Es wird behauptet, dass nichts auf der Welt den Schmerz so treffend auszudrücken vermag, wie die Musik. Gleichfalls kann man sagen, dass wohl nichts ein solch großes Potential besitzt, die persönliche und kollektive Realität der Menschen zu verändern. Dies scheint vielleicht nicht ganz so befremdend, wenn wir das Universum und das Leben entweder pythagoreisch begreifen, als eine Harmonie aus Welten oder Musiksphären, oder aber gemäß der antiken Tradition des Hinduismus, der dem universellen Tanz des Schaffens und der Zerstörung von Shiva die Offenbarung der kosmischen Wahrheit zuschreibt. Oder aber drittens, gemäß der modernen Quantenfeldtheorien, die nach einem multidimensionalen Polyversum suchen, das sich aus simultanen Vibrationsstadien zusammensetzt, die einem gewissen poetischen Sinn der Unendlichkeit nicht unähnlich sind.
Auf der Gitarre von Woody Guthrie war folgender Satz zu lesen „This Machine Kills Fascists“ („Diese Maschine tötet Faschisten“), um ein direktes Beispiel zu nennen, aber die Verbindung zwischen Musik und dem sozialen Wechsel ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Lieder anfangs entstanden sind, um die gemeinschaftliche Arbeit gemäß eines einheitlichen rhythmischen Musters zu harmonisieren, wodurch eine harmonische Verbindung zwischen den Personen entstand, die zusammenarbeiteten. In der gleichen Art und Weise trugen die großen epischen Dichtungen, die über Generationen hinweg gesungen wurden, stärker als alles andere dazu bei, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Geschichte und Werten zu stärken.
Während des gesamten Mittelalters waren Dichtungen untrennbar mit der Musik verbunden, der Kunst der Musen schlechthin, und trugen ausschlaggebend zur Schaffung einer gemeinschaftlichen Phantasiewelt bei, die wiederum eine ganz bestimmte Kosmovision kreierte, die ihrerseits mittels der gleichen Ausdrucksform unterminiert werden konnte. Man kann also von authentischen kontrakulturellen Bewegungen sprechen, wie die der Goliards oder des Tanz des Todes, bei denen die Lieder das Hauptelement darstellten, ganz zu schweigen von der Wandlung der Sichtweise der Liebe und zwischenmenschlicher Beziehungen, die durch Liebeslieder, vorgetragen von den Minnesängern des südlichen Europas, zum Ausdruck gebracht wurden.
Ebenso hätte es wahrscheinlich keine treffendere Ankündigung für die unmittelbar bevorstehende französische Revolution geben können, als die Lieder von Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“. Wie wohl auch nichts das Schuld- und Komplizenbewusstsein eines ganzen Landes und einer ganzen Kultur so sehr angerührt hat wie Billie Holliday zum ersten Mal den Song Strange Fruit singen zu hören. Und zu keinem Zeitpunkt hat nichts in der jüngsten Geschichte so starke Erwartungen an die Rebellion, den radikalen Wandel und die Freiheit geschürt wie die Ankunft des Rock oder einige von Dylans Songs aus den 60ern.
Die Beispiele aus der Popkultur sind unendlich. Unmöglich, sie alle aufzuzählen, von den Beatles bis zu den Pistols, von Patti Smith bis Rufus Wainwright, von den Smiths bis Nirvana, von Max Romeo bis CocoRosie…
Diese wichtige, reinigende Macht des Liedes im persönlichen Leben, sowie die sozialen Bewegungen zu analysieren ist das Ziel der Ausstellungsreihe des Andalusischen Zentrums für zeitgenössische Kunst (http://www.caac.es/english/exh/projects/frame_anika11.htm). Unter dem allgemeinen Titel „Das Lied als soziale, umwandelnde Kraft“, eröffnet mit der Ausstellung „Songs by Annika Störm“ (bis zum 11. September).