Vor gar nicht allzu langer Zeit stolperte ich bei der Recherche zu einem Wirtschaftsthema über einen Wirtschaftskalender. Anders als der Name suggeriert, waren darin nicht verschiedene Termine eingetragen, sondern aktuelle Daten und Infos zu Ereignissen am Tag, unter anderem die Arbeitslosigkeit. Weil als Quelle die Bundesbank angegeben war, machte ich mich auf die Suche nach der wahren Quelle, denn in Deutschland erheben vor allem die Bundesagentur für Arbeit und das Statistische Bundesamt Daten zu diesem Thema. Dabei fiel mir auf, wie weit die Daten der beiden Institutionen auseinander liegen.
Höhe der Unterbeschäftigung im engeren Sinn (grün, BA), der Arbeitslosigkeit (blau, SGB III) und der Erwerbslosigkeit nach ILO-Kriterien (rot). Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt
Ich meinte nämlich mich zu erinnern, dass sich die Arbeitslosigkeit, nach den im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) festgeschriebenen Kriterien und die Erwerbslosigkeit nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sich zwischenzeitlich angeglichen hatten. Lange Zeit gehörte Deutschland zu den wenigen Ländern, in denen die nationale Arbeitslosenquote trotz aller Ausnahmeregeln über der internationalen lag. Schon vor einiger Zeit hatte ich ja mal was zu dem Thema geschrieben. Dann aber schaffte die große Koalition neue Ausnahmen und beide glichen sich an.
Die Bundesagentur für Arbeit führte daraufhin eine eigene Quote ein. Diese Unterbeschäftigung enthält auch Teilnehmer an Arbeitsmarktmaßnahmen oder beispielsweise Ältere, die aufgrund von Sonderregelungen vom Gesetzgeber nicht mehr als arbeitslos gewertet werden. Es gibt sogar noch eine weitergehende Definition, die auch geförderte Selbständige oder Ältere in der Freistellungsphase der Altersteilzeit sowie Kurzarbeiter mit einschließt, diese Definition halte ich aber für zu weit gehend. Das ist die oberste Linie in der Grafik. Sie hat aber nur halboffiziellen Charakter, weil sie zwar von einer Behörde erhoben wird, aber im Gegensatz zur offiziellen Arbeitslosenquote nicht auf einem Gesetz beruht.
In letzter Zeit haben sich allerdings Arbeitslosigkeit nach nationalen und Erwerbslosigkeit nach internationalen Kriterien wieder auseinanderentwickelt. Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen.
1. Weniger Entlastungswirkung durch Arbeitsmarktmaßnahmen:
Der Vergleich der Arbeitslosigkeit mit der Unterbeschäftigung zeigt, dass weniger Menschen lediglich aufgrund von Sonderregelungen oder Arbeitsmarktmaßnahmen nicht arbeitslos gezählt werden. Diese Menschen waren bisher nicht arbeitslos gemeldet. Das erhöht die Arbeitslosigkeit oder verringert zumindest den Rückgang. Auf die Erwerbslosigkeit ist die Auswirkung geringer, weil hier grundsätzlich jeder gezählt wird, der keine Arbeit hat, aber welche sucht (die genauen Kriterien lassen sich hier nachlesen).
2. Teilzeitjobs:
Laut ILO-Kriterien gilt jeder als erwerbstätig, der mindestens eine Stunde in der Woche arbeitet. Das SGB III (und auch die Unterbeschäftigungsstatistik) ziehen die Grenze dagegen bei 15 Stunden. Wer also eine Arbeit mit zehn Stunden pro Woche gefunden hat, der gilt nach den Kriterien des SGB III noch als arbeitslos, in der ILO-Statistik dagegen als erwerbstätig.
Allerdings betrifft das vor allem die geringfügig Beschäftigten. Deren Zahl ist tatsächlich in den vergangenen elf Jahren überdurchschnittlich stark angestiegen, allerdings vor allem in den Jahren 2003 bis 2005. Alleine von Juni 2003 bis Juni 2004 stieg sie um 17,9 Prozent, während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um 1,5 Prozent sank. Im hier relevanten Zeitraum ab 2011 ist sie dagegen weniger stark gestiegen als die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
3. Kriterium aktive Suche:
Als erwerbslos nach ILO-Kriterien gilt nur, wer in den vergangenen vier Wochen auch aktiv gesucht hat. Diese Klientel profitiert natürlich auch stärker von neue Jobs. Die offizielle Statistik enthält dagegen auch Menschen, die entweder keine Arbeit wollen (sich aber um Leistungen zu erhalten arbeitslos melden müssen) oder die bereits aufgegeben haben und deshalb nicht mehr suchen. Daher ist zu erwarten, dass diese Zahl weniger auf Veränderungen am Arbeitsmarkt reagiert.
4. Mehr Meldungen
Die bessere Arbeitsmarktlage könnte dazu geführt haben, dass sich mehr an Arbeit interessierte Menschen auch arbeitslos melden. Die Stille Reserve, also jene, die sich nicht beim Jobcenter oder der Agentur für Arbeit melden, wirkt sich aber auch auf die ILO-Quote aus. Zwar werden dort diese Menschen prinipiell erfasst, da die Daten durch eine Umfrage erhoben werden, allerdings könnte es sei, dass sie ihre Suche einstellen, weil sie keine Hoffnung auf einen Job haben. Damit gelten sie nicht mehr als erwersbslos.
Deshalb dürfte wohl der erstegenannte Faktor der wichtigste sein. Am höchsten bleibt natürlich die Unterbeschäftigung, das ist aber auch kein Wunder. Weil alle Arbeitslosen dort mitgezählt werden und zusätzlich noch weitere Gruppen, kann sie nicht niedriger als die offizielle Arbeitslosenquote liegen. Würde die Regierung alle Sonderregeln abschaffen, lägen beide bestenfalls gleichauf.