1930. Ein Jahr nach dem Beginn der verheerenden Weltwirtschaftskrise ist Österreich immer noch getroffen. Die allgemeine Schwäche der Parteien bietet fruchtbaren Nährboden für scheußlich-radikale, politische Gewächse. Während die Sozialisten versuchen, sich neu zu positionieren nähern sich Christlichsoziale immer mehr den Faschisten an. Auf der Straße marschierende Nationalsozialisten sind inzwischen keine Seltenheit mehr – manche Menschen folgen ihnen – andere betrachten diese Bewegung mit Skepsis. Die NSDAP propagiert, sie würde Arbeitsplätze schaffen können, doch ob und wie sich das in der Praxis tatsächlich bewährt bleibt fraglich. Nichtsdestotrotz scheint ihre Strategie aufzugehen, Juden die Schuld der schlechten Lage zu geben und ihre Deportation zu fordern.
1930 ist lange vorbei. Meine Generation wurde vom „Nie wieder“ geprägt, von zahlreichen Diskussionen, in denen noch so oft bestätigt wurde, dass sich der Holocaust weder wiederholen kann, noch dass er sich jemals wiederholen wird.
Warum schreibe ich also über 1930?
Weil mir die Ideen ausgegangen sind? Weil ich die ÖVP auffordere, sich wieder an christlichsozialen Werten zu orientieren? Oder weil es die Sozialisten/Sozialdemokraten bis heute nicht geschafft haben, sich nach den Erfolgen (Versicherungen für Arbeiter, etc) neu zu positionieren?
Heute, lieber Leser, spielen wir etwas.
Die Regeln sind einfach und recht schnell erklärt:
- Man nehme den vorher geschriebenen Ausschnitt über 1930
- Man ersetze bestimmte Wörter mit anderen.
- Die Wörter, die zu ersetzen sind, gebe ich vor, was man einsetzt, sei dem geneigten Leser zu überlassen
- Die Wörter sind:
- 1930
- Österreich (kann aber auch gelassen werden)
- Sozialisten (ebenfalls – die Trennung zwischen Sozialisten und
Sozialdemokraten erfolgte nicht überall in der Welt. In Portugal sind bspw.
die Sozialdemokraten die Konservativen…) - Christlichsoziale
- Nationalsozialisten
- NSDAP
- Juden
Nur so eine Idee: Man könnte 1930 durch 2010 ersetzten, NSDAP durch FPÖ und Juden mit Ausländern. Aber das ist nur eine Idee.
Ich würde den Text folgendermaßen ändern:
2010. Ein Jahr nach dem Beginn der verheerenden Weltwirtschaftskrise ist Ungarn immer noch getroffen. Die allgemeine Schwäche der Parteien bietet fruchtbaren Nährboden für scheußlich-radikale, politische Gewächse. Während die Sozialisten versuchen, sich neu zu positionieren nähern sich Konservative (Fidesz) immer mehr den Faschisten an. Die auf der Straße marschierende Ungarische Garde (von Jobbik) sind inzwischen keine Seltenheit mehr – manche Menschen folgen ihnen – andere betrachten diese Bewegung mit Skepsis. Jobbik propagiert, sie würden Arbeitsplätze schaffen können, doch ob und wie sich das in der Praxis tatsächlich bewährt bleibt fraglich. Nichtsdestotrotz scheint ihre Strategie aufzugehen, Juden und Zigeunern die Schuld der schlechten Lage zu geben und ihre Deportation zu fordern.
Der Mario ist ein linker Gutmensch, Jobbik ist nicht die NSDAP und mit den Zigeunern gibt es doch wirklich Probleme.
Die Rechtsextremen von Nebenan. Und immer einen frischgepressten Orangensaft dabei
Mag sein. Nur gestatte man mir zumindest die Möglichkeit Einwände zu formulieren:
- Wenn die Integration der Roma in die Gesellschaft nicht funktioniert, so ist dies ein Zeichen dafür, dass im Staat etwas nicht rund läuft
- Ungarn hat traditionell eine verhältnismäßig gute Beziehung zu den Roma und es wurden genug brauchbare Lösungen propagiert und geplant;
die jedoch nicht durchgeführt wurden - Eine Studie hat belegt, dass es Ungarn billiger kommen würde,
wenn es Roma integrieren würde und Bildungsangebote für sie zur Verfügung
stellen würde, als beim nicht zufriedenstellenden Status Quo zu verweilen
- Ungarn hat traditionell eine verhältnismäßig gute Beziehung zu den Roma und es wurden genug brauchbare Lösungen propagiert und geplant;
- Es gibt unübersehbare Parallelen zwischen der SA/SS und der Ungarischen Garde von Jobbik – dies steht außer Zweifel
- Jobbik ist im Parlament. Aufschwung gab es dadurch aber noch lange nicht.
- Zugegeben: Ich bin kein Politologe, aber gab es in der nahen Geschichte Fälle,
in denen in einer funktionierenden Demokratie allein durch eine Partei
- deren Programm primär aus Hetze gegen Minderheiten besteht -
Aufschwung, Friede, Freude und Eierkuchen gebracht wurde?
- Zugegeben: Ich bin kein Politologe, aber gab es in der nahen Geschichte Fälle,
Ungarn ist stolz auf das Loch in der Flagge - Sozialismen vertragen sich anscheinend nicht gut mit Menschen
Heute war der Tag der Republik. 1956 haben die Ungarn einen Aufstand gegen das Kommunistische Regime durchgeführt. Die Flaggen, die heute gehisst werden haben Löcher – diese erinnern daran, dass die Ungarn die Kommunistische Insigne aus der Flagge geschnitten haben und wieder als freie Menschen leben wollten.
Man kann (sollte?) sein Land auch ohne schwarze Uniform lieben (können)
In der Arbeit erzählte man mir, dass es heute einen Marsch durch die Stadt geben würde, dem „eher rechtsgerichtete Gruppen“ angehören werden.
Bewaffnet mit einer Kamera und einer Käsebrezn konnte ich den Marsch dann begutachten…
Wieder zurück zum Spiel von vorhin:
Im Verlauf der folgenden Jahre gelangen die Nationalsozialisten zu immer mehr Macht. Am Anfang marschierte Adolf Hitler noch selbst bei den Paraden der NSDAP mit, im späteren Verlauf immer seltener – ein Grund waren sicherlich die Attentate auf ihn: 42 sind bis heute dokumentiert. Im Jahr 1938 wollte der aus der Schweiz stammende Theologiestudent Maurice Bavaud Adolf Hitler mit einer Schmeisser 6.35mm erschießen. Da jedoch genau in dem Augenblick, als die Prozession bei ihm vorbeigekommen ist und alle Hände nach oben gingen war es ihm unmöglich sein Zielobjekt anzuvisieren, geschweige denn – den Versuch zu unternehmen, es zu treffen. Bei der Rückfahrt nach Paris wurde er aufgehalten und der Gestapo übergeben, die durch Folter aus ihm herausquetschen konnte, was es mit der Pistole auf sich hatte.
Hier gestatte ich meinen Lesern den ersten Zug – die auszutauschenden Wörter sind ähnlich wie im oberen Beispiel, ich denke, das Prinzip ist verständlich.
Doch man bedenke – der vorige Text spielt auf das Jahr 1930 an, der jetzige spielt um etwa 1938.
Der Marsch von Jobbik wurde von einer Polizeigruppe angeführt, dahinter Zoltán Balczó – gefolgt von Partei-Geschmeiß.
Die Exekutive hat mich glücklicherweise nicht daran gehindert vor ihnen herumzulaufen und zu fotografieren.
Zoltán Balczó ist der Stellvertretende Sprecher des ungarischen Parlaments und Angehöriger von Jobbik. Zweiteres ist für mich ein guter Grund ihn nicht zu mögen. Die „Freiheit“, dass ich vor der Prozession prinzipiell herumtanzen konnte wie ich wollte gab mir den Anstoß mir Gedanken zu machen, ob und wie ich alles sabotieren konnte.
Zoltán Balczó: Hat mehr Freunde, als dem Land guttut
Über dieses Problem habe ich in meinem Artikel „Fenster und Spiegel (1)“ geschrieben. Jetzt war ich in der Position, in der die Menschen 1930 waren. Allerdings hatte ich keine Leute bei mir, die mich unterstützen könnten und würden. Das Argument „Ich bin Österreicher, was geht mich die ungarische Politik an?“ kann und will ich nicht gelten lassen. Maurice Bavaud war auch kein Deutscher und hätte uns beinahe von Adolf Hitler erlöst. Möglicherweise wäre nach dem Tode „des Führers“ die NSDAP genauso verkommen wie das BZÖ ohne Jörg Haider. Maurice Bavaud selbst aber – in Vergessenheit geraten. 1938 gab es noch keinen „totalen Krieg“.
Zoltán hatte hinter sich mehr „Freunde“, die ihn in Auseinandersetzungen gegebenenfalls mit „schlagkräftigen“ Argumenten geholfen hätten, als ich sie derzeit insgesamt habe.
Zoltán Balczó: Hat mehr Freunde, als dem Land guttut
Was hätte ich heute tun sollen und was hätte ich tun können – bis jetzt lässt mich diese Frage nicht los.
Demonstration mit Käsebrezn? Ist es Sabotage, wenn man einem Marsch die Ernsthaftigkeit durch das Essen von Käsebrenzn entzieht?
Mehr als meine Nase auf der Straße zu entleeren und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit dem Finger auf ihn zu zeigen, um meine Abneigung auszudrücken ist mir nicht eingefallen. Ob das Schneiden von Grimassen als Protest gilt ist mir nicht bekannt, einen Versuch war es wert.
Ich komme mir dämlich, einfallslos und feige vor. Und immer wieder die Frage… Was hätte ich machen sollen?
Ganz Europa ruft BÄÄÄH! Auch eine Art des Protests?
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