Anzugträger in eisiger Umgebung

Von European-Cultural-News

Von Michaela Preiner

„Swing. Dance to the right“ (Foto: Gerhard Breitwieser)

12.

Jänner 2018

Theater

Es ist bei uns angekommen. Jenes soziale Gift, das  langsam aber stetig über unsere Zivilgesellschaft geträufelt wird. Wer davon nippt, ist dafür verantwortlich, dass sich trotz globaler Erwärmung eine Eiszeit mitten unter uns ausbreitet.

In der neuesten Produktion des aktionstheater ensembles rund um den Gründer Martin Gruber wird den Zusehenden gleich zu Beginn eine Lektion in Sachen Ausgrenzung erteilt, über die zwar herzlich gelacht wird, die aber, versteht man die Aktion als Metapher, alles andere als lächerlich ist. Werden doch Zettel ausgeteilt, auf welchen Wünsche für kommende Produktionen festgehalten werden sollen. Aber – wohlgemerkt – nur das Publikum in der ersten Reihe darf sich auf diese Weise äußern. Es wird später noch einmal Nutznießer der zufällig gewählten Sitzposition sein. Dann nämlich, wenn Punschkrapferl mit Sahne – oder Schlaghäubchen – verteilt werden. Alle, die dahinter sitzen, gehen leer aus und bekommen dabei zumindest eine leise Ahnung, wie sich Exklusion anfühlen kann.

Der Plot für den vierten Teil der „Tetralogie der Einsamkeit“, den sich Martin Gruber und sein Team dieses Mal ausgedacht haben, ist der subtilste aller Produktionen des aktionstheater ensembles bisher. Zwar kommt die eine oder andere Szene in wilder Life-Rockmusikuntermalung des großartigen Andreas Dauböck daher. Zwar fetzen Michaela Bilgeri und Susanne Brandt in bekannter Manier um die vorherrschende Wort- und Deutungsgewalt auf offener Bühne. Dennoch gibt es auch jede Menge ruhige Szenen, die zum Mit- und Nachdenken anregen. Und das ist notwendig. Denn es gibt wohl kaum eine Geste, kaum eine Aussage, kaum eine Aktion, die sich nicht metaphorisch lesen lässt und die sich nicht auf die aktuelle, gesellschaftliche Verfasstheit in Österreich und Deutschland bezieht.

„Swing. Dance to the right“ (Foto: Stefan Hauer)

Der Pinguin, von dem ganz zu Beginn und am Schluss der Aufführung die Rede ist, jener Außenseiter, der sich von der Herde absondert und in Kälte stirbt – unschwer lassen sich von ihm Parallelen zu Menschen ziehen, die einsam und ausgestoßen von der Gesellschaft leben und auch so sterben.

Die Slim-fit-Anzüge mit Kurz-Hosen, weißen Hemden und schwarzen Krawatten erinnern nicht von Ungefähr an das Outfit des jüngsten Bundeskanzlers in Österreichs Geschichte. Und auch die Ansage von Nicolaas van Diepen, den einstudierten Tanz immer mit dem rechten Fuß zu beginnen und den Schwung der alten Bewegung in die neue mitzunehmen, lässt sich politisch leicht zuordnen. Dass er nicht nur selbstverliebt seinen Körper in den Vordergrund der Publikumsaufmerksamkeit stellt, sondern mehrfach einzelne Menschen aus den Zuschauerreihen auch mittels imaginiertem Gewehr aus der Hüfte abknallt, kann als Kollalteralschaden gesehen werden. Als Begleitschaden einer Gesinnung, die sich rücksichtslos von all jenen trennt, die irgendwie im Weg stehen oder – wie an diesem Abend – sitzen.

Auf den beiden weißen Projektionswänden, welche die Bühne nach hinten und seitwärts einrahmen, werden die Silhouetten der Schauspielerinnen und Schauspieler sichtbar. Frontal oder auch im Profil, stehend, gehend oder tanzend erscheinen sie immer wieder. Kein einziges Mal geht von ihnen ein Körperkontakt aus. Immer brav alleine bleiben, Abstand voneinander halten, ist die Devise.

Das Phänomen, dass rechte Gesinnungsgenossen heute hip und schick auftreten, ist nicht nur in Österreich zu beobachten. Wie Martin Hemmer, wie immer auch musikalisch eine große Stütze des Ensembles, zu berichten weiß, übt Frauke Petri auf ihn eine ganz spezielle Anziehungskraft aus. Und auch Isabella Jeschke kann aus ihrem Erfahrungsschatz berichten, dass Nazis ja eigentlich ganz anders seien, als man es sich allgemein vorstellt. Sie lassen sich heute die Haare wieder wachsen, wodurch die auf ihren Schädeln eintätowierten Hakenkreuze unsichtbar werden. Nicht zu vergessen, dass in ihnen eine verletzte Seele stecke und sie im Grunde nichts Anderes möchten, als in den Arm genommen zu werden.

„Swing. Dance to the right“ (Foto: Gerhard Breitwieser)

„Swing. Dance to the right“ (Foto: Stefan Hauer)

Die ständige Bewegung, in der sich die Truppe befindet, die sich permanent leicht verändernde Choreografie, der sich alle beugen und aus der sich nur ab und zu der eine oder die andere ausklinken, sie ist nicht nur ein stilistisches Erkennungsmerkmal. Die ununterbrochene Veränderung des Weltgeschehens, im Großen wie im Kleinen, auch sie macht vor nichts und vor niemandem Halt. Wer sich nicht ihrem Rhythmus unterordnet, wird weggeschwemmt in die Tiefen der Geschichte, in der die meisten von uns schließlich namenlos ertrinken. Wer also dranbleiben will, muss mitmachen, auch jede noch so lächerliche Bewegung, jede noch so lächerliche Macho-Mode.

Die neue, alte Rolle der Frau als Gebärerin und Kirscheneinrexerin, als Männer-Bedienerin und Beine-Breitmacherin, auch sie wird mehrfach angesprochen. Die Wut, welche die Frauen dabei ergreift, sie bleibt von den Männern auf der Bühne unbeachtet und verhallt ungehört. Dass „Syrer, Afghanen und Tschuschen – mmmmh lecker“ – dem Pöbel im übertragenen Sinn zum Fraß vorgeworfen werden, überdeckt die Tatsache, dass 70% aller häuslichen Gewalt in unserem Land von Österreichern begangen werden. Susanne Brandts blutunterlaufenes Auge legt davon ein stummes Zeugnis ab. Aber was soll`s, schließlich hat ihr Franz, ihre neue Flamme, in Hallein großzügig einen neuen Büstenhalter gekauft.

Die große Kunst dieser Produktion besteht aus der Tatsache, dass nichts, was in diesen Zeilen angeführt wurde, auch nur ein einziges Mal mit dem erhobenen Zeigefinger präsentiert wird. Auch das macht dramaturgisch Sinn, denn die Menschen, die sich bei der letzten Wahl für den Rechtsruck in Österreich entschieden haben, auch sie wurden nicht mit dem Holzhammer für diese Entscheidung weichgeklopft. Das eingangs beschriebene Gift jedoch hat zumindest in den Regierungsverhandlungen schneller Einzug gefunden, als dies vorstellbar war. Die soziale Kälte ist vorprogrammiert.

„Swing. Dance to the right“ hebt sich auch deswegen von seinen Vorgängerproduktionen ab, weil es das Schwärzeste aller Stücke ist. Es analysiert den gesellschaftlichen Ist-Zustand, ohne jegliche Exit-Strategie aufzuzeigen. In ihm werden Frauen und Ausländer gleichermaßen degradiert. Es überhöht das männliche Geschlecht auf eitel-groteske Weise und schiebt auch die immer stärker werdende ökonomische, chinesische Weltherrschaft elegant und fast unbemerkt ins Geschehen. Ein Abend vollgepackt mit Musik, Poesie und jeder Menge sozialen Brennstoff-Themen – mehr am Puls der Zeit geht nicht.

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