Anonymisiertes Lesen

Anonymisiertes Lesen


Kürzlich durfte ich zum Projekt "Unknown - Erzählungen unbekannter Herkunft" einen Beitrag zum Thema "Anonymisiertes Lesen" schreiben. Im Zuge der Aktion #KGFestival, die von Meara Finnegan ins Leben gerufen wurde, möchte ich dieses Vorgehen für euch etwas näher erklären. Warum ich anonymisiert lese, welche Vorteile das hat und warum ich es nur jedem Herausgeber empfehlen kann, erfahrt ihr hier.

Mein Name ist Grit Richter, ich bin Verlegerin, Autorin und Herausgeberin. Gerade um Letzteres soll es heute gehen, denn ich lese alle Kurzgeschichten-Einsendungen anonymisiert. In jedem Ausschreibungstext bitte ich die Autor*innen darum, mir ihre Textdateien, ohne Angabe von Auotr*innenname zu schicken. Alle Daten sollen in der entsprechenden Mail geschickt werden. Ich sammele die Infos in einer Excel-Tabelle. Sobald die Ausschreibung beendet ist, werden Name, Pseudonym, Wohnort und Geschlecht verborgen und die Geschichten nach Umfang sortiert (von der Längsten bis zur Kürzesten).

Aber, warum mach ich das?

Seit der Gründung des Verlages im Jahre 2012 habe ich 10 Anthologien (mit)herausgegeben. Anfangs war es noch einfach, denn ich kannte niemanden und konnte unvoreingenommen an die Texte herangehen. Doch wer so viel netzwerkt wie ich, lernt schnell einige Leute kennen und bald hatte ich das Gefühl, nicht mehr vollkommen objektiv zu sein. Ich merkte, dass ich damit begann Kurzgeschichten von Autor*innen zu nehmen, die ich kannte, die ich mochte und mit denen ich bereits gut zusammengearbeitet hatte. Daran ist nichts auszusetzen, jeder kann das machen. Immerhin fanden sich in jeder Anthologie trotzdem Debütanten und immer wieder neue Namen. Aber das reichte mir nicht.

Eine Lösung war flott gefunden: Ich begann die Kurzgeschichten zu anonymisieren und das war eine hervorragende Idee. Plötzlich konnte ich mich komplett auf den Text konzentrieren! Ich musste nicht überlegen, ob ich die Person kannte, die diese Geschichte verfasst hat. Ich musste nicht mehr drüber nachdenken, ob das Verhältnis von Männern zu Frauen ausgewogen ist, oder ob mir jemand Vorwürfe machen würde, warum ich ihn oder sie nicht genommen hatte. All dieses Hintergrundrauschen war weg! Nur noch die Texte standen im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit.

Beim "ent-anonymisren" freute ich mich über bereits bekannte Autor*innen, genauso wie neue Namen und konnte gleichzeitig jedem erklären, warum er oder sie nicht genommen wurde. Natürlich könnte ich jederzeit in der Tabelle nachschauen, aber warum sollte ich das tun? Damit würde ich mich ja selbst dieser wunderbaren Erfahrung berauben. Das wäre dämlich ^^

Eine kleine Änderung konnte ich seit dem anonymisierten Lesen bemerken: Es gab einen leichten Anstieg männlicher Autoren in Dark Fantasy Anthologien. Im Steampunk-Bereich waren die Autor*innen schon immer gut ausgewogen. Den Space-Opera-Bereich habe ich ganz neu aufgemacht. In der ersten Anthologie " Bienen oder die verlorene Zukunft " haben deutlich mehr Frauen als Männer mitgemacht und es kamen auch mehr Autorinnen in die Anthologie (7 von 10 Kurzgeschichten sind von Frauen geschrieben).

Gerade zu der " Bienen "-Anthologie gab es eine Anmerkung, die ich gerne hier noch aufklären würde. Man sagte mir, wenn ich Frauen in der Science-Fiction unterstützen wollte, dann sollte ich doch einfach eine Ausschreibung nur für Autorinnen machen. Das halte ich für die denkbar schlechteste Lösung! Wir sind nicht beim Sport, wo strenge Geschlechtertrennung herrscht, weil man Männer und Frauen ja ohnehin nicht vergleichen kann (mal ganz von Autor*innen abgesehen, zu denen keines dieser Geschlechter, oder beide zusammen passen). Tatsächlich - und ich glaube, diese Nachricht wird euch überraschen - geht es mir nicht in erster Linie darum, Autorinnen zu unterstützen, sondern darum, Chancengleichheit für alle zu schaffen. Ich möchte, dass sich bei mir jeder bewerben kann, egal mit welchem Geschlecht er/sie sich identifiziert. Männer sollen aus der Sicht von Frauen schreiben dürfen, Frauen aus der Sicht von Männern. Oder noch besser: Alle sollten aus der Sicht von Aliens, Drachen, magischen Wesen und so weiter schreiben dürfen, ohne dass ihr Name oder ihr Geschlecht eine/n Herausgeber*in dazu verleitet irgendwen in irgendwelche Schubladen zu stecken.

Ich glaube daran, dass jede*r Autor*in hören möchte "Ich habe dein Buch bzw. deine Kurzgeschichte genommen, weil sie mir gefallen hat, weil sie mich berührte, mich nachdenklich machte, mich zum lachen oder weinen brachte oder mich auf andere Weise emotional getroffen hat." Genauso glaube ich, dass kein Autor hören will: "Ich hab deine Geschichte genommen, weil du ein bestimmtes Geschlecht hast oder zu einer Mehrheit/Minderheit gehörst."

Durch das anonymisierte Lesen habe ich für mich als Verlegerin und Herausgeberin einen guten Weg gefunden und ich kann einfach nur jedem empfehlen, es ebenso zu versuchen. Auch alle Hausgeber*innen in meinem Verlag bekommen ihre Übersichtstabellen und Kurzgeschichten von mir anonymisiert. Bisher habe ich auch von ihnen nur positives Feedback zu dieser Vorgehensweise bekommen.

Habt Ihr noch Fragen zum anonymisierten Lesen?
Immer raus damit!


Mehr zum Kurzgeschichten Festival - #KGFestival - findet ihr HIER.


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