder Entschädigung erhalten, solange nicht die Forderungen von Elliott Capital Management erfüllt sind. Singer würde demnach das Recht zustehen, seine auf dem Gebrauchtmarkt zu Spottpreisen erworbenen argentinischen Schuldtitel nun prioritär, also vor allen anderen Gläubigern einzulösen, in voller Höhe, einschließlich angefallener Zinsen und ohne jeden Abschlag. 1,33 Milliarden US-Dollar, die Mitte Dezember 2012 fällig waren, sollten so direkt aus der argentinischen Staatskasse in die Hände des Hedgefonds fließen.
Dies ist ein Affront gegen die argentinische Regierung und gegen alle am Schuldenmanagement beteiligten Gläubiger: Deren Aussichten auf eine wenigstens teilweise, zeitlich gestreckte Rückzahlung der ausstehenden Forde- rungen, die sich mit dem Tausch alter Bonds gegen neue Staatanleihen mit der wirtschaftlichen Genesung des Landes verbessert hatten, sind nun schlechter als vor den Verhandlungen. Die Botschaft aus dem New Yorker Gerichtssaal lautet: Es lohnt sich, internationale Abkommen zu torpedieren.
Kursmanipulation
Die Aussichten, dass Elliott Capital tatsächlich den Nominalwert der Schrottanleihen einschließlich der angefallenen Zinszahlungen erhalten wird, sind eher gering. Das ist aber wohl auch nicht die Strategie des Hedgefonds. Vielmehr diente die medienwirksame Kampagne gegen den argentinischen Staat nebst Gerichtsverhandlung und den spektakulären Beschlagnahmungen hauptsächlich einem Ziel: Die Kurse der zuvor erworbenen, nahezu wertlosen alten Staatsanleihen sollten mit Phantasie ge- füllt werden, wie es in der Börsenspra- che heißt. Dies ist Paul Singer wohl gelungen. Sollte er die Bonds bis zu einem Revisionsverfahren abgestoßen haben, dürften sich die superreichen Investoren, deren Gelder von Singer verwaltet wer- den, satter Gewinne erfreuen.
Die Rechnung dürfte aufgehen. Sofort nach der Verkündigung des Urteils des New Yorker Bezirksrichters Griesa fielen die Kurse aller argentinischen Staatsanleihen um rund 15 Prozent. Das Länderrating Argentiniens wurde von der Agentur Fitch von B auf CC gesenkt. Im Gegenzug erreichten die Kurse der alten, mit D wie default bewerteten Schrottanleihen ein Jahreshoch. Die große Scharkompromissbereiter Gläubigerbanken, die alte Bonds gegen neue eingetauscht hatten, wird das Nachsehen haben. Noch schlimmer wird es für Argentinien kommen. Nach Jahren relativer Ruhe und Stabilität haben die juristischen Winkelzüge US-amerikanischer Hedgefonds ein Gespenst zum Leben erweckt, das über ein Jahrzehnt hinweg verschwunden war – die argentinische Krankheit.
Bislang hat die ebenso charismatische wie technokratische Regierungder Kirchners ihre breite Zustimmung beim Wahlvolk vor allem dem Nimbus zu verdanken, dass man Argentinien ohne und gegen die Interessen des IWF und der internationalen Gläubigergemeinschaft verteidigen konnte. Sollte die argentinische Regierung nun unter verstärkten juristischen Druck geraten, ehemalige Gläubigerforderungen auch nur teilweise, aber mit sofortiger Wirkung zurückzuzahlen, könnte sich der Wählerbonus für Frau Fernandez de Kirchner schnell in einen Malus verwandeln.
Das Ergebnis wäre eine fatale Rückkehr politischer Instabilität und des monetären Chaos, das die Geschichte Argentiniens immer wieder begleitet hat. Dieses Mal aber wäre der Absturz nicht hausgemacht. Argentiniens Wirtschaft blüht, die Konjunktur floriert und die Finanzlage des Staates ist so gut wie selten in den vergangenen 50 Jahren. Dieses Mal sind es die Anwälte geldgieriger Hedgefonds, die sich über alle internationalen Gepflogenheiten hinweggesetzt und die erfolgreich ein Klima der Unsicherheit herbeigeredet haben, um sich an Kursschwankungen zu bereichern.
Die ersten Vorboten des Chaos haben Argentinien zum Weihnachtsfest erreicht. Frustrierte Bewohner der Armenviertel in dem patagonischen Touristenort Bariloche gaben ihren Unmut über die soziale Schieflage Ausdruck und plünderten hunderte Geschäfte in der Innenstadt. Binnen kurzer Zeit griffen die Unruhen auf das ganze Land über. Dabei traf es vor allem Geschäfte chinesischer Einwanderer. Eine Aggressionskette, die in einem New Yorker Gerichtgebäude begann, endete im Süden Argentiniens mit Gewaltexzessen gegen Immigranten.
Es wird Zeit, schreiben nicht nur die argentinischen Tageszeitungen, dem chaotisierenden Handeln von unregulierten Finanzmarktakteuren Einhalt zu gebieten. Deren Attacken machen nicht nur hausgemachte Finanzkrisen zu Billionenproblemen wie gerade im Falle Griechenlands, sie können auch derzeit relativ stabile Ökonomien wie Argentinien in finanzielle Wackelkandidaten verwandeln. Als eine erste Maßnahme sollte man mit der Trockenlegung besonders lascher Steueroasen beginnen, die Hedgefonds als Ausgangsbasis und Rückzugsort für ihre intransparenten Geschäfte dienen. Vielleicht könnte man die „Rettung“ des in Kreditnot geratenen Zypern mit diversen Auflagen verbinden, die dem Treiben von Offshorefirmen in Larnaka und Limassol ein Ende bereiten.
Argentinien ist derzeit um Schadensbegrenzung bemüht. Eine Pressekonferenz in New York zum Jahresbeginn soll die Position und die Interessen des Staates in den US-Medien darlegen. Dabei müssen die argentinischen Beamten mit größter Vorsicht agieren. Möglicherweise stürmen Paul Singers Inkassoanwälte die Veranstaltung und beschlagnahmen die Mikrofone und die Informationsbroschüren: argentinischer Staatsbesitz.
Mit freundlicher Genehmigung von Business Crime Control.
Stephan Hessler ist Hochschullehrer für Volkswirtschaft und BCC-Vorsitzender.
Links:
http://law.justia.com/cases/federal/appellate- courts/ca2/11-4065/11-4065-2012-08-20.html
http://hsf-arbitrationnews.com/2012/10/30/ nml-capital-and-argentina-ghanaian-court- rejects-argentinas-sovereign-immunity-chal- lenge-and-nml-capital-targets-second-ves- sel-in-south-africa/
http://www.forbes.com/sites/afontevec- chia/2012/10/05/the-real-story-behind-the- argentine-vessel-in-ghana-and-how-hedge- funds-tried-to-seize-the-presidential-plane/
http://www .wsws.or g/en/arti - cles/2012/12/11/hedg-d11.html
http://www.businessweek.com/news/2012-
11-06/nml-capital-asks-for-expedited-ruling- on-argentine-bonds
http://buscador.clarin.com/paul%20singer http://www.ieco.clarin.com/economia/Corte-
Belgica-fallo-fondo-NML_0_830916951.html
Dieser Artikel erscheint auch in der nächsten Ausgabe von BIG.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Bleiben Sie informiert und abonnieren den Newsletter.
Newsletter abonnieren:
Ab sofort sind weiter unten wieder Kommentare ohne Anmeldung möglich.