Arcade Fire: Zu wahrer Größe

Arcade Fire: Zu wahrer GrößeArcade Fire
„Reflektor“

(Universal)
Okay, die Versuchung war schon groß, im entscheidenden Augenblick einfach die Klappe zu halten, nichts mehr zu sagen zu einem Album, dass wie keines zuvor in den letzten Jahren gepusht worden war, wo jeder noch so kleine Soundschnipsel, jede verschlüsselte Videobotschaft immer wieder auf‘s Neue eine unglaubliche Hysterie auslöste, schon Stunden später wieder getoppt von der nächsten Meldung, dem neuesten Gerücht. Jede, jedes, jeder machte mit: Arcade Fire – Disco? Wahnsinn! James Murphy produziert? Echt? Hammer! Reflektor? Genial! Doppelalbum? O!M!G! Nicht zu fassen, alles am durchdrehen – und morgen ist auch noch ein Tag? Ging natürlich nicht mit dem Schweigegelübde, hatte man ja vorher auch schon zu viel Arbeit reingesteckt, selbst Blog und Tweets gefüttert, jetzt konnte man es auch noch mit Anstand zu Ende bringen.
Und feststellen, dass dieses Album ein wirklich großes, wenn auch sperriges geworden ist, eines, dass den konventionellen Rahmen sprengt, ein Bastard, ein Chamäleon, ein Grenzgänger. Irgendwo stand zu lesen, es würden Wetten abgeschlossen, wie lange wohl James Murphy brauche, um das Ende seiner so hymnisch gelobten Band LCD Soundsystem wieder zu kassieren, um abermals in den Ring zu steigen – hört man sich diese Platte, die natürlich auch seine ist, an, muss die Frage vielmehr lauten: Warum in Gottes Namen sollte er etwas derart Vorhersehbares wie den Rücktritt vom Rücktritt verkünden, wenn er doch eine ohnehin schon fabelhafte Band wie Arcade Fire, die mit dem letzten Album „The Suburbs“ schon im Rockolymp angekommen schien, wenn er deren Sound so gnadenlos umkrempeln, sie in Grenzbereiche führen durfte? Was kann jemanden wie ihn denn mehr herausfordern, mehr reizen als diesen kanadischen Kreativhaufen auf seine Art zu domestizieren?
Progpop, Psychodance, was auch immer man hier hört, es wächst und wuchert, es federt und pulsiert und kennt kein Erbarmen. Die Band mischt angstfrei die Stile der letzten drei, vier Dekaden, funky Gitarren, wilde Afrobeats, Steeldrums, bratzige Analogsynthies, kaum ein Song, der sich mit einem einzigen Sound zufrieden gibt. Schon der Titeltrack war ein gradioses Gemisch aus Disko, Funk und Indierock, einzig die Talking Heads möchte man als Blaupause gelten lassen, deren ausgelassene Energie hat hier Schule gemacht. „Here Comes The Night Time“ zuckt schweißtreibend unter der Glitzerkugel, „Normal Person“ drängelt, schiebt, hypnotisch sowieso, Teil eins kulminiert im krachenden „Joan Of Arc“, fetter Bass, Chöre und – sie lassen nichts aus – Gainsbourg auf Speed, geht’s noch besser?
Zumindest monströser, Teil zwei führt hinab in die griechische Sagenwelt (auch wenn’s hier wohl der stickige, hoffnungslos überfüllte Großstadtclub, ein anderes Wort für Hölle, bleibt), Orpheus und Eurydike, don’t look back! – Rockungetüme, stampfende Drums, die später verschwommenen Klanggebilden weichen, nur noch dunkel pumpend. Nach dem überhitzten „Porno“ noch einmal Beats per Minute und Disko mit „Afterlife“, danach ist Schluß mit lustig, ganze elf Minuten darf sich „Supersymmetry“ Schicht um Schicht nach oben arbeiten. Nur wer sich seiner Sache sehr sicher ist, wer weiß, dass hier die üblichen Kategorien nichts mehr zählen, der setzt den Punkt auf diese Weise. Unabhängig davon, wieviel am Ende Band und Produzent in dieses Album investiert haben, wem also der größere Anteil zufällt, ohne Zweifel war die gemeinsame Sache eine lohnende. Vielleicht werden sich Arcade Fire mit „Reflector“ nicht so anstandslos wie mit dem Vorgänger in die Herzen ihrer Fans spielen, eine richtig große Band sind sie erst mit diesem Werk geworden. www.arcadefire.com
Der erste Komplett-Teaser seiner Art - auch das nur konsequent:

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