Anonymus – Psycho Killer

Anonymus – Psycho Killer

Die Identität des Autors Anonymus ist ein gut gehütetes Geheimnis. Noch immer sind nur sehr wenige Fakten bekannt. Mittlerweile scheint es sicher, dass es sich um einen Mann handelt, einen Briten, der Fußball, Steak und Bourbon liebt. Natürlich animiert das Pseudonym zu wilden Gerüchten, wer er sein könnte. Vorgeschlagen wurden unter anderem Quentin Tarantino, David Bowie, Tony Blair und Prince Charles. Persönlich halte ich die Theorie, dass Anonymus prominent sein muss, nicht für valide. Wahrscheinlicher ist, dass er einfach ein normaler Typ ist, der die Freiheit seines Pseudonyms genießt - sowohl privat als auch literarisch. Denn ein Buch zu veröffentlichen, das „Psycho Killer" heißt, aber so gar nichts mit dem klassischen Psychothriller gemein hat, funktioniert wohl nur, wenn man keine Erwartungen erfüllen muss.

Auf den ersten Blick wirkt B Movie Hell wie eine ganz normale Kleinstadt. Vielleicht sogar friedlich. Ein paar Geschäfte, ein Diner, ein Bordell, aufrechte und gesetzestreue Bürger_innen. FBI-Agent Jack Munson riecht sofort, dass hier etwas faul ist. Und das liegt nicht an dem durchgeknallten Killer, der gerade in der Stadt Amok läuft. Scheinbar ist Joey Conrad aus der Irrenanstalt ausgebrochen, schnurstracks nach B Movie Hell gefahren und richtet nun ein rekordverdächtiges Blutbad an. Warum - tja, das ist die Preisfrage. Munson wird das Gefühl nicht los, dass die Einwohner_innen der Stadt ihm etwas verschweigen. Es kann kein Zufall sein, dass Conrad, der vor seinem Zwangsurlaub in der Klapse zur Killermaschine ausgebildet wurde, ausgerechnet in B Movie Hell überschnappt. Fest entschlossen, die Wahrheit aufzudecken, stürzt sich Munson in die Ermittlungen - und weiß schon bald nicht mehr, wer hier eigentlich die Bösen sind.

Die meisten Menschen finden Lügen schlimmer als Mord. Eine steile These. Nehmt euch einen Moment Zeit und denkt darüber nach. Lügen sind eine Verletzung der unausgesprochenen sozialen Übereinkunft, laut der wir davon ausgehen, dass unsere Mitmenschen ehrlich sind. Sie erschüttern unser Grundvertrauen. Darum verzeihen wir geständigen Mörder_innen vielleicht eher als leugnenden Betrüger_innen. Natürlich ist das paradox. Aber es ist auch ein Thema, das sich hervorragend eignet, um einen überraschenden Thriller zu schreiben, der Leser_innen so subtil manipuliert, dass es eine wahre Freude ist, sich selbst während der Lektüre zu beobachten. Mit „Psycho Killer" beweist Anonymus, dass er wesentlich mehr kann, als bizarre Todesszenen zu schreiben. Schon in der „Bourbon Kid"-Reihe spielten unerwartete Sympathien eine große Rolle - dieses Buch bestimmen sie. Die Geschichte beginnt mit einer eindeutigen Ausgangssituation: Ein maskierter Killer fällt in B Movie Hell ein und startet scheinbar grundlos einen Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr Hinweise schleichen sich ein, dass in der Kleinstadt nicht alles ist, wie es scheint und die Morde möglicherweise nicht ganz so willkürlich sind, wie sie wirken. Stück für Stück weicht die Grenze zwischen Gut und Böse erst auf und kehrt sich dann um, bis ich fest überzeugt war, dass die angeblich harmlosen, unbescholtenen Bürger_innen von B Movie Hell den Tod verdienen. Und das, obwohl die meisten objektiv betrachtet nie etwas Schlimmeres getan haben, als den Mund zu halten. Warum? Einerseits, weil sie lügen. Andererseits, weil sie aus durch und durch egoistischen Motiven alles dafür tun, ihre Lügen aufrechtzuerhalten. Anonymus gewährt seinem Publikum in „Psycho Killer" Einblicke in die subjektive Gedankenwelt seiner Figuren, die die moralische Rollenverteilung zementieren, dem Thriller aber auch eine unbestreitbar humoristische Note verleihen. Er betont beiläufig, dass die Mehrheit der Menschen in Extremsituationen immer zuerst an sich selbst, ihre kleinen Probleme und Bedürfnisse denkt und sich nicht mit hochtrabenden Konzepten wie Ehre oder Humanismus aufhält. Die unangemessene Banalität ihrer Überlegungen in einer lebensbedrohlichen Lage - etwa, dass der geplante gemütliche Abend mit der Ehefrau nun wohl ausfallen muss oder wie unbefriedigend der letzte Stuhlgang verlief - nimmt der Brutalität von „Psycho Killer" soweit die Schärfe, dass mir der Roman nicht wie die Gewaltorgie erschien, die er streng genommen ist. Die kurzen, inneren Monologe tragen außerdem zu dem Eindruck einer klar abgesteckten Momentaufnahme bei. „Psycho Killer" ist kein umfangreiches Epos, es ist ein Schnappschuss. Anonymus erzählt exakt so viel, wie nötig ist, um genau diese temporeiche Geschichte aufzubauen und seine Figuren zu motivieren, sich so zu verhalten, dass es ihm als Autor nützt. Darüber hinaus hält er sich bedeckt und verlässt sich darauf, dass die Fantasie seiner Leser_innen weiße Stellen füllt. Für mich hat es funktioniert. Ich empfand „Psycho Killer" als rundes, sehr pointiertes Abenteuer, in dessen überschaubaren Rahmen sich alles nahtlos fügt.

Vielleicht ist Anonymus der einzige Autor, der einen maskierten, mordenden Irren, der seine Biografie als ausgebildete Killermaschine begann, als Prinzen in schimmernder Rüstung inszenieren kann und damit durchkommt. Ich fand „Psycho Killer" erzähltechnisch brillant und bin begeistert, wie effektiv es ihm gelang, meine Wahrnehmung in exakt die Richtung zu lenken, die ihm vorschwebte. Es hat mir einen Heidenspaß bereitet, zu beobachten, wie sich meine Erwartungen und Sympathien stetig veränderten und anpassten. Ich empfand die Lektüre als dynamisch und hyperlebendig, obwohl die Handlung an sich nicht außergewöhnlich spannend ist. Spannend ist die Resonanz, die die Handlung auslöst. Wenn ihr Pulp mögt, wenn ihr gern überrascht werdet und latente Geschmacklosigkeit aushalten könnt oder sie sogar amüsant findet, seid ihr mit „Psycho Killer" bestens beraten. Ich wünsche euch viel Freude dabei, herauszufinden, wer in B Movie Hell wirklich die Bösen sind!


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