Wulff war kein schlechter Bundespräsident. Wenn man von den Freundschaftsdiensten und Gefälligkeiten, die er sich zuschustern ließ, einmal absieht. Auf diesem Auge blind war Wulff, wie gesagt, kein schlechter Präsident. Das klingt wie Nachruf. Vielleicht ist es auch ein vorgezogener - mindestens aber einer für seine bisherige Amtszeit. Und es widerstrebt natürlich, diesen meist doch eher farblosen, schüchternen und auch feigen Apparatschik ein Zeugnis auszustellen, das nicht ausgewiesen schlecht ist. Man kann entgegenhalten, dass er auch kein guter Präsident war. Auch das wäre wahr, denn hierzu fehlte ihm der notwendige Schneid.
Es war nicht alles schlecht...
Wulff hat mehrfach gegen den Mainstream mobilisiert - es waren nur kurze Mobilmachungen, danach war Feigheit. Zwei wesentliche Momente seiner Amtszeit fallen ein:
Beispielsweise: Er vertrat, kurzzeitig von Mut befallen, die Ansicht, der Islam gehöre zu Deutschland. Das tat er in einer Phase, da die bürgerliche Presse schlimm gegen die Moslems in Deutschland anschrieb und Sarrazins krude Thesen zum neuen Evangelium stilisierte. Prompt erntete er bittere Wut. Das war für viele nicht mehr der bürgerliche Präsident, den man glaubte, nun an der Spitze des Landes zu haben - denn bürgerlich zu sein bedeutet vermutlich mittlerweile auch, islamophob in den abendländischen Tag hineinzuleben. Doch der Mut Wulffs schwand freilich schnell. Er ist nie zum Fels in der Brandung politisch sozialisiert worden. Man hörte nie mehr derart Versöhnliches von ihm.
Beispielsweise: Er übte unerwartet und wider der üblichen Arschkriecherei der Politik, Kritik am Papst und am Katholizismus. Er sprach an, was vielen kirchennahen Menschen hier unter den Nägeln brennt. Die strikte Haltung einer Institution, die vorgibt, die Liebe zwischen den Menschen zu verwalten, in Fragen von Scheidung und Lebensbrüchen (wie Wulff es damals formulierte) jedoch rigoros hantiert: wie erklärt das die Kirche? Die bürgerliche Presse, allen voran natürlich die katholisch-frömmelnde BILD-Zeitung, erboste sich. Hier ruht wohl unter anderem der Bruch zwischen Wulff, den die Zeitung einst hofierte und Diekmann, der Wulff damals für eine gute Wahl erachtete.
Das sind Ansätze, die bei seinem Vorgänger überhaupt nicht vorkamen. Insofern ist die Amtszeit Wulffs nach nicht mal zwei Jahren schon reicher an Gehalt, als es die sechs Jahre unter Köhler je waren. Der erntete nie Sturm, weil er gar nicht erst Wind säte. Großen Wind machte er nur um die anzustachelnde Reformbereitschaft, um Sozialstaatsabbau und die dezente Anmahnung, den möglichst erträglich zu gestalten. Er war der Präsident der Alternativlosigkeit - Wulff bot bisher wenigstens Alternativen, denn er bot neben dem sarrazinischen Spaltungsdiskurs eine andere Sichtweise an, nämlich das Miteinander der Kulturen innerhalb des Landes und nicht deren gegenseitige Aufhetzung.
Hasenherzige Rückzüge
Wulff war also bislang überraschenderweise nicht so schlecht als Bundespräsident. Nicht immer jedenfalls. An was es ihm mangelte war Rückgrat. Gelegentlich wagte er sich ja mutig vor. Doch zog er sich bei Gegenwind zurück. Standhaftigkeit ist seine Sache nicht gewesen. Ein sturer Kopf, auch die Fähigkeit, die an ihn gerichtete Kritik gegenüber seinen politischen Mahnungen auszusitzen, einen dicken Pelz - kurz, ein Leckt-mich-am-Arsch-und-jetzt-erst-recht-Gefühl, wenn man von der bürgerlichen Presse attackiert wird, nur weil man Moslems als Bürger unter Bürgern anerkennt, hätte er dringend benötigt.
Sicherlich, von einer guten Präsidentschaft zu reden wäre auch nicht zutreffend, Aber von Ansätzen zu einer guten, wenigstens aber annehmbaren Präsidentschaft kann man unumwunden sprechen. Potenzial war da, zeigte er mehrfach - nur ließ er es verpuffen, um ja nicht medienwirksam anzuecken: das Wesen des Apparatschiks eben. Prompte hasenherzige Rückzüge folgten stante pede. Ein guter Präsident hätte erklärt, dass der Islam mittlerweile ein Bestandteil Deutschlands ist und wäre bei Gegenwind nicht ins bellevuesche Loch zurückgekrochen. Er hätte nochmals unterstrichen, nochmals beteuert, wäre stur an seiner Ansicht haften geblieben. Offensiv, nicht defensiv.
Das große Thema seiner Präsidentschaft als Hinweis, endlich "bürgerlichere" Themen anzusprechen
Dass Wulff bisher noch kein Thema seiner Präsidentschaft gefunden habe, hat man ihm oft vorgehalten. Das Feuilleton machte einen Wettbewerb daraus, ihm sein fehlendes großes Thema anzumahnen. Vielleicht wäre der zentrale Satz, wonach auch der Islam zu Deutschland gehöre, die Präambel eines solchen Themas gewesen, wenn Wulff ein mutigerer Zeitgenosse wäre. Hätte er sich freilich ein Thema herausgepickt, das weniger emotional ist, hätte er es seinem Vorgänger im Amt gleichgetan und von Reformen und Märktevertrauen erzählt, so hätte ihn der Mut nie verlassen müssen. Die Medien, Politik und Wirtschaft sowieso, hätten ihn bestärkt und laut Hurra! gerufen. Und was hat der deutsche Steuerzahler, Leistungsträger der bürgerlichen Mittelschicht, denn von einem Präsidenten, der mitten im Papstfieber den Papst kritisch beäugt? Das ist doch nur naiver Idealismus, von dem keiner etwas hat.
Immer wenn sie schrieben, er brauche nun endlich ein großes zentrales Thema für seine Präsidentschaft, dann klang da zwischen den Zeilen mit: Befasse Dich endlich mit den wesentlichen Problemen dieses Landes - mit Schmarotzertum, mit horrenden Kosten, die zu Kürzungen führen müssen, mit Multikulturalismus, der uns in einen clash of civilizations führt. Hör endlich damit auf, ungefragt die islamische Partei zu ergreifen. Sei doch endlich mal der oberste Vertreter der bürgerlichen Mitte!
Die Reden vom großen Thema waren als Ermunterungen und Fingerzeige gedacht - und er wollte es nicht kapieren. Zwar fesselte ihn die Mutlosigkeit, geriet sein Engagement in Lethargie, aber so richtig köhlerhaft neoliberal wurde er deswegen noch lange nicht. Natürlich, um gleich mal möglicher Kritik beizukommen, vertrat Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens neoliberale Positionen - und die wird er auch heute noch still vertreten. Aber öffentlicher Gegenstand sind die kaum, seitdem er in Bellevue residiert. Sein Hauptaugenmerk lag auf Idealen und Werten, das politische Tagesgeschäft sperrte er weitestgehend aus - sein Vorgänger machte es grade andersherum. Das machte man ihm zum Vorwurf. Und genau deshalb die Inszenierung eines Skandals, der zwar einer ist, der bei anderen aber medial kleingehalten würde, wenn es der politischen Konzeption nur entspräche.
Bestätigung des Unwortes 2011
Nie war das Unwort des Jahres 2011 so zutreffend. Welche Alternative zu Wulff, der kein guter, aber auch kein schlechter, schlicht ein Mittelmaßpräsident war, gibt es denn? Gauck etwa? Oder schicken die Grünen Fischer ins Rennen? Oder eine Gazprom-Präsidentschaft durch Schröder? Mit einem wie Stoiber hätte man kein Problem, was die Inhalte seiner präsidialen Ansprachen beträfe. Die wären so unverständlich, dass sie in jede Richtung deutbar wären, sein Äh-Ähm-Äh-Gestammel kann ja doch alles heißen.
Dass Wulff versuchte die Presse zu beeinflussen ist unentschuldbar. Wobei er das vielleicht nicht getan hat. Denn eine Frage muß erlaubt sein: Ist die BILD Presse? Und warum erzählt Diekmann nicht, dass er öfter von Wulff angerufen wurde, nicht nur, als er die Berichte zu seiner Affäre vertuscht sehen wollte? Warum erzählt er nicht, dass es zur Präsidentschaftswahl Rücksprachen gab, wie im Hause Springer üblich? Beweise? Keine! Aber anzunehmen sind solche Anrufe in jedem Falle - mögliche Kette der Verwicklung: Diekmann, persönlicher Freund Kohls - Merkel, einstiges Mädchen Kohls - Wulff, der Wunschkandidat Merkels. Weshalb erklärt Diekmann eigentlich nicht, warum genau er Wulff, den einstigen Liebling und gewollten Präsidenten, fallen ließ? Denn Redaktionen unter Druck zu setzen, das ist kein Einzelfall - jeder mittelmäßig begabte Oberbürgermeister ist in seiner Amtszeit öfter mal wulffisch und setzt die örtliche Zeitung unter Druck. Das ist nicht richtig und dieser Usus gehört beanstandet - aber Wulff ist da kein Einzelfall. Wulffs reiche Freunde machen das übrigens auch, meist nachhaltiger, weil gestützt auf Geldberge. Warum BILD jetzt aufmerkt und zum Beispiel schwieg, als Maschmeyer die Aufklärungsarbeit des Journalisten Christoph Lütgert unterbinden ließ, damit also ebenfalls die Pressefreiheit angriff, zählt wohl zum ambivalenten Gerechtigkeitssinn dieser Zeitung.
Wulffs Freundschaften sind suspekt. Er steht aber nicht alleine auf der politischen Bühne mit mächtigen Wirtschaftsbaronen an seiner Seite. Die anderen sind lediglich weniger naiv, lassen sich nicht so dämlich ertappen. Man bräuchte schon einen Asketen im Amt, um den Nepotismus zu zähmen. Den asketischen Freiheitsapostel Gauck vielleicht? Der hätte vermutlich tatsächlich keine Freunde in der Wirtschaft, aber dafür wäre er mit der neoliberalen Wirtschaft befreundet, wie er schon oft genug unter Beweis stellte. Wulff hat Kapitalisten und Neoliberale als Freunde - Gauck den Kapitalismus mitsamt Neoliberalismus. Wäre das eine Verbesserung?
There is no alternative. Nur eine vielleicht, aufgrund Alternativlosigkeit das Amt abschaffen...