„NC – No Canadian“, so lautet fortan der offizielle Name von Nies, seitdem sich seine Eltern dazu entschlossen haben, nach Kanada auszuwandern. Ohne ihn oder seinen großen Bruder. Dieser soll auf NC aufpassen, bis er alt genug ist, für sich allein zu sorgen.
Der 13-Jährige kann und will sich jedoch nicht mit dieser Entscheidung arrangieren. Sein neuer Name ist noch sein geringster Widerstand, den er zum Ausdruck bringt. NC tut nichts von dem, was seine Eltern sich für ihn wünschen. Seine Beziehung zu seinem Bruder, der als erfolgreicher Banker arbeitet, bleibt ebenfalls sporadisch, „mathematische Menschen“ waren ihm schon immer suspekt. Mehr aus Verlegenheit denn aus Interesse beginnt NC eine Lehr zum Landschaftsgärtner, um sie nach 18 Monaten abzubrechen und eine neue in der Systemgastronomie zu beginnen. Doch auch diese Arbeit ist nichts für NC, und nachdem er seine nächste Stelle als Hausmeister verloren hat, heuert er, zum großen Ärger seiner Eltern und seines Bruders, bei einem Bestattungsunternehmen an. Sein neues Leben beginnt sozusagen mit dem Tod.
Der eigenwillige NC erweist sich als gar nicht so unfähig: Er lernt, wie man Tote aus der Leichenstarre befreit und in einen Sarg einbettet, wie man Flüssigkeiten aus Mund und Nase absaugt, und ein Gebiss richtig einsetzt. Doch die Beschreibungen dieser und weiteren Tätigkeiten lösen keinen Ekel aus, vielmehr räumt Weyand mit Vorurteilen an den Beruf des Bestatters auf. Das Verständnis, das NCs Chef für Tote hat, vermittelt er an NC und dieser wiederum an den Leser weiter. Die Würde eines Menschen ist auch nach dem Tod noch nicht zu Ende.
„Die wohl erstaunlichste Erfahrung für NC war, dass ihn kein Ekel überkam, egal wie fratzenhaft der Tod sich zeigte. Er musste nicht die Augen verschließen, und was er sah, kehrte nachts nicht wieder. Vielleicht weil das Schreckliche, das Fratzenhafte keine Maske war. Die Toten spielten nichts vor, alles an ihnen war echt und wahrhaftig.“ (S. 68)
Nicht nur über den Tod denkt er viel nach, sondern auch über Sprache. Rätselhaft erscheint sie NC manchmal, und kompliziert. Durch seine Gedanken wendet Weyand sich spielerisch der Sprache zu, jongliert mit ihr und dem Alphabet und hebt hervor, dass Sprache, ein beinahe banales Handwerk des Alltags ist, doch voller Besonderheiten steckt.
„[E]r blieb stehen und bemerkte, dass Tod ein einsilbiges Wort war. Das gefiel ihm. Komplizierte Dinge bestanden aus mindestens zwei Silben, das Wort Liebe zum Beispiel. Noch schlimmer: Liebesverhältnis. Zwei Hauptwörter, zusammengesetzt, fünf Silben. Wahnsinn.
Tod.
Drei Buchstaben. Absolut ausreichend. Kaum mehr als die Mindestanzahl für ein Hauptwort. Mehr Buchstaben oder gar ein mehrsilbiges Wort wären geradezu geschwätzig für ein Ereignis des Verstummens, um das es sich ja handelte. Außerdem fand NC es passend, dass in der Mitte des Worts ein O platziert war. Sowohl von der Mundformung als auch von der Zeichenform her symbolisierte es das Loch, das am Ende auf einen wartete. Sprachlich gesehen besaß das Wort Tod im Grunde die optimale Korrelation zwischen Anzahl und Verteilung der Buchstaben und dem, was sie bedeuteten.“ (S. 34)
Trotz Thematik und existenziellen Fragen wird es jedoch an kaum einer Stelle im Roman kitschig. Mit einer Portion schwarzem Humor erzählt Weyand, wie der Alltag eines Bestatters aussieht und lässt eine groteske Szene nach der anderen folgen. Gar scheinen sie an einigen Stellen zu skurril; als der tote Bronikowski ein letztes Mal die Treppe herunterutschen darf; doch machen diese Slapstick-Szenen den Roman so leicht. Beeindruckend ist, wie der Taugenichts NC immer mehr aus seinem neuen Beruf wächst und sein Leben mit 31 Jahren nun doch in den Griff bekommt. In Applaus für Bronikowski entwirft Weyand einen Hauptcharakter, dessen Tagträumereien und Streiche man trotz seines Alters verzeihen kann.
Weitere Rezensionen siehe bei Sätze & Schätze und Poesierausch.
Kai Weyand: Applaus für Bronikowski. Wallstein Verlag. Göttingen 2015. 188 Seiten. 19,90 Euro.