Hörst du mich? Ich sitze an deinem Bett, die ganze Nacht, und rede mit dir, und ich weiß nicht, ob es noch bei dir ankommt. Ludwig, was hast du getan?
Acht Monate waren Anna und Ludwig ein Paar, bis beide feststellen, dass sie nicht zusammenpassen, dass ihre beiden Welten nicht kompatibel sind. Anna ist geprägt vom Schmerz ihrer Kindheit, dem Selbstmord des Vaters, die Sorge um die pflegebedürftige Mutter im Altersheim, den Erinnerungen an ihre Zeit in Südafrika. Sie schleppt so viel mit sich rum, dass für eine Beziehung eigentlich kein Platz mehr ist. Sie sucht einen Platz, an dem sie all das abladen kann, doch in Ludwigs heiler Welt, in der sich alles nur um die richtige Karriere und den richtigen Style dreht, die richtigen Freunde und den schönen Schein, ist dafür kein Platz. Bis auch bei Ludwig etwas aus dem Ruder läuft. Er nimmt Schlaftabletten.
Und endlich findet Anna Platz für ihren Schmerz. Ludwig liegt verletzlich wie nie neben ihr und sie erzählt. Wo sie ihn im ersten Teil des Romans noch persönlich anspricht, jedes Detail des Zimmers aufsaugt und weitergibt, entfernt sich Anna im zweiten Teil immer mehr von Ludwig, aber auch von sich selbst. Ein neutraler Erzähler spricht über Anna und ihr Leben, ihre Besuche im Altersheim. Wo mir Anna zu Beginn noch so nah ist, entfernt sie sich immer weiter von mir. Ihre Beichte wird zu einem bloßen Lebensbericht, dem die Intensität fehlt.
Die Zweiteilung des Romans, der Bruch zwischen den Erzählperspektiven schadet meiner Meinung nach mehr, als dass er nützt. Denn der erste Teil ist unglaublich intensiv erzählt und eindringlich, er nimmt eine Situation unter die Lupe und lässt mich genau hinschauen, er verbreitet eine Stimmung, die gleichzeitig Ruhe und Anspannung ist. Dazu passt auch die direkte Ansprache des Geliebten, die die Erzählerin wählt. Sie erzählt es so nicht nur Ludwig, sondern auch mir, sie erzählt es jedem – und genau wie Ludwig kann ich nicht anders als zuzuhören.
Doch dann driftet meine Aufmerksamkeit im zweiten Teil langsam und stetig ab. Dazu tragen auch die jähen Zeitsprünge in der Erzählung bei, plötzlich fehlt die Ruhe im Ton, es wird mir zu hektisch, zu sprunghaft. Ich wünsche mich in die Nacht zurück, mit Anna an meinem Bett.
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten, erschienen bei Kunstmann, September 2012.
ISBN: 978-3888977756
Normalerweise würde ich hier meine Bewertung in Sternen zum Ausdruck bringen – in diesem Fall kann ich mich nicht zwischen 5 Sternen für den ersten Teil und 3 Sternen für den zweiten Teil entscheiden. Im Schnitt wären das 4 Sterne – aber ich mag keinen Durchschnitt.