Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen Gesellschaft

1.2.2012 – In einem Gastkommentar für das Handelsblatt läutet der Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling (CDU) am vergangenen Montag das Ende des digitalen Zeitalters ein und ruft die bürgerliche Gesellschaft dazu auf, für die Einhaltung ihrer Werte im Internet zu kämpfen.

Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen GesellschaftHeveling spricht in seinem Text von „digitalem Blut“, vom „Schlachtennebel“ von den „ruinenhaften Stümpfen unserer Gesellschaft“ und beruft sich auf die Ziele der Französischen Revolution. Was steckt, abgesehen von schlechtem Geschmack, Blut- und Boden-Romantik und einem absurden Geschichtsverständnis, wirklich hinter seinem Abgesang auf die digitale Gesellschaft?

 

Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen Gesellschaft

Ein Kind namens Ansgar

Wer von seinen Eltern noch im Jahr 1972 „Ansgar“ genannt wurde, der hat es von Anfang an nicht leicht. Stammt man zusätzlich auch noch aus Korschenbroich, dem Nachbarort von Grevenbroich, wo Horst Schlämmer als stellvertretender Chefredakteur des „Tagblatts“ tätig ist, dann ist die gebrochene Biografie bereits vorprogrammiert.

Der junge Ansgar spielt die Bratsche, singt im Chor, interessiert sich für die Geschichte der Katholischen Pfarrgemeinde St. Andreas und liest gerne Biografien. Und es kommt, wie es kommen muss: Nach vier Jahren „Katholischer Grundschule Korschenbroich“ und einigen Jahren auf dem „Stiftischen Humanistischen Gymnasium Mönchengladbach“ folgt im Alter von 17 Jahren der unvermeidliche Eintritt in die Schüler Union. Ansgar Heveling rutscht daraufhin in die Szene der Berufspolitiker  ab und es gibt keinen Halt auf der schiefen Bahn.

Heute bekleidet er das Amt des Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Stadtrat von Korschenbroich und vertritt seine Partei als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Dort gehört er nicht nur dem Rechtsausschuss sondern auch der „Enquête-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft“ an.

Letzteres, so dachten wohl die Redakteure des „Handelsblatt“, befähigt ihn, sich qualifiziert über den Kampf zwischen der digitalen Welt und dem realen Leben zu äußern: In einem Gastkommentar mit dem Titel „Netzgemeinde, ihr werden den Kampf verlieren!“ verewigt sich Heveling am 30. Januar und erregt damit schlagartig die Aufmerksamkeit der Digital Natives.

Spätestens jetzt sollte es sich jeder für einige Minuten vor dem Rechner gemütlich machen und den Text von Heveling im „Handelsblatt“ genüsslich überfliegen. Es lohnt sich!

Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen Gesellschaft

Freiheit, Demokratie, Eigentum

Heveling liefert eine sprachliche und inhaltliche Meisterleistung ab. Mit der traumwandlerischen Sicherheit eines „geschichtsbewussten Politikers“ zieht er in der Sprache der Blut- und Boden-Romantik historische Bögen zwischen der Französischen Revolution, dem digitalen Zeitalter und der Zukunft.

Vor den Augen einer staunenden Öffentlichkeit zeichnet er seinen Entwurf eines bemerkenswerten Geschichts- und Weltbildes. Er nimmt uns an die Hand und führt uns in „die Gassen von Paris im Jahr 1789“. Hier erleben wir, wie sich die „bürgerliche Gesellschaft mit ihren Werten von Freiheit, Demokratie und Eigentum“ in „mühevoller Arbeit aus den Barrikaden der Französischen Revolution heraus geformt“ hat. Geleitet von einem einzigen Ziel: „der Idee des geistigen Eigentums“.

Und wenn Heveling jetzt für den Schutz der Urheberrechte im Internet streitet und die bürgerliche Gesellschaft zum Kampf gegen die „digitalen Maoisten“, „die Herren der digitalen Ringe“, „die Helden von Bits und Bytes“ und „die Kämpfer für 0 und 1“ aufruft, dann sieht er sich in der direkten Nachfolge jener „Citoyen“, die sich einst gegen die „geistige Leibeigenschaften des Ancien Régime“ auflehnten.

Die „digitale Revolution wird ihre Kinder entlassen“ und „das Web 2.0 wird bald Geschichte sein“: Heveling skizziert die nahende Apokalypse und wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, „wie viel digitales Blut bis dahin vergossen wird“. Und es folgt ein sprachliches Kleinod, das man sich auf der Zunge zergehen lassen muss:

„Wenn wir nicht wollen, dass sich nach dem Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen, dann heißt es, jetzt wachsam zu sein. Also, Bürger, auf zur Wacht!“

Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen Gesellschaft

753 Wörter für PIPA, SOPA und ACTA

Was will dieser Mann eigentlich wirklich, wenn er „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ kurzer Hand zu „Freiheit, Demokratie und Eigentum“ ummünzt und den „Citoyen“ zu jemandem erklärt, der schon im 18. Jahrhundert für den Schutz des geistigen Eigentums auf die Barrikaden ging?

Immerhin widerspricht sein Standpunkt dem des großen Jean-Jacques Rousseau, der den „Citoyen“ in „Le contrat social“ ein wenig anders definierte als der Bratschist und Heimathistoriker aus Korschenbroich:

„Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse, sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt. Dieses gemeinsame Interesse beschränkt sich nicht auf die Summe der einzelnen Willensäußerungen, sondern geht über sie hinaus.“

Wischt man also das ganze „digitale Blut“, die Bilder von „ruinenhaften Stümpfen“, „verbrannter Erde“ und bevorstehenden Schlachten weg, dann bleibt am Ende nur eine sehr kleine Botschaft übrig: Ansgar Heveling streitet für die Regulierung des Internets, tritt für SOPA, PIPA und ACTA ein und ruft die bürgerliche Gesellschaft dazu auf, ihre Eigentumsrechte endlich auch im Netz zu verteidigen.

Hätte diese dünne Aussage Hevelings nun tatsächlich 753 Wörter gebraucht? Wahrscheinlich nicht. Aber es schreibt und es liest sich so schön und lautes Pfeifen im nächtlichen Wald hat bekanntlich noch immer dazu getaugt, die eigene Furcht zu bekämpfen.

Und von Furcht ist Ansgar Heveling tatsächlich getrieben. Er ängstigt sich vor einem allzu freien Internet ohne staatliche und wirtschaftliche Regulierung. Er will der „digitalen Avantgarde“ das Feld nicht kampflos überlassen und vor allem fürchtet er sich vor den Piraten:

„Piraten sind jedenfalls dabei der schlechteste Ratgeber. Sie achten das Eigentum des anderen nicht, setzen ihr Wissen nur für den eigenen Vorteil ein, sind darauf bedacht, zusammenzuraffen, was sie von anderen kriegen können.“

Ansgar Heveling: Das Ende der digitalen Gesellschaft

Die Relevanz des Bloggers

Der „digitale Shitstorm“, der sich nach der Veröffentlichung über ihn ergießt, perlt von Ansgar Heveling ab: „Ich würde meinen Gastbeitrag wieder genau so schreiben“ verkündet er, nachdem ihm angesichts der Äußerungen selbst Parteifreunde nahelegen, zumindest die Enquete-Kommission zu verlassen.

Doch davon ist Heveling weit entfernt. Stattdessen spricht er sich selber Mut zu und sagt am Dienstag gegenüber der „WZ“:

„Ich glaube, dass es schon bald eine Generation geben wird, die mit dem Internet ganz anders umgeht. Blogger haben dann keine Relevanz mehr.“

Während Heveling er vordergründig für die Urheberrechte und gegen die Piraterie im Netz ankämpft, scheint es ihm in Wirklichkeit um etwas ganz anderes zu gehen. Heveling plädiert für ein Internet, mit dem die Menschen ganz anders umgehen als heute und für eine öffentliche Meinungsbildung, in der Blogger keine Rolle mehr spielen.

Jene Blogger, die Heveling jetzt berechtigt kritisieren und die nach seiner Zukunftsvision schon bald keine Relevanz mehr haben, kommen dabei in aller Regel kaum mit Urheberrechten in Berührung. Sie stellen weder Filme noch Musik illegal zum Download bereit und sie stehlen auch nicht das geistige Eigentum anderer. Stattdessen nutzen sie das Netz, um Nachrichten zu verbreiten, die in den etablierten Medien kaum oder gar nicht auftauchen und bieten einer wachsenden Netzgemeinde ihre Gedanken, Interpretationen und Einsichten an.

Wenn Heveling also von einer Zukunft träumt, in der PIPA, SOPA und ACTA darüber entscheiden, was im Internet auftaucht und was nicht und dabei gleichzeitig von einer Zeit spricht, in der Blogger keine Relevanz mehr haben, dann setzt er sich damit auch für eine inhaltliche Regulierung im Netz ein. Und er hat insofern Recht, als dass sich die genannten Instrumente vor allem dazu eignen, das Internet unter Zensur zu stellen.

Hier schließt sich der historische Kreis, wenngleich auch in einer ganz anderen Weise, als von Heveling in seinem Gastkommentar skizziert. Dem Ausbruch großer historischer Revolutionen, zu denen auch die von ihm zitierte Französische Revolution zählt, ging nämlich meist voraus, dass die staatliche Obrigkeit das Volk unter Zensur stellte. Gekämpft wurde dabei, ganz anders als es uns der Autor weißmachen will, nicht für den privaten Schutz von geistigem Eigentum sondern für das Recht, seine eigene Meinung frei und ungehindert äußern zu können. Und nachdem Heveling uns indirekt bestätigt hat, dass Blogger zumindest heute noch über „Relevanz“ verfügen, sollten wir davon auch kräftig Gebrauch machen.


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