Arbeitnehmer lässt sich wegen Atemnot krankschreiben und führt dann Schleifarbeiten im Atemmaske aus

Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wird häufig von Arbeitgebern vermutet, wenn sich ein Arbeitnehmer krank schreiben lässt. Dabei kommt aber der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert zu. Das Gericht geht schlichtweg davon aus, dass der behandelnde Arzt hier keine falsche Angaben gemacht hat und in der Lage war die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Beschwerden zu überprüfen und eine Diagnose zu erstellen.

Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Dem Arbeitgeber bleibt in dieser Situation nur die Möglichkeit den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dafür reichen bloße Zweifel an der Diagnose nicht aus. Vielmehr muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen – und ggfs- beweisen – die erhebliche Zweifel an der vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründen.

Informationsbeschaffung

Der Arbeitgeber wird versuchen entsprechende Informationen zu beschaffen. Er kann zum Beispiel den MDK einschalten, was aber in der Praxis selten etwas bewirkt. Erfolgversprechender – wenn auch kostenintensiver – ist die Einschaltung eines Privatdetektivs.

Fall des LAG R-P

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.07.2013 – 1ß Sa 100/13) hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Der 1953 geborene Kläger ist seit 26.04.1995 im Kurbetrieb der Beklagten als Masseur beschäftigt. ………

Der Kläger leidet seit 1996 unter chronischem Bluthochdruck. …………..

Am 20.06.2012 suchte der Kläger die Praxis seines Hausarztes auf. Er wurde für die Zeit vom 20.06. bis einschließlich 29.06.2012 von der Allgemeinärztin Dr. med. E. B. arbeitsunfähig krankgeschrieben. Ihre Diagnose lautete: “Belastungsdyspnoe sowie Verdacht auf koronare Herzerkrankung.“ Der Kläger litt nach seinen Angaben unter zunehmendem Herzrasen, Atemnot und einer starken Zunahme von Wasser in den Beinen. Allein das Gehen habe ihm erhebliche Probleme bereitet, er sei erschöpft gewesen und habe sich ständig ausruhen und erholen müssen. Sein Pulsschlag habe nach normalem Treppensteigen ca. 120/min. betragen. Erfreulicherweise habe sich sein Gesundheitszustand durch die Einnahme des Medikaments Molsidomin in einer erhöhten Dosierung (2 x 4, statt 2 x 2 mg tgl.) wesentlich gebessert. Er habe sich daher zum Ende der Krankschreibung in der Lage gefühlt, leichte körperliche Arbeiten zu verrichten.

Bei der Beklagten ging aus den Reihen der Belegschaft der Hinweis ein, dass der Kläger während der Krankschreibung im Wohnhaus seiner Tochter Renovierungsarbeiten durchführe. Deshalb beauftragte die Beklagte am 25.06.2012 eine Detektei mit der Observierung des Klägers. Der Kläger wurde drei Tage vom 26. bis 28.06.2012 von Detektiven beschattet.

Am Samstag, dem 30.06.2012, nahm der Kläger seine Tätigkeit als Masseur im Betrieb der Beklagten wieder auf. Die Detektei legte der Beklagten am 03.07.2012 ihren Bericht (vgl. wegen des Inhalts im Einzelnen: Bl. 44-60 d.A.) vor. Am 03.07.2012 konfrontierte der kaufmännische Leiter der Beklagten den Kläger mit den Beobachtungen der Detektei und hörte ihn zu den Verdachtsmomenten an, die er in einem Aktenvermerk stichwortartig wie folgt zusammenfasste:
„…
Besuch Bauhaus am 26.06.12 à Herr C. stimmt zu
Schleifarbeiten mit Schleifmaschine und Atemschutzmaske am 26.06.12 à keine Rückmeldung
Fenster geputzt und „abgerubbelt“ à Zustimmung
Arbeiten mit Akkuschrauber oder -bohrer à keine Rückmeldung
Diverse Fahrten zwischen seinem Haus und der Baustelle im Zeitraum 26.06. – 28.06.12 à Zustimmung
Diverse Putzarbeiten, Säuberung von Arbeitsmaterial, Tragen von Kartonagen und einer Holzpalette à Zustimmung
Schrank ausgeladen aus Pkw am 28.06.12 à Zustimmung“

Mit Schreiben vom 05.07.2012 hörte die Beklagte unter Beifügung des Berichts der Detektei den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung an. Die Betriebsratsvorsitzende teilte der Beklagten mit Schreiben vom 06.07.2012 mit, der Betriebsrat habe in seiner Sitzung den Beschluss gefasst, sich zur Kündigungsabsicht nicht zu äußern.

Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.07.2012, das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, fristlos, rein vorsorglich zum nächstzulässigen Termin. Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 30.07.2012 Kündigungsschutzklage erhoben und die Ansicht vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Er habe nur Hilfstätigkeiten bei der Renovierung im Haus seiner Tochter verrichtet, nachdem er sich erheblich besser gefühlt habe. Er habe sorgfältig jedes Maß an Anstrengung vermieden. Er bestritt, dass er eine Holzplatte in der Größe von 2,5 x 0,5 m getragen habe. Er habe nicht mit „Hammer und Meißel“ gearbeitet, sondern Fliesenkanten mit Hammer und Schraubenzieher geglättet. Er habe auch keinen Schrank getragen, sondern mit einer zweiten Person den Korpus eines Schuhschranks ohne Türen. Er habe mit Pausen und nach selbstbestimmtem Rhythmus gearbeitet.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen gab dem Kläger (Arbeitnehmer) Recht und hielt die Kündigung des Arbeitgebers für nicht rechtmäßig. Der Arbeitgeber legte gegen das Urteil der 1. Instanz Berufung ein und der Fall landete dann beim LAG R-P. Das Landesarbeitsgericht gab nun dem Arbeitgeber Recht und hielt die Kündigung für wirksam und führte dazu aus:

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist gemäß § 626 BGB rechtswirksam. Gegen den Kläger besteht der dringende Verdacht, dass er zumindest ab 26.06.2012 nicht mehr arbeitsunfähig erkrankt war und sich von der Beklagten Entgeltfortzahlung erschlichen hat.

a) Die körperlich anstrengenden Tätigkeiten des Klägers auf der Baustelle im Haus seiner Tochter während der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB an sich.

aa) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (st. Rspr. vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 13-14 mwN, NZA 2013, 371).

bb) Die Berufungskammer geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – AP BGB § 626 Nr. 112) und des LAG Rheinland-Pfalz (12.02.2010 – 9 Sa 275/09 – Juris) davon aus, dass es einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Arbeit fern bleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt. Auch der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen (BAG 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – aaO).

Hinzu kommt, dass sich ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer so verhalten muss, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich ua. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen eine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 – Rn. 23, 24 mwN, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14).

Das LAG hielt also die Verdachtskündigung (keine Tatkündigung, sondern der starkeVerdacht kann hier bereits ausreichen – Anhörung des Arbeitnehmers aber zwingend erforderlich) aufgrund der wohl vorgetäuschten Krankheit und des genesungswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers (siehe hier auch “Nebentätigkeit bei Krankheit”) für wirksam.

RA A. Martin



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