Anton Čechov: Drei Schwestern. Drama in vier Akten.

Von Buchwolf

In einer russischen Provinzstadt leben drei Schwestern, Olga, Mascha und Irina Sergejewna Prozorow mit ihrem Bruder Andrej in einem geräumigen Haus. Die ersten beiden Akte des vieraktigen Stücks spielen in einem Vestibül mit Blick in den zugehörigen Speisesaal, der dritte im Zimmer von Olga und Irina, der vierte im Garten vor dem Haus.

„Nach Moskau!" - und doch nicht

Mascha ist mit einem Lehrer, Kolygin, verheiratet, Olga wird im Lauf des Stücks Direktorin des Gymnasiums, ohne dies je angestrebt zu haben, und Irina will heiraten und wird Lehrerin. Das klingt recht solide, wird aber kontrastiert von einem Lebensüberdruss und einer Unlust, in dieser Provinzstadt länger zu leben, die alle drei Frauen erfasst hat. Am liebsten würden sie „nach Moskau!" ziehen, ein Ausruf, der zum Leitmotiv des Stücks wird. Doch im Endeffekt kann sich keine der drei aufraffen, wirklich die Stadt zu verlassen und in das Moskau ihrer Träume zu ziehen.

Im Haus verkehren einige Gäste, die die Frauen umschwärmen. Ja, im ersten Akt wird auch Andrej noch umschwärmt, und zwar von Natascha, der er einen Heiratsantrag macht. In Akt zwei bis vier sind sie verheiratet, und die Wirklichkeit der Ehe lässt Andrej ernüchtern und Natascha zu einer keifenden Glucke werden.

Offiziere sind attraktiver als Zivilisten

Die anderen Gäste sind alle männlich, zum Großteil Offiziere. Die Damen finden Offiziere attraktiver als Zivilisten. Dementsprechend wenig haben sie für den stets im Hintergrund anwesenden Doktor Cebutykin übrig, einem Militärarzt, der ständig mit bissigen bis dummen Bemerkungen stört.

Oberstleutnant Verschinin ist der sympathischste der Offiziere, und er verliebt sich ausgerechnet in die schon verheiratete Mascha. Allerdings ist er selbst ebenfalls verheiratet, mit einer Frau, die immer wieder Selbstmordversuche macht, und Vater zweier Töchter.

Ein Duell

Irina wird von Baron Tutzenbach, einem deutschstämmigen Russen, der mehrmals betont, er sei kein Deutscher, sondern Russe, sogar orthodox, umschwärmt, doch leider kann sie dessen Liebe nicht erwidern. Im vierten Akt hat sie sich dazu durchgerungen, Tutzenbach, der seine Militärlaufbahn zugunsten eines Zivilberufs aufgegeben hat, trotzdem zu heiraten und ihm eine gute Ehefrau zu sein. Tutzenbach hat sich am Vorabend des vierten Akts jedoch zu einer Beleidigung eines Offiziers hinreißen lassen, was zu einem Duell führt, das während des vierten Aktes in einem nahen Wald stattfindet. Man hört sogar den fernen Schuss, der Tutzenbach das Leben kostet.

Im vierten Akt verlässt die ganze Truppe, der die Offiziere angehören, die Stadt und wird nach Polen versetzt. Allgemeiner Abschied daher.

Im Haus leben schließlich nur noch Andrej, Natascha und deren zwei Kinder. Olga hat eine Dienstwohnung im Gymnasium bezogen, wohin sie auch ihre ehemalige, nun über achtzigjährige Amme Anfisa mitgenommen hat. Irina wird ebenfalls wegziehen.

Noch unglücklicher

Alle drei Schwestern sind am Ende noch unglücklicher als zu Beginn. Mascha sagt, sie führe, da Verschinin jetzt abrücken muss, „ein verpfuschtes Leben" (S. 75). Aber: „Ist doch alles egal ..." (S. 75) Weiterleben zu müssen ist für sie fast eine Strafe: „Alle gehen von uns fort, einer ist ganz von uns gegangen, ganz, für immer, wir bleiben allein, um unser Leben von vorn anzufangen. Wir müssen leben ... Wir müssen leben ..." (S. 77)

Trost in der Arbeit

Irina erhofft sich Trost in der Arbeit: „Morgen werde ich allein fahren, ich werde in der Schule Unterricht geben und mein ganzes Leben denen widmen, die es vielleicht brauchen. [...] und ich werde arbeiten, arbeiten ..." (S. 77)

Olga hofft, irgendwann den Sinn ihres Lebens herauszubekommen: „und wir werden erfahren, warum wir leben, warum wir leiden ... Wenn man es nur wüßte, wenn man es nur wüßte!" (S. 78)

Einzig Anfisa ist zufrieden, denn endlich hat sie ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bett. Bescheidene Freuden einer uralten Dienstbotin.

Melancholie des sinnlosen Lebens

Tschechow fängt in diesem Stück die Melancholie des sinnlosen Lebens ein. Im Gegensatz zur Erzählung „Das Haus mit dem Giebelzimmer"(siehe vorhergehenden Eintrag) gibt es hier keine Figur, die eine sozialrevolutionäre Ideologie vertritt. Kleine Ansätze dazu bietet nur Baron von Tutzenbach, der ein Lob der Arbeit anstimmt und selbst Unternehmer werden will, den jedoch vor der Ausführung dieses Vorhabens der Tod ereilt. Ein sinnloser Tod in einem zum Glück inzwischen abgekommenen sinnlosen „Ritual".

Meine Ausgabe, übersetzt und kommentiert von Peter Urban, bietet neben dem Text auch einen umfangreichen Kommentar mit Entstehungsgeschichte, Varianten, Tschechow-Texten über sein Stück und einem sehr nützlichen Stellenkommentar.

Tschechow oder Čechov? Ich tendiere ja eher zu Tschechow, der Diogenes-Verlag bedient sich aber der wissenschaftlichen Transliteration des Namens und schreibt Čechov. Eine unerfreuliche Situation, da man nun zwei Schreibungen parallel hat, unter denen Bücher des Autors veröffentlicht sind...

Anton Čechov: Drei Schwestern. Drama in vier Akten. Übersetzt und herausgegeben von Peter Urban. Diogenes, Zürich, 1974. detebe. 131 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Anton Tschechow, nach einem Foto im Tschechow-Museum, Moskau. Tuschestift, 2017.