Antibiotika – Das unerträgliche Mantra von der Resistenz

Noch immer setzen Ärzte Antibiotika ein, um „auf der sicheren Seite“ zu sein. Infektionsexperten und Behörden warnen vor der Gefahr von Resistenzen. Doch viel gefährlicher als diese Nebenwirkung der Überverschreibung von Antibiotika ist ihre Hauptwirkung: Der Kahlschlag, den sie im menschlichen Mikrobiom – der Gemeinschaft unserer bakteriellen Mitbewohner – anrichten.
In nahezu jeder Ansprache bei Infektionskongressen, in jedem Artikel zum „rationalen Einsatz der Antibiotika-Therapie“ wird vor der Gefahr gewarnt, dass Bakterien gegen die Medikamente resistent werden können. Die Wundermittel könnten bald nicht mehr wirken und die alten Seuchen wieder aufblühen, weil durch Überverschreibung viele Krankheitserreger nicht mehr auf Antibiotika ansprechen. „Ohne ein rasches und koordiniertes Handeln aller Beteiligten steuert die Welt auf eine post-antibiotische Ära zu, in der normale Infektionen und kleine Verletzungen wieder tödlich enden können“, warnte kürzlich etwa der stellvertretende WHO-Direktor Keiji Fukuda.
Resistenzen – die Warnung ist so alt wie die Antibiotika selbst. Schon deren Erfinder Alexander Fleming hatte gewarnt, dass Bakterien gegen Penicillin resistent werden könnten. Er drohte, dass eine zu geringe Dosierung oder ein zu kurzer Einnahmezeitraum unabsehbare Folgen auf die Wirkung seines Wundermittels haben könnten.
Antibiotika-Resistenzen entstehen nach denselben Prinzipien wie bei einem Herbizid, das gegen Unkraut schrittweise seine Wirkung verliert. Bei der ersten Anwendung sterben von 100 Unkrautpflanzen 95. Die fünf überlebenden allerdings vererben Teile ihrer Fähigkeit, dem Gift zu widerstehen. In der nächsten Generation stirbt nur noch die Hälfte der Pflanzen. Und nach einigen weiteren Saisonen verträgt das Unkraut das Gift bereits fast besser als die Nutzpflanzen.
Massenmord an Bakterien
Genauso läuft es bei Antibiotika. Amoxicillin, ein Verwandter des Penicillins, ist eines der am meisten verschriebenen Antibiotika speziell bei Kindern. Schluckt ein Kind den meist rosa gefärbten süßen Saft, wird der Wirkstoff über den Darm ins Blut abgegeben und verteilt sich auf den ganzen Organismus, in alle Organe, den Mund, den Hals, die Haut, die Ohren, bei Mädchen in die Vagina. Überall, wo die Antibiotika auf Bakterien treffen, werden diese attackiert und getötet. Amoxicillin ist ein sogenanntes Breitbandantibiotikum und als solches ein sehr effektiver Bakterien-Massenmörder.
Doch bei jeder Bakterienart gibt es Exemplare, die über bestimmte Mutationen oder Genvarianten verfügen, die sie den Angriff überleben lassen. Resistenzen werden bei der Teilung dieser Bakterien weitergegeben. Nach all dem Sterben ist für die resistenten Mikroben nun auch Platz genug, sich zu teilen und sich massenhaft zu verbreiten. Das können nützliche Bakterien sein, welche wieder ihre Positionen einnehmen, es können seltene Bakterien sein, die normalerweise ein Nischendasein führen und sich nun – mit unbekannten Folgen für die Behandelten – ausdehnen, und es können hoch problematische Bakterien sein, die Krankheiten auslösen, viel schlimmer und ernsthafter als der banale Infekt, für den das Kind den Saft vielleicht bekommen hat.
Abgesehen vom „theoretischen Risiko“ der Resistenzen sehen sehr viele Ärzte keinerlei Gefährdungspotenzial, wenn sie Antibiotika verordnen. Und die ständige Wiederholung des Resistenz-Mantras scheint das Drohpotenzial selbst dieser Warnung abzunutzen. Am Ende zählt vor allem der Wunsch, den Patienten entgegenzukommen.
Die ewige Mahnung von der Antibiotika-Resistenz wird formelhaft beschworen, der wirklich gravierende Systemfehler ist in Wahrheit aber ganz wo anderes zu suchen.
Natürlich müssen es die Ärzte in den Kliniken ausbaden, wenn sie die komplizierten Fälle bekommen. Bei ihnen sammeln sich jene Erkrankten, die routinemäßig ein paar Kuren zu viel erhalten haben, jene, die – vielleicht sogar im Krankenhaus selbst – geschwächt von allen möglichen sonstigen Therapien und Eingriffen das Pech hatten, Krankenhauskeime aufzuschnappen und jetzt mit ihrem komplizierten, unkurierbaren Infekt den Antibiotika-Fachleuten an der Universitätsklinik das Leben schwer machen, die sich nun mit multiresistentem Staphylokokkus aureus, Clostridium difficile und wie die Biester sonst noch alle heißen, herumschlagen müssen.
Das viel größere Problem liegt aber nicht darin, dass nach fünfzehn Antibiotika-Therapien die sechzehnte vielleicht nicht mehr funktioniert. Sondern in den Katastrophen, welche die fünfzehn Verschreibungen davor schon angerichtet haben. Jede einzelne.
Das Problem liegt in der konkreten Wirkung der Antibiotika – nicht in der Nebenwirkung: in den verheerenden Folgen der inflationär und sorglos verordneten Chemotherapien auf unsere mikrobielle Besiedlung und dem Kahlschlag, der durch Antibiotika im Mikrobiom der Behandelten verursacht wird und der ein ganzes System entgleisen lassen kann.
„Alle Krankheiten beginnen im Darm“
Hippokrates, der Vater der modernen Medizin, hatte schon vor 2500 Jahren geschrieben, dass „alle Krankheiten im Darm beginnen“. Von den 100 Billionen Mikroben, die sich darin herumtreiben, hatte er noch keine Ahnung, doch dass er mit seiner Ansicht recht haben könnte, wird immer deutlicher. Die Entdeckung des Mikrobioms wirkte in den letzten Jahren wie ein Katalysator, der eine neue Sichtweise ermöglichte.
Viele Menschen engagieren sich für Naturschutz und den Erhalt der Artenvielfalt. Es hat lange gedauert, doch nun geht immer mehr Leuten auf, dass auch wir selbst schwer bedrohte Biotope mit uns tragen. Inzwischen führen Forscher sogar schon Selbstversuche durch und experimentieren mit verschiedenen Ernährungsformen, um die Auswirkungen auf die Bakterien zu beobachten.
Jeff Leach, ein Wissenschaftler, den ich kürzlich kennengelernt habe, lebt viele Monate des Jahres beim Volk der Hadza in den Steppen Tansanias, um zu untersuchen, wie sich das Mikrobiom des Menschen bei einem Lebensstil wie in der Steinzeit verändert. Er selbst ist sein Versuchsobjekt: Leach lebt wie die Hadza, geht mit auf die Jagd, isst dieselben Beutetiere, Honig und Beeren – und als Dessert fette Maden. Er hat sogar wieder mit dem Rauchen angefangen, weil es zur Tradition der Hadza gehört, abends zusammenzusitzen und bestimmte Gräser zu paffen.
Andere Forscher nahmen sich selbst und andere Freiwillige als Versuchskaninchen, um die Einflüsse verschiedener Antibiotika auf die Darmflora im Detail zu studieren. Dabei zeigte sich, dass das Antibiotikum Clindamycin speziell auf die Gruppe der Bacteroides verheerende Auswirkungen hat und ihren Artenreichtum drastisch reduziert. Bacteroides gehören zur wichtigsten und zahlenmäßig häufigsten Spezies im Dickdarm. Selbst zwei Jahre nach einer Antibiotika-Kur hatte sich ihr Bestand nicht wieder erholt.
Das vorwiegend für Harnweginfekte und Entzündungen der Nasennebenhöhlen eingesetzte Antibiotikum Ciprofloxacin schafft es in drei Tagen, die Artenvielfalt im Darm drastisch zu reduzieren. Die britische Wissenschaftsautorin Alanna Collen berichtet in ihrem interessanten Buch „Die stille Macht der Mikroben“ sogar von einer Studie mit Babys, bei denen nach mehreren Antibiotika-Kuren überhaupt keine Bakterien-DNA mehr ausfindig gemacht werden konnte. Das heißt, das Mikrobiom, das viele von der Bedeutung her mittlerweile als eigenes Organ des Menschen betrachten, wurde bei diesen kleinen Kindern bereits vollständig zerstört.

Kleinkinder mit Diabetes

All diese Forschungsfragen betreffen drängende Probleme unserer Zeit: etwa die enorme Zunahme bei Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1, bei dem das Immunsystem die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Die Diabetes-1-Häufigkeit verdoppelt sich in Industrieländern alle 20 Jahre. Die am stärksten betroffene Altersgruppe sind Kleinkinder unter fünf Jahren. Der Alltag dieser Familien ist fortan mit Mathematik ausgefüllt: Die Kinder müssen sich ständig stechen, Blutzucker messen, Nudeln oder Saucen abwiegen, Speisen in Broteinheiten umrechnen und daraus den Insulinbedarf berechnen.
Für ihre Eltern gibt es keine Nacht mehr, in der sie durchschlafen können. Sie müssen spätnachts aufstehen, Blutzucker messen, um Überzucker zu vermeiden – oder den noch schlimmeren Unterzucker. Erwischen Diabeteskranke irrtümlich zu viel Insulin, droht der „Hypo“, ein dramatischer Zuckerabfall, der zu Bewusstlosigkeit und Koma, dem sogenannten „hypoglykämischen Schock“, führen kann. Zahlreiche Studien zeigen, dass „Hypos“ das Risiko einer Demenz im späteren Leben dramatisch ansteigen lassen, weil das Gehirn hoch sensibel auf Phasen der Unterzuckerung reagiert.
Ursache von Typ-1-Diabetes ist ein entfesseltes Immunsystem, das auf den eigenen Körper losgeht. Doch warum dreht das Immunsystem durch? Kann es sein, dass ihm die hilfreichen Bakterien abhanden gekommen sind? Dass zu wenige regulierende T-Zellen gebildet werden oder dass sonst eine Beziehung gekappt wurde, die wir noch gar nicht kennen? Die Mikroben haben zusammen rund 20 Millionen Gene, mit denen sie in den Organismus eingreifen. Hundert Mal mehr Gene als wir in unserem humanen Genom zur Verfügung haben. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten, um auch nur die wichtigsten Zusammenhänge zu verstehen.
Anlass für den Selbstversuch von Jeff Leach war die Krankheit seiner Tochter, die seit ihrem dritten Lebensjahr an dieser autoaggressiven Form von Diabetes leidet. Leach ist Anthropologe mit Studienabschluss an der London School of Hygiene. Durch die Krankheit seiner Tochter hat sich seine Einstellung zum Beruf verändert, und er machte die faszinierende Mikrobenwelt in uns zu seinem Forschungsschwerpunkt. „Irgendetwas mit unserem westlichen Lebensstil ist völlig aus dem Ruder gelaufen: mit unserer Medizin, unserer Nahrung, unseren Immunfunktionen“, sagte Leach bei einem unserer Skype-Gespräche, die er von der Savanne aus über Satellit mit mir führte. „Mit meiner Arbeit hier – indem ich wie ein Steinzeitmensch lebe – hoffe ich ein paar Antworten zu finden, die ich mit nach Hause nehmen kann.“ Nach Hause zu seiner Tochter, die mittlerweile in Kanada studiert. „Ich habe viel darüber nachgedacht, was wir bei ihr falsch gemacht haben. Sie war als Baby oft krank, bekam ständig Antibiotika. Ich frage mich mit dem Wissen, das ich heute habe, was wir damals wohl mit ihrem Mikrobiom angestellt haben.“
Unser Bauchhirn
Zunehmend rückt die MGB-Achse ins Zentrum der wissenschaftlichen Forschung. MGB steht für „microbiota, gut, brain“ also die Verbindung vom Mikrobiom zum Darm, dem größten und wichtigsten Organ des Immunsystems, hin zum Nervensystem und dem Gehirn. Die Mikroben regulieren die Darmfunktion und die Gesundheit. Die Beweislage wird immer massiver, dass sie das Immun- und das Nervensystem ebenso beeinflussen – und dass sich der Informationsfluss in jede Richtung bewegt. Dies passiert, ohne dass es uns auffällt, wenn wir bei guter Gesundheit sind. Was aber passiert bei den zahlreichen Erkrankungen, bei denen – zumindest zeitweilig – entzündliche Prozesse im Gehirn auftreten können? Viel spricht dafür, dass auch hier die MGB-Achse eine entscheidende Rolle spielt.
In verschiedenen Ländern werden mittlerweile Krankheiten untersucht, die auf den ersten Blick nicht verwandt scheinen, hier aber möglicherweise ihre gemeinsame Wurzel haben. Dazu zählen unter anderem Autismus, ADHS, Multiple Sklerose und diverse psychische Störungen.
Ein Zusammenhang zwischen Darm und Gehirn erscheint auf den ersten Blick absurd. Doch sogar umgangssprachlich wird von „Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ oder vom „Bauchgefühl“ gesprochen. Außer im Gehirn und im Rückenmark gibt es nirgendwo im Organismus eine derartige Anhäufung von Nervenzellen. Das „Bauchhirn“ umfasst rund 500 Millionen davon und entspricht damit etwa dem gesammelten Grips eines Hundes. Evolutionär ist das Bauchhirn wesentlich älter als das Gehirn, diesem aber neurochemisch, also von seinen Zelltypen, Wirkstoffen und Rezeptoren her, sehr ähnlich. Der Darm bedient sich des Gehirns im Kopf und kommuniziert mit ihm. Diese Kommunikation verläuft in beide Richtungen: Darmbakterien haben Einiges mitzureden.
Etwa bei der Produktion des Neurotransmitters Serotonin, das eine große Rolle bei verschiedenen kognitiven Prozessen wie dem Lernen spielt, aber auch für gute Stimmung oder einen ruhigen Schlaf zuständig ist. 80 Prozent der Serotoninproduktion im Körper erfolgt im Darm unter Aufsicht und Mithilfe von Bakterien. Nebenher erzeugen die Mikroben auch noch unterschiedliche andere Chemikalien, die für die Funktionen des Nervensystems notwendig sind, wie wasserunlösliche Lipide in Molekülgröße, sogenannte Ganglioside. Sie werden für die äußere Membran von Nervenzellen gebraucht.
Gut vorstellbar, dass Antibiotika in dieses sensible Gefüge eingreifen könnten, etwa indem sie die Produktion von Serotonin oder Gangliosiden behindern. „Bei Erwachsenen hat das vielleicht keine großen Folgen“, erklärt der US-amerikanische Mikrobiomforscher Martin Blaser, „aber bei einem Baby, dessen Gehirn sich gerade massiv entwickelt, wäre das durchaus vorstellbar. Zumal viele Studien zeigen, dass autistische Kinder oft abnorme Serotoninwerte haben.“
Rheuma-kranke Kinder
Eine andere Autoimmunkrankheit, die stark im Zunehmen begriffen ist, ist juveniles Rheuma, das bereits im Kindes- oder Jugendalter ausbricht. Hier werden Infektionen als Auslöser diskutiert. Sie sollen zur Bildung von Antikörpern führen, die in der Folge versehentlich auch körpereigenes Gewebe als „fremd“ markieren und damit Autoimmunreaktionen des Immunsystems provozieren. Eine aktuelle Arbeit der Universität von Pennsylvania in Philadelphia bringt nun einen anderen möglichen Auslöser ins Spiel: Kinder, welche diese Krankheit entwickelten, haben in ihren ersten Jahren mehr als doppelt so häufig Antibiotika bekommen wie die gesunden Kinder der Vergleichsgruppe. Infekte waren zwar ebenfalls mit der Krankheit assoziiert, allerdings nur, wenn sie mit Antibiotika behandelt worden waren. Nicht mit Antibiotika behandelte Infekte machten hingegen keinen Unterschied. Für einen kausalen Zusammenhang mit Antibiotika spricht, dass es eine Dosis-Wirkung-Beziehung gab: Kinder die mehr als fünfmal Antiobiotika erhalten hatten, erkrankten dreimal häufiger an juvenilem Rheuma als Kinder mit nur einer Dosis.
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
Bei entzündlichen Darmerkrankungen attackiert das Immunsystem den eigenen Darm. Die Ursachen dafür sind unbekannt. Möglicherweise spielt eine mikrobielle Fehlbesiedelung eine Rolle, die durch Antibiotika ausgelöst wurden. Gleichzeitig werden diese gegen Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa aber auch in der Therapie eingesetzt, zusammen mit verschiedenen neuartigen Medikamenten, die auf die Besänftigung des Immunsystems abzielen.
Eine der größten Untersuchungen zum Thema stammt aus Dänemark. Dort hat sich – bei gleich bleibender Diagnostik – die Häufigkeit von Colitis ulcerose bei Kindern unter 15 Jahren während der letzten drei Jahrzehnte mehr als verdoppelt. Regelrecht explodiert sind die Fälle von Morbus Crohn: Heute gibt es 15-mal mehr Fälle als noch bis Mitte der 1980er Jahre. Anlass genug also, nach möglichen Auslösern zu suchen.
Zwischen 1995 und 2003 wurden in Dänemark rund 577.000 Kinder geboren. In der Studie wurden alle Arzneimittelverschreibungen dieser Kinder erfasst und über einen Zeitraum von sechs Jahren das Auftreten entzündlicher Darmerkrankungen registriert. Bei einer derart großen Stichprobe lassen sich auch selten auftretende Zusammenhänge untersuchen.
Insgesamt erkrankten in den sechs Jahren 117 Kinder. Im Schnitt waren sie bei der Diagnose gerade einmal dreieinhalb Jahre alt. Und hier zeigte sich abermals eine massive Korrelation mit Antibiotika, speziell bei Morbus Crohn. Das Erkrankungsrisiko von Kindern, die vor der Diagnose Antibiotika bekommen hatten, war dreifach erhöht. Und auch hier ein deutlicher Zusammenhang mit der Dosis: Jede Antibiotika-Verschreibung erhöhte das Risiko um 18 Prozent. Kinder, die siebenmal oder öfter Antibiotika bekommen hatten, hatten ein siebenfach höheres Risiko als Kinder, die ohne diese Mittel ausgekommen waren.
Warnung an die Ärzte
Diese Befunde und Zahlen ergeben ein Gesamtbild, das höchste Aufmerksamkeit verdient. „Doch wann haben Sie zuletzt von Ihrem Arzt gehört, dass Antibiotika einen Risikofaktor darstellen, dass Ihr Kind später an Morbus Crohn oder Asthma erkrankt?“, fragt Martin Blaser. Die Antwort lautet meist: nie.
Erst kürzlich war Blaser jedoch auf einer Konferenz mit Fachleuten, wo derartige Fragen diskutiert wurden. „Da stand plötzlich ein Arzt auf, den ich nicht kannte, und forderte angesichts all der Informationen eine Black-Box-Warnung für alle Antibiotika.“
Eine „Black-Box-Warnung“ ist die stärkste und auffälligste Form einer Warnung, die von den Behörden für rezeptpflichtige Arzneimittel verfügt werden kann. Den Namen hat sie von dem auffälligen schwarzen Rahmen, der die Warnung umschließt. Entsprechende Mitteilungen betreffen beispielsweise ein erhöhtes Blutungsrisiko bei bestimmten Blutverdünnungsmitteln oder auch die Warnung, dass manche Mittel nicht genommen werden dürfen, wenn eine Krebserkrankung vorliegt, weil sie das Tumorwachstum beschleunigen. Übertragen auf Deutschland wäre die Entsprechung ein „Rote-Hand-Brief“, in dem Pharmaindustrie und Arzneimittelbehörden eine wichtige Mitteilung machen. Das auffällige Symbol der roten Hand auf der Vorderseite des Briefes hält selbst dauergestresste Ärztinnen und Ärzte davon ab, den Brief achtlos wegzuwerfen. „Solche Methoden scheinen notwendig, um die Botschaft endlich unters Volk zu bringen“, sagt Blaser – und meint mit „Volk“ in erster Linie seine eigene – gegen Antibiotika-Erkenntnisse resistente – Kollegenschaft.
Dieser Artikel ist ein Ausschnitt aus meinem Buch "Die Hygienefalle - Schluss mit dem Krieg gegen Viren und Bakterien", das kürzlich im Verlag Ennsthaler erschienen ist. 

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