Apokalypse im Brautkleid

Erstellt am 7. Oktober 2011 von Newssquared @Oliver_schreibt

Apokalypse im Brautkleid

Die Limousine hat sich im Feldweg verkantet. Die Braut lacht, der Bräutigam ist nervös. Die Gäste warten. Das Paar muss zu Fuß zur Trauung gehen und kommt zwei Stunden zu spät. In Lars von Triers neuem Film Melancholia verheddert sich nicht nur das Autoungetüm in der Natur. Auch mit der Braut stimmt etwas nicht. Aber das ist längst nicht alles. Die Welt fault im Kern, sie muss untergehen. Und sie wird untergehen.

Der dänische Regisseur spaltet seinen Film in zwei Hälften, im ersten Teil legt er den Fokus auf die Braut Justine (Kirsten Dunst), zeigt wie sich Schwermut auf ihre Psyche legt und die Hochzeitsfeier sprengt. Im zweiten Teil des Films steht die Schwester der Braut (Charlotte Gainsbourg) im Zentrum. Angst nimmt sie in ihre Schraubzwinge während der Planet Melancholia, der sich bislang hinter der Sonne versteckt hatte, auf die Erde zudriftet.

Die Klammer zwischen den beiden Teilen, ist das Haus, in dem der Film spielt und die Bande zwischen den beiden Schwestern. Kirsten Dunst tritt jetzt in die zweite Reihe, ist aber als depressiv-entrückte Nebenfigur noch immer präsent. Während von Trier seine einstige Hauptdarstellerin sediert, legt er jetzt den Finger in die Wunden der zuvor noch so stark erscheinenden Schwester.

Giftige Gefechte im Smoking

Die Hochzeitsfeier hat Züge von Thomas Vinterbergs Psychokrieg in Das Fest. Über weißen Tischdecken, in Smoking und Seide gewandet, liefert sich die Familie giftige Gefechte, die stets mit der Fassade einer perfekt durchgeplanten Hochzeit gedeckelt werden. Während die Gäste sich bis spät in die Nacht durch das gnadenlos getaktete Programm von Reden über den Tortenanschnitt zum Feuerwerk kämpfen, legt sich die Braut in die Badewanne oder wandelt über den Golfplatz.

Wenn sich die Geschichte der scheinbar vernünftigeren Schwester zuwendet, offenbart von Trier, was die unter ihrer verkniffenen Fassade verbirgt. In der Kapsel ihres herrschaftlichen Anwesens müht sie sich, ihre Panik vor dem bedrohlichen Planeten im Zaum zu halten, klammert sich an Alltag und Posen. Der Ehemann hält sich an der Wissenschaft fest, das Kind an den Beteuerungen der Eltern. Nur die depressive Schwester hat all ihre Schleusen geöffnet, um dem Weltuntergang mit freudiger Gelassenheit entgegen zu sehen. «Die Welt ist schlecht, wir sind allein», sagt die Somnambule.

Melancholia ist kein Wellnesskino, regt aber den Kopf an. Der Film zeigt gewaltige Bilder, die sich unwiderruflich ins Hirn brennen: Wie die Braut vom Mond beschienen in einem grotesken Golfwagen über den Rasen zuckelt oder sich von grauen Wollfäden umschlungen durch einen unheilvollen Wald kämpft. Die panische Mutter, die sich und ihr Kind vor dem unentrinnbaren Ende in Sicherheit bringen will und nicht weiß, wohin. Die Geschichte wird mit kühlen Bildern erzählt, die in unheilvolles Licht getränkt und von Wagners Tristan und Isolde untermalt sind. Trier bedient sich für seine Bildsprache bei der deutschen Romantik und streut surrealistische Sprenkler mit ein: Eine Wasserleiche, die blaue Stunde, beseelte Natur, schwarze Schlagschatten.

Apokalypse ohne Getöse

Eine rätselhafte Anfangssequenz bereitet den Zuschauer schon darauf vor, dass es hier kein gewöhnlicher Film zu erwarten ist. Lars von Trier reiht kurze surreale Szenen aneinander: Da windet sich die Braut in Schlingen, eine Mutter versinkt knietief im Rasen und hält ihr schlappes Kind im Arm. Gleichzeitig rauscht mit kosmischen Getöse der fremde Planet auf die Erde zu, um sie letztlich in einer gewaltigen Explosion in sich aufzunehmen. Dieselben Bilder tauchen später in einen neuen Kontext wieder auf – ein deutliche Ankündigung: Das Ende ist unausweichlich.

Der besondere Reiz dieses Films ist, dass der Regisseur die Apokalypse nicht wie ein Roland Emmerich mit großem Getöse inszeniert, sondern den Planeten Melancholia mit unerbittlicher Langsamkeit und Schönheit auf die Erde zu treiben lässt. Dabei konzentriert sich der dänische Filmemacher vor allem auf die Seelenwelt seiner drei Hauptdarsteller. Das Drama zeigt sich nicht in Massenpanik, Krisensitzungen und selbsternannten Weltenrettern, sondern in der Psyche der Figuren, die sich auf einem Anwesen in der Provinz verschanzt haben. Aufgescheuchte Dauernachrichtensendungen gibt es hier genauso wenig, wie die Möglichkeit der Rettung.

Kirsten Dunst ist in der Rolle der umnachteten Justine grandios. Die Melancholie sickert in ihr Gesicht wie Farbe in ein Glas Wasser, der Blick wird stumpf, als habe sie eine Jalousie vor ihren Augen herunter gelassen. Dunst gelingt das Kunststück in ihrer Mimik zu zeigen, was eigentlich nicht sichtbar ist.

Mit Melancholia hat Lars von Trier seine eigene Leidensgeschichte verfilmt: Schon seit seiner Kindheit ist er wegen Depressionen in Behandlung. Und auch Kirsten Dunst weiß genau, was sie da spielt, denn sie leidet selbst an der Krankheit. Dem Regisseur und seiner Hauptdarstellerin ist dabei nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal gelungen, sondern ein Werk mit gewaltiger Strahlkraft, das eine kranken Gesellschaft auf den Zahn fühlt.

Titel: Melancholia
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling
Filmlänge: 130 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Concorde
Kinostart: 6. Oktober 2011

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«Melancholia» – Apokalypse im Brautkleid

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Tags: Charlotte Gainsbourg, Charlotte Rampling, John Hurt, Kiefer Sutherland, Kirsten Dunst, Lars von Trier, Melancholia

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